Die deutsche Wirtschaft bewegt sich weiterhin seitwärts. Das ist das Ergebnis der Frühsommer-Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter 21.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen. „Anzeichen für einen breiten Aufschwung fehlen weiterhin“, sagte Ilja Nothnagel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der DIHK, bei der Vorstellung der Zahlen in Berlin. Zwar zeige sich die deutsche Wirtschaft insgesamt widerstandsfähig, doch ein echter Schub nach vorne, um etwa den Rückstand der Corona-Pandemie aufzuholen, fehle. Für 2023 geht die DIHK deshalb weiterhin von einem Nullwachstum aus.
In den aktuellen Zahlen schlagen sich nun mehr denn je die langfristigen strukturellen Herausforderungen nieder, dazu zeigt die zunehmende Belastung durch den Zinsumschwung erste Auswirkungen:
Ein Drittel hat Probleme bei der Beschaffung von Fremdkapital
Verglichen mit der Stimmung zu Jahresbeginn hat sich die Finanzlage von Unternehmen kaum verbessert. Fast 40 Prozent der Betriebe betrachten ihre Finanzlage als problematisch. Kleinere Betriebe stehen hier deutlich schlechter da (43 Prozent) als Großunternehmen ab 1.000 Beschäftigten (22 Prozent). Während in den vergangenen Monaten die gestiegenen Energiekosten das große Problem waren, erhöhen sich nun die Schwierigkeiten bei der Finanzierung. Deutlich mehr Unternehmen als noch 2022 haben Probleme bei der Beschaffung von Fremdkapital: 33 Prozent gegenüber 22 Prozent im Vorjahr.
Die Höhe der Zinsen sehen mittlerweile 21 Prozent als problematisch an, 2022 waren es noch sechs Prozent. In der Immobilienwirtschaft, im Verkehr und im Kraftfahrzeugbau sind die Belastungen dadurch am meisten gestiegen, auf bis zu 40 Prozent. Doch sämtliche Wirtschaftszweige und Unternehmensgrößen haben dieses Risiko genannt.
Drei Viertel wollen weniger oder nicht mehr investieren
Die hohen Zinsen führen auch dazu, dass davon stark betroffene Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren oder aussetzen. Über ein Drittel hat das berichtet. Bei allen anderen Unternehmen ist es knapp ein Viertel.
Insgesamt sieht die DIHK das Investitionsklima als durchwachsen an. Knapp die Hälfte der Unternehmen plant in den kommenden zwölf Monaten keine Änderung ihres Investitionsvolumens, ein Viertel will weniger investieren. Im Vergleich zum Jahresbeginn hat sich die Lage kaum verbessert und der langjährige Durchschnittswert bei Investitionsabsichten wird nur langsam wieder erreicht. Rückläufig sind vor allem Investitionen in Produktinnovationen und Kapazitätsausweitung. Wenn investiert würde, liege der Fokus gerade darauf, gesetzliche Vorgaben zum Umweltschutz oder Energieeinsparungen umzusetzen, so die DIHK. Das sei bedenklich, weil das Vorkrisenniveau auch drei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie noch nicht erreicht ist. Um die Investitionslücke schnell zu schließen, wären überdurchschnittliche Investitionsabsichten notwendig.
Mehr Investitionen planen momentan vor allem die Betriebe, deren Geschäftserwartungen positiv sind. Das trifft zum Beispiel auf Investitionsgüterhersteller wie Maschinenbauer zu, am meisten aber auf die Energiewirtschaft, deren ohnehin hohen Investitionsabsichten angesichts der Ausbauziele der Bundesregierung weiter steigen.
43 Prozent nennen wirtschaftliche Rahmenbedingungen als Risiko
Abgesehen vom Zinsanstieg finden Unternehmen vor allem die Bürokratie belastend. Mehr als 40 Prozent betrachten die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Geschäftsrisiko, etwas mehr als bei der vorherigen Umfrage. Bei rund 4.000 Freitextantworten wurde Bürokratie dabei am häufigsten genannt, außerdem Energie, Inflation und Steuern. Nothnagel forderte deshalb eine Stärkung des deutschen Standorts: „Wir brauchen dringend neue Impulse für private Investitionen, aber auch beim Infrastrukturausbau.“ Planungsprozesse müssten außerdem beschleunigt werden. „Das größte Problem, das die Unternehmen in unserer Befragung frei angeben konnten, ist die Bürokratie“, so Nothnagel. „Das alles sind Rahmenbedingungen, die wir selber in der Hand haben. Hier muss die Politik handeln.“
Allzeithochs bei Arbeitskosten und Fachkräftemangel
Unter allen Risikofaktoren bleiben Energie- und Rohstoffpreise die meistgenannten. Auch wenn die Preise zuletzt gesunken sind und sich die Lage für Betriebe dadurch verbessert hat, betrachten viele die Versorgungslage im nächsten Winter als unsicher.
Neue Höchststände erreichen hingegen zwei andere Risikofaktoren: der Fachkräftemangel und die Arbeitskosten, die in fast allen Branchen das zweit- und drittgrößte Geschäftsrisiko darstellen. Über alle Wirtschaftssektoren hinweg bereitet die Entwicklung der Arbeitskosten mehr als jedem zweiten Unternehmen Sorgen. Begründet wird das mit der steigenden Kerninflationsrate, der Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale und dem anhaltenden Fachkräftemangel. Im Dienstleistungssektor, wo Betriebe während der Corona-Pandemie viel Personal verloren haben, ist der Fachkräftemangel mittlerweile sogar das größte Problem. In der Industrie erreichen der Fachkräftemangel und die Arbeitskosten beide ein Allzeithoch mit 63 Prozent und 56 Prozent.
Ein Viertel geht von einer Verschlechterung des Geschäfts aus
Was die Geschäftserwartungen für die nächsten zwölf Monate angeht, hat sich die Situation zwar gegenüber dem Jahresbeginn etwas verbessert. Aber es geht immer noch ein knappes Viertel der Unternehmen davon aus, dass sich ihr Geschäft in den nächsten zwölf Monaten verschlechtern wird, vor allem im Handel und im Baugewerbe. Über ein Drittel der Bauunternehmen fürchtet wegen steigender Zinsen und wegbrechender Neuaufträge eine Rezession. Der Handel erwartet wegen der immer noch hohen Inflationsrate eine Kaufzurückhaltung und steht dazu wegen hoher Einkaufspreise unter Druck. Zwei Drittel der Unternehmen in dieser Branche blicken pessimistisch auf das kommende Jahr.
Mit besseren Geschäften rechnen der DIHK zufolge 18 Prozent, besonders der Dienstleistungssektor ist optimistischer als zuvor. Auch Industriebetriebe erwarten eine leichte Aufhellung, weil Materialengpässe abnehmen und hier die Auftragsbücher voll sind. Insgesamt liegen die Geschäftserwartungen etwa auf Vorjahresniveau, nachdem sie im Herbst 2022 ihren Tiefpunkt erreicht hatten. Momentan sind sie aber weiterhin im negativen Bereich, weil mehr Unternehmen pessimistisch als optimistisch sind.