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Malte Bülskämper Screen off, Akku voll geladen – Selbstversuch im Lanserhof auf Sylt

Der Lanserhof auf Sylt wurde erst 2022 eröffnet
Der Lanserhof auf Sylt wurde erst 2022 eröffnet
© Achim Duwentäster / IMAGO/teamwork
Gesünder und bewusster leben, dem Stress entfliehen – das wollen immer mehr Menschen und holen sich dazu professionelle Hilfe. Wie fühlt es sich an, in einem der innovativsten Gesundheitsresorts der Welt einzuchecken? 

Wer kennt es nicht: die guten Vorsätze aus dem Januar scheinen bereits Ende Februar Lichtjahre entfernt und alles ist wieder beim Alten oder wahlweise noch schlimmer. „New year, new me“, das funktioniert höchstens als Instagram Story, aber sicher nicht in der Realität, oder doch? Dieses Jahr soll alles anders werden und dafür suche ich einen ganz besonderen Ort auf: den Lanserhof auf Sylt.

Das Gesundheitsresort ist eine Mischung aus Hightech-Klinik, Wellness-Spa und Luxushotel. Der Ursprung des Konzepts liegt in Lans, Tirol, wo 1984 die Erfolgsgeschichte begann. Mittlerweile gibt es weitere Standorte, unter anderem am Tegernsee. Der 2022 eröffnete Standort auf Sylt ist der neueste und zugleich der erste am Meer, doch wird es vermutlich nicht der letzte bleiben. Ein Lanserhof am Mittelmeer sei in Zukunft durchaus denkbar, so CEO Christian Harisch im OMR Podcast.

In den letzten Jahren gab es diverse Preise, Tegernsee wurde bereits mehrfach als „World’s Best Medical Spa“ ausgezeichnet und der Hof auf Sylt hat 2022 den Destination Deluxe Award erhalten als „Medical Spa of the Year“. Der perfekte Ort also, um einmal die Handbremse zu ziehen und seine aktuelle Lebensweise auf den Prüfstand zu stellen. Laptop und iPhone in der Nordsee versenken, zur Ruhe kommen und sich mal ganz auf sich konzentrieren - klingt irgendwie nach Vorabendserie im ZDF und doch ist die Neugierde da: Wie fühlt es sich an und was bringt es wirklich? Das galt es im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib zu erfahren, also auf nach Sylt.

Zum Lanserhof reisen Gäste aus der ganzen Welt mit dem Flugzeug an, aus Las Vegas, Dubai und Schanghai. Einige fliegen aus europäischen Metropolen mit dem Privatjet ein. Ich komme mit der Regionalbahn. So beginnt die Entschleunigung bereits auf dem Weg. Im Zug von Hamburg-Altona nach Westerland hat man genügend Zeit, noch einmal in sich zu gehen und sich zu fragen, was man sich von dem Aufenthalt eigentlich verspricht. Die Gedanken kreisen: Darf man bei dem aktuellen Weltgeschehen eigentlich so selbstbezogen sein und sich nur um sich kümmern? Die Antwort bleibe ich schuldig, lasse die beruhigende nordfriesische Landschaft an mir vorbeiziehen und versuche mich mental einzustellen auf den Trip, der eine Mischung aus Erholung und Selbsterkenntnis verspricht.

Luxus durch Reduktion

Am Ziel in List angekommen, kann die eigentliche Reise losgehen und das erste architektonische Highlight fällt sofort ins Auge: Europas größtes Reetdach. Es lässt das Gebäude wie ein klassisches Sylter Haus erscheinen, nur eben im XXL-Format. Mit den großzügig ins Dach geschnittenen Loggien, erscheint es schon auf den ersten Blick spektakulär. Das Haus ist architektonisch ungewöhnlich angelegt, schiefwinklig und die Dachüberstände sind unterschiedlich groß, „wodurch das Dach anfängt zu tanzen“, wie Architekt Christoph Ingenhoven es beschreibt. Während das Reetdach tanzt und schwingt, sollen die Gäste darunter zur Ruhe kommen.

Neugierig betrete ich das Gebäude und bleibe wieder fasziniert stehen. Der Grund ist die freistehende, spiralförmige Treppe im Herzen des Hauses, die ans New Yorker Guggenheim Museum erinnert. Sie führt von der Tiefgarage über vier Etagen nach oben und man schreitet dabei an allen Funktionen des Gebäudes vorbei, was sie zu einer Art Begegnungsstätte macht. Im Haus wurde mit einer Mischung aus warmem Holz und kühlem Sichtbeton eine angenehme Atmosphäre geschaffen. Der Sichtbeton wurde extra von einer Beton-Kosmetikerin hübsch gemacht, was mich zu der Frage bringt: Warum bin ich eigentlich nicht Betonkosmetiker geworden? Ohne Frage ein Traumjob.

Insgesamt ist es trotz des starken Minimalismus sehr einladend und gemütlich. Zwischen Flos Leuchten und Walter Knoll Stühlen kann man verweilen, in der Bibliothek lesen, am Kamin Schach spielen oder durch die geschwungenen Glaswände aufs Meer schauen. Durch die erhöhte Lage auf einer Düne, ist die Aussicht traumhaft.

