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Sportartikelhersteller Alle verlassen China – nur Adidas nicht. Warum?

Adidas Flagship-Store in Schanghai: Die riesige Verkaufsfläche wurde 2008 eröffnet und steht seitdem symbolisch für den Einstieg von Adidas in China
Adidas Flagship-Store in Schanghai: Die riesige Verkaufsfläche wurde 2008 eröffnet und steht seitdem symbolisch für den Einstieg von Adidas in China
© IMAGO/ChinaImages
Der Sportartikelhersteller Adidas will sein China-Geschäft deutlich ausbauen. Helfen sollen „patriotischere“ Produktlinien, die sich aus der chinesischen Kultur ableiten. Für Hersteller ist das ein Wendepunkt

Wer den Geschäftsbericht von Adidas genau gelesen hat, der dürfte in dieser Woche wenig überrascht gewesen sein. Adidas, die deutsche Traditionsmarke aus Herzogenaurach, Trendsetter in Europa und den USA, will sich stärker nach Osten in Richtung China orientieren. Genauer: Er visiert die lokalen Märkte vor Ort an. Der Dax-Konzern plant für die Volksrepublik patriotischere Produktlinien, bei der internationales Design mit traditioneller chinesischer Kultur kombiniert werden sollen. Damit läutet Adidas nicht weniger als eine Zeitenwende ein.

Die Pläne, die der zuständige Manager Adrian Siu nun in der „Financial Times“ vorstellte, ließ der neue CEO Björn Gulden bereits im Geschäftsbericht aus dem März durchklingen: „Die Bedürfnisse in China können sich von denen in Deutschland oder Nordamerika unterscheiden. Dieser lokale Fokus, den Konsumentinnen und Konsumenten das zu geben, was sie wollen, muss an erster Stelle stehen“, erklärte Gulden dort. Und weiter: „Man kann ihnen nicht diktieren, was sie wollen. Wir müssen ihnen zuhören. Ja, sie werden von globalen Athletinnen und Athleten, Prominenten und globalen Produkten beeinflusst, aber wir müssen auch akzeptieren, dass es lokale Einflüsse gibt.“

Gewissermaßen griff er damit seinem China-Chef Adrian Su vor, der die Pläne in der „Financial Times“ jetzt konkretisierte. Bis zum nächsten Jahr wolle Adidas mindestens 30 Prozent der in China verkauften Kleidung lokal designen, erklärte der Manager. Vor der Krise habe der Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich gelegen. Zudem plant Adidas, die Kooperationen mit chinesischen Athleten auszuweiten und einen größeren Teil der Produktion nach China zu verlagern, um schneller auf Modetrends reagieren zu können.

Seit 1997 fast nur aufwärts in China

Der Schritt ist in vielerlei Hinsicht interessant – vielleicht aber auch notwendig. Auf der einen Seite geht Adidas den entgegengesetzten Weg zu vielen anderen westlichen Unternehmen, die sich stärker von China lösen wollen. Auf der anderen Seite kämpft Adidas in Europa und den USA mit riesigen Problemen. Ein Ausweg könnte daher der Fokus auf Wachstumsmärkte wie China sein. Dort ging es für Adidas seit dem Markteintritt 1997 lange Zeit fast nur bergauf.

Doch auch in China kämpfte Adidas zuletzt mit Problemen. Das Unternehmen litt – wie seine Konkurrenten Nike und Puma – lange unter der strikten Corona-Politik der chinesischen Regierung, die den Konsum belastete. Dazu kommen seit einiger Zeit die Spannungen zwischen der westlichen Welt und China beim Thema Menschenrechte, die bereits zu Boykottaufrufen gegen westliche Marken in dem Land geführt haben. Außerdem wächst die Konkurrenz durch chinesische Modemarken. Nicht zuletzt wegen der China-Probleme droht Adidas im laufenden Jahr ein Betriebsverlust.

Noch tiefer liegen die Probleme allerdings in den Heimatmärkten Europa und den USA. Allein die Trennung von US-Rapper Kanye West, dem Erfinder der „Yeezys“, ließ den Konzerngewinn 2022 um fast die Hälfte einbrechen. Die Sneaker-Kollektion sorgte für fast 7,5 Prozent des Gesamtumsatzes – und das bei vergleichsweise üppigen Margen. West hatte sich mehrfach antisemitisch geäußert und Adidas öffentlich vorgeworfen, seine Designs für andere Produkte zu stehlen. Im Herbst 2022 wurde es dem Konzern zu viel, er kündigte den milliardenschweren Vertrag. Allein im letzten Quartal fehlten dadurch rund 250 Mio. Euro Gewinn.

Kooperationen bringen höhere Margen

Doch nicht nur das. Adidas fehlt damit auch eines seiner Aushängeschilder. Der Konzern hat, wie andere Hersteller auch, zahlreiche Partnerschaften geschlossen. Zum Beispiel mit Ivy Park oder Pharell Williams. Aber keine war so wichtig wie die mit Kanye West.

