Die goldene Zitrone für den schlechtesten Start ins neue Jahr geht an Roland Busch. Der Siemens-Chef löste Silvester mit einem völlig missratenen China-Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ eine Welle der Empörung aus. Seine verklausulierte These: Die Deutschen müssten sich auch mit der Zwangsarbeit im Reich der Mitte abfinden, wenn sie ihre Energiewende nicht gefährden wollten. Denn die meisten Solarzellen kommen schließlich aus China – nicht zuletzt aus der Provinz Xinjiang, wo das Regime die muslimischen Uiguren grausam unterdrückt.
Oft liefern CEOs große Schlagzeilen mit überflüssigen politischen Statements ab wie Busch. In den seltensten Fällen aber bewegen sie damit längerfristig den Kurs ihrer Aktien. Die Börse reagiert in der Regel nur auf Nachrichten, die ans Geld gehen. Für sieben deutsche Unternehmen zeichnet sich jetzt schon ab, dass sie 2022 solche News auf die Ticker schicken.
#1 Bayer
Da ist erstens Bayer, wo sich in den nächsten Monaten das weitere Schicksal der Agrarsparte entscheidet. Nimmt der Oberste Gerichtshof in den USA die Klage des Konzerns in einem ausgesuchten Glyphosat-Verfahren an und entscheidet sie danach vielleicht sogar positiv? Dann könnte die Prozesswelle endlich abebben, die sich Bayer mit dem Kauf von Monsanto eingehandelt hat. Falls nicht, geht das Desaster irgendwie weiter. So oder so: Der Kurs der gebeutelten Bayer-Aktie dürfe heftig auf den Ausgang des Verfahrens in den Vereinigten Staaten reagieren.
#2 Volkswagen
Für Volkswagen, den zweiten Konzern auf der Liste, gilt 2022: Nach dem heftigen Machtkampf ist vor dem nächsten heftigen Machtkampf. Der Streit um VW-Chef Herbert Diess ist nicht beigelegt, sondern nur vertagt. Der Betriebsrat und das SPD-geführte Land Niedersachsen halten den umtriebigen, taktisch aber nicht besonders klugen Brachialsanierer unter schärfster Beobachtung. Öffentlich steht die offene Drohung im Raum, Diess beim nächsten Verstoß gegen Betriebsratsinteressen aus dem Sessel zu kippen. Wer Diess kennt, der weiß: die nächste Machtprobe kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Und ein Rauswurf dürfte die Aktie ziemlich ins Schwanken bringen. Man weiß nur nicht, ob nach oben oder unten.
#3 Thyssenkrupp
Da ist drittens Thyssenkrupp. Der Konzern will noch im Frühjahr das weitere Schicksal der Stahlsparte entscheiden. Die Vorbereitungen für die Abspaltung laufen auf Hochtouren. Völlig offen aber bleibt bisher, wie Thyssenkrupp die neue Einheit strategisch aufstellen und finanziell ausstatten will. Gelingt die Übung, ohne dabei zu viel Kapital des Mutterkonzerns aufzuzehren, dürfte die Aktie abgehen wie eine Rakete. Momentan spricht allerdings nicht besonders viel dafür, dass sie wirklich gelingt. Deshalb gibt es auch jede Menge Spielraum nach unten.
#4 Biontech
Unter besonderer Beobachtung der Börse steht in diesem Jahr, viertens, auch der absolute Shooting-Star des letzten Jahres: Biontech. Mit einer sehr hohen Bewertung von über 60 Mrd. Euro reicht jede noch so kleine schlechte Nachricht im Impfstoffgeschäft aus, um den Kurs nach unten zu treiben. Das war auch 2021 schon mehrfach der Fall. Oft muss es noch nicht einmal eine schlechte Nachricht bei dem Mainzer Konzern selbst sein, es genügt auch eine einschlägige Meldung des Konkurrenten Moderna. Denn beide Aktien laufen bisher weitgehend parallel, weil sich auch ihre mRNA-Technologien ähneln. Doch es kann bei Biontech auch ganz anders kommen: Wenn die Mainzer einen ersten Durchbruch in der Krebstherapie melden, geht die Aktie ab und verlässt endgültig das Terrain der Hochrisiko-Investments.
#5 Siemens Energy
Fünftens sollte man sich Gedanken über Siemens Energy machen. 2021 stand der neue Konzern unter stärksten Druck, weil die Windkrafttochter Gamesa einfach nicht aus dem Schlammassel kommt. Auf die Dauer wirkt die ganze Konstruktion von Siemens Energy irgendwie unfertig und so nicht überlebensfähig. Die Mutter hält zwar eine Mehrheit an der Windkrafttochter, kann aber trotzdem nicht durchregieren. Über kurz oder lang muss eine Lösung her – wahrscheinlich schon im laufenden Jahr. Man sollte sich auf alles gefasst machen – eine weitere Schrumpfkur oder eine große Lösung, für die eigentlich kein Geld da ist. Aber der Aufsichtsratsvorsitzende trägt den Namen Joe Kaeser und deshalb ist alles möglich.
#6 SAP
Und da ist sechstens SAP. Der einzige deutsche Softwarekonzern, der weltweit in der ersten Liga mitspielt, kämpft um sein Cloud-Geschäft. Zuletzt meldete SAP gute Zahlen und die Aktie kam gut durch das Jahr 2021. Doch nun muss sich weisen, ob der Konzern die große Schar der Verfolger wirklich in die Schranken weisen kann. Und man wird sehen, ob im obersten Management in Walldorf unter dem neuen Vorstandschef Christian Klein endlich Stabilität einzieht. Das hängt allerdings hauptsächlich von dem 77-jährigen Hasso Plattner ab, dem Aufsichtsratschef und Übervater des Konzerns, auf den die etwas abgegriffene Rentnermetapher vom „Unruhestand“ perfekt passt.
#7 Deutsche Post DHL
Siebtens sollte man sich als Börsianer auch frühzeitig auf den interessantesten Chefwechsel des neuen Jahres einstellen: Bei der Deutschen Post DHL geht der Altmeister Frank Appel nach ungewöhnlich langen 14 Jahren, als Nachfolger kommt sein Vorstandskollege Tobias Meyer. Offiziell erfolgt die Stabübergabe erst 2023 zur Hauptversammlung. Vielleicht aber doch bereits früher. Schließlich will Appel den Aufsichtsratsvorsitz bei der Deutschen Telekom übernehmen. Auf jeden Fall scharrt Meyer schon jetzt eifrig mit den Hufen und viele trauen ihm einige radikale Reformen zu, obwohl offiziell nur von viel Kontinuität in Bonn die Rede ist.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.