Der Minimalismus hat hier auch konzeptionelle Gründe: Wer Körper und Geist aufräumen möchte, soll nicht ständig externen Reizen ausgesetzt sein. Auch Bilder an den Wänden gibt es nicht: „Bei uns sind die Natur und der Mensch die Kunst“, so Harisch. An jedem Detail spürt man diesen Ansatz: Luxus durch Reduktion. Ein vermeintlicher Gegensatz: Man geht in ein Luxusresort, um dem Überfluss zu entsagen. Und während man mit Birkenstocks und Bademantel, die hier zu ständigen Begleitern werden, durch die Gänge wandelt, kann man eines beobachten: Die Sensibilität für Details steigt im Laufe des Aufenthalts.

Doch die Reduktion fällt nicht immer leicht: Es gibt keine Hotelbar, keinen Alkohol, Zimmerservice oder sonst etwas, wo man Sünden begehen könnte. Die Entsagung, die ich als erstes spüre, ist der Kaffee-Entzug. Der führt in Kombination mit dem Reizklima der Nordsee bei vielen Gästen erst mal zu Kopfweh. Wen das besonders hart erwischt, der kann sich im Restaurant (auf ärztliche Verordnung) einen „Krisenkaffee“ holen. Und wer das stark reduzierte Essen gar nicht mehr aushält, der kann schnell mal mit der Fähre nach Dänemark übersetzen (fährt mehrmals täglich ganz in der Nähe ab) und sich an Bord heimlich ein Fischbrötchen von Gosch holen – denn was in dänischen Gewässern verzehrt wird, muss im Lanserhof ja niemand erfahren.

Energy Cuisine

Der nächste Entzug, der sofort spürbar wird: Screentime null Minuten. Digital Detox ist hier zwar nicht verpflichtend, wird aber angeraten. Eine „Digital Detox Area“ ist auch das Restaurant. Und wer sich von der Architektur verzaubert in einem Luxushotel wähnt, wird spätestens bei der ersten Mahlzeit wieder daran erinnert, dass es eigentlich um Gesundheit geht. Die Portionen sind sehr klein – abhängig von der Kur-Stufe, in die man von den Ärzten einsortiert wird – das Essen ist weniger gewürzt als man es gewohnt ist und ohne die Zusatzstoffe, die wir sonst so zu uns nehmen. Bewusster essen und Geschmack differenzierter wahrnehmen, dieser Effekt setzt schon nach kurzer Zeit ein.

Tatsächlich kommen sogar Sterneköche hierher, um einen „Geschmacks-Reset“ zu machen. Für die meist sehr kalorienarme Kost ist Starkoch Dietmar Priewe verantwortlich, der bisher als Chefkoch der legendären „Sansibar“ bekannt war. Seine Küche folgt der „Energy Cuisine“ und sein Team kocht mit saisonalen und regionalen Zutaten. So findet sich die ganze Insel kulinarisch auf dem Teller wieder: man isst hier Sylter Salzwiesenkräuter, wie den Queller, eine Art Meeresspargel, die Sylter Kartoffelrose oder die Dexter-Rinder, die nur wenige Kilometer entfernt auf der Weide stehen. Mein persönliches Highlight: Bolognese vom Sylter Dexter… allein dafür würde es sich lohnen, wiederzukommen.

Schnell gewöhne ich mich an die winzigen Portionen und an die Essensregeln: Vor dem Essen gibt es Bittertropfen und einen Weizengras-Shot. Dreimal täglich trinke ich Basenpulver zur Entsäuerung. Als ich meine erste Mahlzeit viel zu schnell esse, werde ich freundlich auf eine weitere Regel hingewiesen: Jeden Bissen 30-mal kauen, denn die Verdauung beginnt im Mund. Alles klar, läuft.

Bei minus 110 Grad die Gedanken sortieren

Neben der gesunden Ernährung, gehört zum Leitmotto des Lanserhofs „Länger besser leben“ natürlich auch Bewegung. Selbst, wer hier hardcore fastet, ist zu moderater Bewegung angehalten. Dazu lädt der 28-Grad warme Salzwasserpool mit Sonnenterrasse ein, der mit dem Indoor-Pool verbunden ist und den gleichen Salzgehalt hat, wie das Meer. Im Gym gibt es sogar eine Boulder-Wand. Nach einer Stunde Personal Training und meinen kläglichen Versuchen, die Kletterwand zu bezwingen, erinnere ich mich daran, was eigentlich das Gesündeste an der Nordsee ist: der gute alte Strandspaziergang. Auch dazu lädt das offene Programm die Gäste ein: Jeder Tag beginnt um sieben Uhr mit dem „Erwachen am Meer“, ein Spaziergang zum Strand inklusive Gymnastik-Übungen beim Sonnenaufgang. Danach folgen zahlreiche Angebote, von Yoga über Meditation, hypnotischer Entspannung, Atem-Kurse, bis zu Vorträgen und Konzerten am Abend. Zwischendurch hat man immer wieder Anwendungen, die ein breites Spektrum abdecken: vom „Cellgym“, bei dem ein Höhentraining simuliert wird, über die Bioimpedanzanalyse, zur Ernährungsberatung, zur Fußreflexzonenmassage und schließlich geht’s bei minus 110 Grad für drei Minuten in die Kältekammer.

