Horst von Buttlar ist Capital-Chefredakteur
Es ist das erste Mal in der Geschichte von Apple, dass der Konzern sich wirklich lächerlich macht. Und es ist der Chef selbst, der Apple lächerlich macht. Tim Cook hat die EU wegen der milliardenschweren Steuernachforderung angegriffen, hat das Ganze als „politischen Mist“ (wortwörtlich „crap“, was auch „Scheiße“ bedeutet“) bezeichnet. Er sagte: „Niemand hat etwas Falsches getan, und wir müssen zusammenhalten. Auf Irland wird herumgehackt, und das ist inakzeptabel.“ Auf die Frage, ob hinter der Entscheidung auch Antiamerikanismus stecken könnte, sagte Cook: „Leute in Führungspositionen in verschiedenen Ländern haben mir gesagt, das sei die Agenda. Ich habe das starke Gefühl, dass diese Entscheidung politisch war, da bin ich mir sehr sicher.“
Merkwürdig auch die Kritik von US-Finanzminister Jack Lew, der meinte, Europäer hätten es auf Steuerzahlungen abgesehen, die dem US-Fiskus zustünden. „Ich denke, das ist ein Versuch, Steuern, die in den USA bezahlt werden sollten, in die EU zu verlagern.“
Man könnte glauben, dass die Beteiligten, die sich seit zwei Tagen über Apple und die EU aufregen, alle etwas zu viel Superheldenfilme geschaut oder zu viel Pokémon Go gespielt haben. Denn es geht hier nicht um Gut gegen Böse oder um Monster, die gefangen werden sollen. Es geht um Steuern, Gesetze – und auch um etwas Einfaches und zugleich Kompliziertes: um den natürlichen Menschenverstand.
Das globale Steuerversteckspiel
Was bisher geschah: Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat eine umstrittene Steuervereinbarung zwischen der irischen Regierung und Apple angegriffen und gefordert, dass Apple 13 Mrd. Euro Steuern nachzahlen muss. Das ist ihr Job – und wenn sich Irland oder Apple ungerecht behandelt fühlen, steht es ihnen frei, sich juristisch zu wehren.
Man kann über Apple zur den Kopf schütteln. Der Konzern, der unser Leben geprägt und verändert hat wie kaum ein anderer, der uns die schönsten Geräte der Welt gebaut hat, den Millionen Menschen vergöttern, der nicht Kunden sondern Fans und Jünger hat – ausgerechnet dieser Konzern zeigt nun eine andere dunkle, schmutzige Seite. Wenn Apple 2014 auf seine in Europa erzielten und in Irland gebündelten Gewinne tatsächlich nur 0,005 Prozent Steuern gezahlt hat, mag es legal gewesen sein (das werden die Gerichte klären) – es ist aber schlicht unanständig. Apple hat das globale Steuerversteckspiel heillos überzogen, und es ist das gute Recht von Staaten oder Institutionen, dagegen vorzugehen.
Bei solchen Debatten wird gern ins Feld geführt, dass das Problem doch nicht die Steuerzahler (also die Unternehmen) seien, sondern die Steuersysteme der Staaten. Sollten die doch endlich ordentliche, attraktive Steuertarife anbieten, dann müssten Unternehmen auch nicht ins Ausland fliehen. Da ist natürlich etwas dran. Wenn Irland mit 12,5 Prozent wirbt – und andere Länder 20 oder 30 Prozent verlangen, dann ist es nachvollziehbar, dass es Unternehmen nach Irland zieht. Doch einige Dinge werden dabei übersehen: Nicht alle Länder können bei diesem Wettlauf nach unten mithalten – und selbst wenn etwa sämtliche EU-Länder die Steuer ebenfalls auf 12,5 Prozent senken würden, würde Irland vielleicht auf 10 Prozent gehen. Es droht eine Spirale nach unten, die keine Gesellschaft aushalten würde.
