Capital: Herr Kutylowski, es gibt für Künstliche Intelligenz inzwischen zwei Zeitrechnungen: eine, die bis Ende 2022 geht, und eine, die danach einsetzt, mit dem Aufkommen von ChatGPT. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?
JAROSLAW KUTYLOWSKI: Es hat in der KI-Historie schon noch ein paar andere entscheidende Fortschritte gegeben. Vor fünf Jahren zum Beispiel hatten wir eine Phase, in der die ersten großen Anwendungen aufgetaucht sind, die nicht irgendwo im Hintergrund versteckt waren – wie DeepL. Mit ChatGPT wird KI nochmal mehr salonfähig: Jeder kennt es, jeder hat es schon mal genutzt.
Es ist ein regelrechter Hype – der vermutlich auch zu große Hoffnungen schürt, oder?
Vielleicht wird KI irgendwann wieder nicht mehr ständig auf den ersten Seiten der Zeitungen stehen, aber es wird unser Leben letztlich schon sehr stark beeinflussen, und das auch immer stärker über die nächsten Jahre. Immer mehr Bereiche unseres Lebens und vor allem des Arbeitslebens werden davon betroffen sein. In welchen Zeitraum? Das ist schwer einzuschätzen, aber dass sich viel verändern wird, das ist ziemlich klar.
Welche Auswirkungen hat der ChatGPT-Moment auf DeepL?
Er hilft uns, weil das Thema KI wieder präsenter ist, weil das Verständnis dafür zunimmt – das merken wir bei unseren Kunden und es hilft uns, neue Nutzer zu finden. Was die Technologie angeht, haben wir neben unserer eigenen Forschung immer auch geschaut, was in der Welt passiert – und dann die neuen Ansätze auch für uns genutzt.
DeepL hat schon seit Jahren mit Google Translate einen mächtigen Konkurrenten. Kommt mit ChatGPT nun ein neuer Wettbewerber hinzu? Das Tool scheint ja alles Mögliche zu können…
Wie gesagt, wir werden die Technologie, die neuen Sprachmodelle, auch für uns nutzen – würden wir so etwas nicht tun, würden wir tatsächlich unsere Konkurrenzfähigkeit verlieren. Für unsere Produkte, für die Übersetzung, ist das sogar eine große Chance – wir können DeepL noch besser, noch interaktiver machen, noch näher an den Anwender rücken. Ich blicke da erwartungsvoll in die Zukunft. Konkurrenz, finde ich, ist etwas sehr gutes für Unternehmen, das bringt einen voran, erzeugt Druck. Mir macht das Spaß.
Bleibt DeepL denn im Kern ein Übersetzer oder denken Sie darüber nach, das Angebot zu verbreitern?
Die Übersetzung ist immer noch der Kernmarkt. Als Unternehmen müssen wir aber natürlich auch in andere Richtungen schauen: Wie können wir unser Portfolio erweitern? Was hören wir von unseren Kunden? Wir haben Anfang des Jahres mit DeepL Write ein zweites Produkt auf den Markt gebracht, das Nutzern beim Schreiben hilft. Da gibt es weitere, sehr interessante Anwendungsfälle – aber es wird sich sicherlich immer um Sprache drehen. Auch die Übersetzung bleibt ein weites Feld, denken Sie nur an die ungelöste Frage der Übersetzung von Gesprochenem. Da arbeiten wir auch dran.
Viel zu tun – Sie sind aber auch gerade frisch von Investoren mit Millionen ausgestattet worden. Bei der Finanzierungsrunde wurden Sie mit mehr als 1 Mrd. Euro bewertet.
Mit dem Investment können wir nochmal ein bisschen schneller wachsen und gleichzeitig weiter in Forschung investieren. Wir stellen massiv ein – am Ende des Jahres wollen wir ungefähr 800 Mitarbeiter haben.