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Bundesregierung Wie geht's weiter im Haushaltshaos? Diese vier Szenarien sind möglich

Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner
Robert Habeck (v.l., Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP)
© Kay Nietfeld / Picture Alliance
Wird das noch was? Irritiert blicken Ampel-Koalitionäre auf den Haushaltspoker von Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck. Im Hintergrund kursieren derweil vier Szenarien

Szenario 1: Wir kriegen es hin

Wie viele Nächte dauert die Nacht? Völlig egal, das Machtzentrum der Ampel zieht durch, bis die Einigung steht. Denn allen ist klar: Scheitern ist keine Option, der Haushalt für 2024 muss noch vor Weihnachten ins Ziel gebracht werden. Zu groß wäre der Ansehensverlust für die Koalition, deren Image ohnehin ramponiert ist, zu groß die Unsicherheit im Land und in der Wirtschaft. Und ein noch späterer Lösungsvorschlag zu riskant. 

Am Samstag spricht Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin. Was, wenn er seinen ungeduldigen Genossen nichts präsentieren kann, außer neuerliche Worthülsen der Zuversicht? Der Kanzler käme in Erklärungsnot, problematische Anträge könnten seinen Verhandlungsspielraum einschränken. Mit der Folge, dass die zähen Gespräche noch sehr viel zäher würden. 

Also springen die Ampelspitzen über ihre jeweiligen Schatten. Die SPD schrumpft die Bürgergelderhöhung. Die Grünen verschieben die Kindergrundsicherung. Und die FDP macht den Weg frei für eine Aussetzung der Schuldenbremse. Es sind schmerzhafte Kompromisse, aber verbunden mit der klaren Botschaft: Wir schaukeln das, die Lage ist zu ernst für rote Linien und Partei-Zwänge. Die Koalition ist arbeitsfähig.

So werden es auch Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP) auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz einrahmen. Seite an Seite stehen sie im Kanzleramt vor den Mikrofonen und Kameras, wie schon nach der Klatsche aus Karlsruhe vor knapp vier Wochen. Dort legen sie einen Fahrplan vor, wie der Haushalt 2024 noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann: Das Kabinett segnet die Pläne im Umlaufverfahren ab, Bundestag und Bundesrat schieben Sondersitzungen kurz vor Weihnachten. Lästig, aber: Der Haushalt mit Schleife steht.

Szenario 2: Wir kriegen es nicht mehr hin

Scholz, Lindner und Habeck sitzen pausenlos zusammen, aber trotz aller Bemühungen realisieren sie: Vor Weihnachten wird das nichts mehr. Die politischen Unterschiede sind zu groß, als dass man eine schnelle Lösung hinbekäme. Außerdem muss die Einigung rechtlich sitzen. Landet man mit den neuen Plänen wieder vor dem Verfassungsgericht, wäre das verheerend. Also verschiebt das Trio die weiteren Beratungen auf Januar. 

Um wenigstens ein Signal der Beruhigung zu senden, stellen sich die drei Politiker im Reichstag vor die Kameras. Scholz spricht von „sehr, sehr guten“ Beratungen, niemand solle sich Sorgen machen, die Koalition sei voll handlungsfähig. Trotz allem sei man „schon vorangekommen“, sagt Habeck. „Da ist jetzt eben große Finanzkunst gefragt“, sagt Lindner. Frohes Fest.

Aber allen in der Koalition ist jetzt klar: Die Vertagung ist politisch verheerend. Eine Regierung, die in einer großen Krise nicht einmal eine Grundsatzeinigung über den Haushalt hinbekommt, ist eigentlich erledigt. Nur mit einem vorläufigen Etat startet das Bündnis ins Jahr 2024, jede Ausgabe muss jetzt vom Finanzminister persönlich abgesegnet werden. Wie da reibungslos regiert werden soll, weiß niemand so recht. Nur Neuwahlen will auch niemand. Zwei Dinge schweißen die Koalitionäre jetzt noch zusammen: Die Angst vor einem Wahlsieg der AfD. Und die Erkenntnis daran, dass die Deutschen schon so viele existentielle Krisen dieser Bundesregierung miterlebt haben, dass es auf eine mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt. Und immerhin mit einer guten Nachricht endet das Jahr: Ein peinliches Silvestervideo wie im letzten Jahr bleibt dem Kabinett erspart. Christine Lambrecht ist nicht mehr da.