Ein ganz normaler Tag im Lanserhof. Dabei wird man von einem jungen, sehr kompetenten Team aus Ärzten, Fitnesstrainern, Physiotherapeuten, Ökotrophologen, Dermatologen und vielen weiteren betreut. Der ganzheitliche Ansatz versteht sich als Symbiose aus traditioneller Naturheilkunde, gesunder Ernährung, Bewegung, Wellness und Spitzenmedizin. Der medizinische Fokus liegt dabei klar auf der Prävention. Man kann auch schon Bestehendes behandeln, aber Ziel ist eigentlich, die Krankheit gar nicht erst eintreten zu lassen. Man sollte also im besten Fall nicht nach einem Burn-out oder Schlaganfall herkommen, sondern schon vorher.

Zu viel von allem, ist ein Problem von uns allen

Auf einer Fläche von rund 20.000 Quadratmetern befinden sich modernste Behandlungs- und Beratungsräume – da kann man sich gut verlaufen und dabei gleichzeitig selbst finden. Ob der Aufenthalt „erfolgreich“ verläuft, liegt am Ende ganz an einem selbst. Denn nur wenn man offen ist für die Resultate der Untersuchungen und für neue Herangehensweisen und Impulse, ergibt es Sinn, hier zu sein. Das heißt auch, in sich hineinzuhorchen und nicht nur an der Oberfläche zu bleiben. Trotz der sehr stylishen Umgebung sollte man den Lifestyleaspekt des Ganzen eher vernachlässigen.

Gerade in den sozialen Medien werden von vielen Influencern Detox, Self-Care, Achtsamkeit und mental Health gefeiert und als Schlagworte genutzt, ohne medizinisch sinnvoll in die Tiefe zu gehen. Gesundheit geht halt nicht nur an der Oberfläche, sondern man muss an den Kern. Vor allem, wenn es um psychische Dinge geht. Durch die Überforderung des Alltags, die Masse an Reizen und Informationen und die ständige Verfügbarkeit von allem, kommen wir nur sehr schwer zu Ruhe. Viele Algorithmen sind daraufhin optimiert, dass wir eben nicht zur Ruhe kommen, sondern eher willenlose Opfer unserer Newsfeeds werden. Zuviel von allem, ist ein Problem von fast allen.

Es steigt das Bedürfnis, sich wieder zu fokussieren und in einen Zustand „intelligenter Selbstbeschränkung“ zu kommen, wie es Jürgen Habermas wohl sagen würde. Und dieser Selbstbeschränkung wird hier ein Raum gegeben. Dabei fällt die erstaunliche Ruhe sofort auf, es herrscht eine beinahe andächtige Stille. Immer wieder begegnet man anderen Gästen, die mit ihren blauen Mappen – dort stehen die medizinischen Testergebnisse und der Stundenplan für die Behandlungen drin – durch die Flure schreiten und eben diese Ruhe offensichtlich sehr genießen.

Am Ende gibt es wie so oft Kritiker und Fans. Während die Kritiker sagen, dass hier ein Ufo für Superreiche auf Sylt gelandet ist, das keinen Bezug zur Insel hat, erklären die Fans, dass hier alles dafür getan wird, die Natur und die Besonderheiten und Traditionen der Insel zu wahren und zu respektieren. Am besten man macht sich selbst ein Bild, bevor man urteilt – und das sei hier unbedingt empfohlen. Ob der Lanserhof der Endgegner im Selbstoptimierungs-Game ist oder einfach bei einer gesunden Besinnung auf das Wesentliche hilft, soll jeder selbst entscheiden.

Wer neugierig geworden ist, dem sei der Podcast des Lanserhofs empfohlen und das Buch „Die heilende Kraft der Ernährung“. Für mich steht fest: Ich komme wieder. Und vielleicht sind dann auch die tibetanischen Mönche da, um die Zimmer in einer Räucherzeremonie einzuweihen. Die sollten nämlich extra dafür nach Sylt reisen, aber niemand konnte mir sagen, ob das wirklich stattgefunden hat – also, der Mythos lebt und er lebt sehr gesund. Nun heißt es nur noch: aufs Meer blicken, ganz tief einatmen, zuerst in den Bauch, dann in die Brust und dann hoch in den Kopf. Und wieder zurück. 

Malte Bülskämper ist Texter und Kreativdirektor aus Berlin. In seiner unregelmäßig erscheinende Kolumne schreibt er über die kleinen Absurditäten des Alltags in unserer Kommunikationsgesellschaft – oder wie diesmal über seine Erfahrungen in einem der innovativsten Gesundheitsresorts der Welt

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