Selbst wenn aber alle Länder 12,5 Prozent anbieten würden – Unternehmen wie Apple ist das offenbar immer noch zu viel. Hinzu kommt: Die nominale Steuersätze, über die laut geheult wird, stehen ohnehin nur auf dem Papier. In jedem Land stehen Unternehmen vielfältige Schlupflöcher, Abschreibungs- und Gestaltungsmöglichkeiten offen, die Armeen von hochbezahlten Anwälten und Steuerexperten stets auf neue kunstvoll finden und kreieren.
Die USA etwa haben nominell einen Satz von 35 Prozent, der durchschnittliche Steuersatz der US-Unternehmen liegt aber weit darunter, bei 12,6 Prozent laut Zahlen des Rechnungshofs von 2010. Einer der Ursachen: die im Ausland gebunkerten, immer absurderen Cash-Reserven.
Deshalb erstaunt auch das laute Geheule von US-Politikern, die sich nun schützend vor Apple werfen – denn im Grunde haben sie doch das gleiche Problem und die gleiche Debatte: Seit Jahren tobt in den USA ein Streit, wie man den multinationalen Konzernen wie Apple, Facebook, Google, Starbucks oder Amazon beikommen soll, dass die ihre Milliardengewinne nicht ins Ausland verlagern. Sie schimpfen also vordergründig, dass es gegen Apple und sogar Amerika geht – im Grunde aber kämpfen sie den gleichen Kampf, nur dass die EU-Kommission ihnen gefühlt zuvorkommt.
Gewinne im Cash-Gefängnis
Im Streit um Apple zeigt sich, dass Staaten den Kampf mit multinationalen Konzernen nur verlieren können – es wird immer Länder geben, die ausscheren, es wird immer Schlupflöcher und Vehikel geben, die große Gewinne dem Fiskus entziehen. Die Forderung der EU-Kommission ist also ein Fanal: Die Konzerne haben ihr Steuergestaltungsspiel überzogen – die 0,005 Prozent sind, auch wenn sie nur auf einen Teil angefallen seien sollen, so absurd, so mikroskopisch und unanständig, dass sich jeder Steueranwalt und Apple-Manager fragen sollte, welches Ziel dieses Treiben hat und wohin das führen soll.
Denn die Produkte, die Apple verkauft, müssen ja in intakten Gesellschaften vertrieben werden, Gesellschaften, die auf vielen Orten dieser Welt längst gespalten und zerrissen sind, – und auch Apple-Manager wollen ja auf heilen Straßen fahren, wollen ihre Kinder auf Schulen und Universitäten schicken, wo heute auch die künftigen Mitarbeiter ausgebildet werden. Und sie wollen nun vor Gerichten ihr Recht bekommen, deren Richter vom Staat bezahlt werden. Das klingt jetzt etwas nach Pippi Langstrumpf, aber komplizierter ist es tatsächlich nicht. Diese Transferleistung muss man doch hinbekommen, oder?
Es heißt oft, der Staat verlange zu viel Steuern – und der Privatsektor wisse besser, mit dem Geld umzugehen, könne es sinnvoll investieren, statt es unproduktiv umzuverteilen oder das Geld in teuren Geschenken und Megaprojekten zu versenken. Auch das ist oft richtig, gilt derzeit aber vor allem, wenn es um die Lohnsteuer von Privatpersonen angeht. Denn was tun viele Großkonzerne? Natürlich investieren sie auch. Aber die vielen gebunkerten Milliarden sind längst in einem symbolischen Cash-Gefängnis und wachsen dort schneller als Dagobert Ducks Geldspeicher– und können nirgendwo so richtig produktiv mehr hin, dass vielen Unternehmen nichts Besseres einfällt, als die eigenen Aktien zurückzukaufen.
Die 13 Mrd. Dollar mögen viele als Genugtuung empfinden. Aber darum geht es nicht: Es geht nicht um Gut gegen Böse, um Rache, um Antiamerikanismus oder angebliche Verschwörungen gegen US-Techkonzerne, weil Europa keine eigenen hat. „Es sollte eine öffentliche Diskussion darüber geben“, sagt nun Tim Cook. Die gibt es doch längst. Und sie wird so hilflos und ziellos geführt, dass die Behörden nun zu den drastischen Maßnahmen greifen, die im Grunde keiner haben will.
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