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Kolumne Die verklemmte Führungselite

Frauen erobern einen Vorstands- und Aufsichtsratsposten nach dem andern. Und wir dachten, dass sich nun vieles ändert. Aber die Revolution ist ausgeblieben. Die Wirtschaftselite hegt ihre stockkonservativen Rituale.

Ich bin auch Frauenbeauftragte. Ja, das klingt nach Verordnung. Braucht jeder, wird abgefragt, abgehakt. Diese Pflicht hat die deutsche Wirtschaft vor sehr überschaubar wenigen Jahren ganz beflissentlich auf sich genommen. Oberstes Gebot goutierter Unternehmensführung: Du sollst die Frauen befördern! Kann man lassen. Wird aber ganz arg geächtet. Wird also nun gemacht. Weil Diskrimierung nun doch langsam mal durchdekliniert wird in all seine Herabwürdigungs- und Benachteiligungsformen und weil nunmehr Gleichberechtigung im gesellschaftlich, politischen Wertekanon eine historisch beschämend überfällige Aufwertung erfahren hat. Hübscher verpackt unter dem Schlagwort Vielfalt, für weltgewandte Profis auch Diversity, ist daraus in der Unternehmenswelt sogar ein modischer Megatrend geworden.

Lässt sich sogar belegen. Ich habe nämlich in beflissener Emisgkeit zunehmend begeistert eine Frauenliste geführt. Die allein nur mit dem Fokus auf Beförderung in die oberste Topetage ohne Anspruch auf Vollständigkeit jeden Tag gewachsen ist. Zeitraubend. Aber beeindruckend. Viele Dutzend Frauen wurden in den letztenden Monaten allein in die Aufsichtsräte und Vorstände börsennotierter Konzerne befördert. Allein 15 Topmanagerinnen sind in den vergangenen drei Jahren in den Olymp aufgestiegen: auf Vorstandsposten im bislang sehr träge routierenden Dax-30.

15 minus drei. Gerade war man gewillt Anzeichen einer Revolution zu sehen, da gibt es schon wieder Abgänge innerhalb so kurzer Zeit, dass die durch Dauermachthaber wie Linde-Chef Wolfgang Reitzle (zehn Jahre) oder Allianz-Chef Michael Diekmann (ebenfalls zehn Jahre) geprägten Vorstandsstatistiken zackige Ausschläge bekommen. Krasseste Ausreißerin: Luisa Delgado, die gerade verkündete, den lange Zeit vakaanten und mühsam besetzten Personalvorstand bei SAP nach nicht einmal neun Monaten im Amt, wieder aufzugeben.

Und das soll ausschließlich durch persönliche Gründe oder gar fachliche Qualifikationen der allesamt spitzenmäßig ausgebildeten Managerinnen zu erklären sein, die gerade erst das mühsam errungene Ziel ihrer Karriere erreicht haben? Das ist etwas bequem und einseitig betrachtet. Wer sind denn die Mitspieler, die sich so ausdauernd in diesem kleinen Gehege der Machtzentralen halten? Die Führungselite der deutschen Wirtschaft hat sich über Jahrzehnte aus einer gleichförmigen Schicht gebildet. Selbst Siemens-Chef Peter Löscher ist zu Beginn seiner Amtszeit aufgestoßen, dass diese Lehmschicht, wie er es nannte, ausschließlich aus weißen, deutschen Männern besteht. Männern, das ist hinzuzufügen, die den klassisch deutschen Bildungsweg und eine jahrzehntelange Karriere innerhalb eines Konzerns absolviert haben und dem traditionellen Rollenbild als Ehemann, Vater und Fußballfan entsprechen.

In diesem Zirkel haben sich stockkonservative Rituale gefestigt, denen sich Außenseiter wie Frauen, aber auch Ausländer oder gar Homosexuelle, die in diese archaischen Gefilde nachrücken, schwerlich anpassen können oder wollen. Das sei entmutigend und frustierend, erzählt ein Topmanager, der mich nach einer E-Mail-Anfrage noch am Sonntagnachmittag aufgebracht anrief und ausführlich darüber berichtete, wie er sich diesen Strukturen in den über drei Jahrzehnten seiner Karriere in mehreren großen deutschen Konzernen fügen musste. Die deutsche Wirtschaftselite widersetze sich einfach hartnäckig dem gesellschaftlichen Wandel. Meine Frauen-Liste müsste ich dann bald abschließen, die Liste der ausländischen Topmanager wird kurz und die der bekennend Homosexuellen leer bleiben. Es sei denn jemand beweist das Gegenteil. Jeden Hinweis nehme ich gerne entgegen unter:genger.jenny@capital.de

Jenny Genger schreibt einmal pro Woche an dieser Stelle über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen

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