Szenario 3: Wir kriegen es nicht mehr hin, aber immerhin…

Irgendwann im Laufe dieser Woche bricht sich bei den drei Ampelspitzenmännern eine Einsicht Bahn: Wir schaffen es nicht mehr. Die drei Chefverhandler – Staatsminister Wolfgang Schmidt (Kanzleramt), Staatssekretär Steffen Saebisch (Finanzen) und Staatssekretärin Anja Hajduk (Wirtschaft) – haben jedoch eine „sehr, sehr gute Lösung“ (Scholz) erarbeitet. Einziges Problem: Leider lässt sie sich nicht mehr in diesem Jahr vollständig umsetzen – nicht mehr in allen Details, nicht mehr in allen Verfahrensschritten und schon gar nicht so rechtssicher, wie es sei muss, um nicht erneut vom Verfassungsgericht in den Senkel gestellt werden.

Aber in einem sind sich die drei Koalitionäre absolut sicher: Allein mit Sprüchen aus dem politischen Poesie-Album werden sie so kurz Weihnachten nicht davonkommen. Dafür ist die Lage inzwischen viel zu verfahren. Es braucht also zumindest eine klare Richtung, ein klares Signal, dass die Ampel weiter handlungsfähig ist. Es braucht: eine Grundsatzentscheidung!

Mindestens drei stünden da zur engeren Auswahl:

  1. Deutschland schnallt den Gürtel enger! In einem Haushalt im Umfang von etwa einer halben Billion Euro ist es jederzeit möglich im einstelligen Prozentbereich zu kürzen – und das ist genau das, was wir jetzt tun werden: Sparen, sparen, sparen. (1-3 konkrete Positionen bitte hier einsetzen!)
  2. Die Lage ist ernst, wir nehmen sie ernst! Wegen (Bitte einsetzen: Ukraine, Rezession, marode Brücken, Klimakrise) werden wir auch für das Jahr 2024 die Haushaltnotlage erklären. Wir tun dies nicht leichtfertig. Und wir tun dies unter einer klaren Voraussetzung: Wir werden bei der Verschuldung Maß halten und nur so viele zusätzliche Kredite aufnehmen, wie uns eine reformierte Schuldenbremse erlauben würde.
  3. Wir modernisieren den deutschen Haushalt und verankern ein Sondervermögen Deutschland im Grundgesetz. Es soll einzig dem Ziel dienen, unser Land bis zum Jahr 2040 vollständig klimaneutral zu machen. Mal sehen, ob sich die Union, die für die Zweidrittelmehrheit gebraucht wird, dem so einfach entziehen kann.

Alle Details klären wir im Laufe des Januars. Und nun wünschen wir allen einen frohen Advent! 

Szenario 4: Der Befreiungsschlag

Nein, weißer Rauch steigt aus dem Kanzleramt nicht mehr auf in diesem Jahr, was die Koalition kurz vor Weihnachten in größere Turbulenzen stürzt. Vor allem die SPD verliert die Geduld, wirft dem Finanzminister vor, mit seinem Schuldenbremsen-Mantra die gesamte Regierung „in Geiselhaft“ zu nehmen. Die drei Verhandler aber bleiben ruhig. Was nämlich nur sie wissen: Sie basteln nicht an einer Notlösung, mit der sich durch eine Vielzahl an kleinen und mittelgroßen Einsparungen irgendwie das Milliardenloch stopfen lässt. Sie wollen eine große Lösung, unter Einbeziehung der größten Oppositionspartei.

Friedrich Merz, der CDU-Chef, ist in die Gespräche teilweise schon eingebunden. Denn Kern der Idee ist die Schaffung einer neuen Geldquelle: Ein Sondervermögen für die Transformation nach dem Vorbild des Topfes für die Bundeswehr. Üppig ausgestattet, mit einer Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz verankert, damit immun gegen eine Klage in Karlsruhe. Ein Zitat des Finanzministers aus den Verhandlungen kursiert: „Diese Krise ist auch eine Chance.“ Die Ampel will umsteuern, endlich ihr Versprechen einlösen, das Land umzukrempeln mit einer Bauoffensive, einem großen Modernisierungsplan für Verkehr- und Infrastruktur, neuen Zielen für den Ausbau der Windenergie. Grüner, schneller, effizienter. Von einer Art „New Deal“ schwärmt man schon im Kanzleramt. 

Das Problem: Jeder Tag, der ohne konkrete Ansage vergeht, schadet der Koalition. Aber Details kann noch niemand nennen. Scholz, Habeck und Lindner brauchen Zeit. Die Frage ist jetzt: Schaffen die drei das – oder verliert vorher jemand die Geduld?

Dieser Text erschien zuerst bei stern.de.

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