Marketing-Experten wie Florian Riedmüller von der TH Nürnberg glauben zwar, dass sich Adidas mittelfristig neu positionieren kann. Doch er sieht noch ein ganz anderes Problem bei Adidas, das sich durch die Kooperationen ergeben habe. „Die Entwicklungskosten für eine Kooperation sind viel geringer, als neue technische Innovationen auf den Markt zu bringen. Man stellt den Stars einen Designer zur Seite, zeigt ihnen ein paar Textilien und Farben – und daraus wird dann ein Produkt. Das bringt natürlich viel höhere Margen als ein Laufschuh, der noch mal ein paar Gramm leichter ist – aber eigentlich die viel größere Innovation ist.“ Anders gesagt, habe Adidas es verschlafen, neue Produkte zu entwickeln – und lebe letztlich von Kooperation und Klassikern wie dem „Superstar“, die in Trendzyklen wiederkommen.

Die frühere Kernkompetenzen, Innovationen im Sport zu schaffen, seien unter dem ehemaligen CEO Kasper Rorsted weitestgehend ausgehöhlt worden. Dieser trimmte die Marke auf Effizienz und Gewinn. Und da der Lifestylemarkt dieses Versprechen deutlich besser erfüllte, wurden viele Ressourcen in diesen Sektor gelenkt. Das führte allerdings dazu, dass Adidas viele seiner früheren Stammkunden verlor.

Amateurfußballer tragen kaum noch Adidas

Im Amateurfußball beispielsweise spielt Adidas kaum noch eine Rolle. Früher trugen Teams von der Bundesliga bis zur Kreisklasse die Trikots mit den drei Streifen – und das in vielen westlichen Ländern. Unter Rorsted entschied sich Adidas aber, nur noch in den internationalen Spitzensport zu investieren. Vor zehn Jahren trugen noch sechs der 18 Bundesligisten Adidas-Trikots. In dieser Saison sind es nur noch drei. Im deutschen Amateurfußball laufen so gut wie keine Mannschaften mehr in Adidas-Trikots auf, da diese beinahe das Doppelte kosten gegenüber der Konkurrenz von Jako, Erima und Co. Das führt zu einer Entfremdung mit der Marke an der Basis, meinen Marketingexperten. Und diese Entwicklungen zeigen sich nicht nur in Deutschland.

Der Kenianer Evans Chebet hat vor knapp einer Woche den prestigeträchtigen Boston Marathon in  2:05:54 Stunden gewonnen. Für Adidas ist das ein besonderer Triumph, da Chebet in den neuen „Adios Pro 3“ den Weltrekordhalter und Nike-Athleten Eliud Kipchoge hinter sich ließ
Der Kenianer Evans Chebet hat vor knapp einer Woche den prestigeträchtigen Boston Marathon in  2:05:54 Stunden gewonnen. Für Adidas ist das ein besonderer Triumph, da Chebet in den neuen „Adios Pro 3“ den Weltrekordhalter und Nike-Athleten Eliud Kipchoge hinter sich ließ
© IMAGO/Iconsportswire

Immerhin scheint Adidas sich unter dem neuen CEO Björn Gulden auf seine alten Kernkompetenzen zu besinnen. Im Laufsport legt die Marke gerade ein eindrucksvolles Comeback hin. Von den männlichen und weiblichen Top-3-Läufern beim wichtigen Boston-Marathon vor einer Woche trugen insgesamt fünf den „Adios Pro 3“ – den neuen Premium-Laufschuh von Adidas. Dadurch gewinnt die Marke auch unter ambitionierten Freizeitläufern wieder an Bedeutung. Diese geben in der Regel vierstellige Beträge jährlich für neue Laufschuhe aus – und das wiederkehrend.

Diese Entwicklung passt auch zur neuen Strategie: Generell soll der Fokus stärker auf dem Sport liegen, erklärte Gulden mehrfach. Mit ähnlichen Ansätzen schaffte er bereits den Turnaround bei Puma – ergänzt um strategisch sinnvolle Kooperationen im Lifestylebereich wie etwa mit Karl Lagerfeld oder der Fitnessinfluencerin Pamela Reif.

Produktion in China ist längst nicht mehr günstig

Kooperationen sollen auch ein wichtiger Bestandteil der neuen Adidas-Strategie bleiben. Diese könnten sogar tendenziell zunehmen – bei allen damit verbundenen Risiken, wie das Beispiel Kanye West zeigt. In China etwa will Adidas stärker mit heimischen Athleten zusammenarbeiten. Dahinter steckt die Idee, dass das Zeitalter, in dem westliche Stars die chinesische Kultur beeinflussen, zu Ende geht, beziehungsweise sich sogar umkehrt. China sei inzwischen global so wichtig, dass es eigene Stars kreiert und Kultur exportiert. Damit liegt Adidas ganz auf der politischen Linie von Präsident Xi Jinping, der es ausländischen Firmen zuletzt deutlich schwerer machte, wenn sie kein klares Bekenntnis zu China ablegten.

Genau das macht Adidas jetzt aber mit der neuen China-Strategie, zu der auch der Ausbau von lokalen Produktionskapazitäten gehört. Experten halten das zwar für wenig sinnvoll, da die Produktionskosten in China höher sind als etwa in Vietnam, Indonesien oder Kambodscha. Aber in Teilen könnte dies auch eine politische Investition sein. Denn ohne die politische Unterstützung, das ist eigentlich allen in Herzogenaurach klar, wird China nur zum nächsten Großproblem des Konzerns.

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