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Reise Digital Detox auf 1800 Metern

Idylle pur: Die Adler Mountain Lodge
Idylle pur: Die Adler Mountain Lodge
Seit gut zehn Jahren ist das Smartphone im Business und auch privat unverzichtbar. Das macht uns ungemein flexibel, keine Frage, aber auch unfrei. Unser Autor Matthias Luckwaldt versuchte, eine Woche „ohne“ auszukommen

Jeder bekommt den ganzen Tag über so viele Informationen, dass er den Verstand verliert – Gertrude Stein, US-Schriftstellerin

Als ich um halb zehn mit einer alten Reiseschreibmaschine am Hamburger Flughafen auftauche, runzelt der Security-Mitarbeiter verwundert die Stirn. Kein Laptop, kein Tablet, nicht mal ein Kindle? Und was bitte ist das unter der kleinen Hartschalenabdeckung? Ich erzähle von meiner bevorstehenden „Digital-Detox“-Woche in den Südtiroler Dolomiten, und dass Hightech da irgendwie fehl am Platz wäre. Leichtes Kopfschütteln à la „Sachen gibt’s“. Dann wird meine Silver-Reed von 1977 auf Sprengstoffpartikel untersucht. Man kann ja nie wissen.

In München steuere ich zielstrebig den nächsten Drogeriemarkt am Bahnhof an. Kein Handy bedeutet schließlich auch keine Fotos, fiel mir über den Wolken ein. Also muss wenigstens eine Wegwerf-Kamera her. Kitschiges Hochzeit-Design mit Herzchen oder ein schlichtes Modell, wie es zuletzt in den 90ern cool war. Hm. Letzteres. Auch hier suggeriert man mir, diesmal an der Kasse, dass ich auf dem besten Weg zum „weirdo“ bin. Analog und offline, da stimmt doch was nicht im Oberstübchen …

Warum sehnen sich dann trotzdem mehr und mehr Menschen, gleich ob young professional oder senior leader, nach dem Ausstieg aus der Erreichbarkeit , wenigstens vorübergehend? Dazu reichen zwei Zahlen. Laut einer aktuellen Studie der Pronova BKK besitzen 78 Prozent der Deutschen ein Smartphone. An sich nicht weiter schlimm, schließlich erleichtern uns doch „Taschen-Computer“ mit Telefonier-Option wie das 2007 vorgestellte erste iPhone den Arbeitsalltag erheblich. Doch das hat seinen Preis, denn 24 Prozent der Studienteilnehmer geben zudem an, schon einmal unter Paniksymptomen wie Herzrasen oder Schweißausbrüchen gelitten zu haben, weil sie ihr Smartphone vergessen hatten. Von den Folgen des ununterbrochenen „Stand-by“-Gefühls ganz zu schweigen. Ein Fall für die Detox-Bewegung, die uns auf vielfältige Weise nach Alkohol, Zucker und Weizen nun von Smartphones entwöhnen will.

Detox ohne 4G

Durch bayerische Berge schlängelt sich der Euro-City unterdessen weiter Richtung Süden. Beim Stopp am Brenner erinnere ich mich an den überraschend guten Kaffee, den der unscheinbare Bahnsteig-Automat hier spendet. Weiter bis nach Brixen, der drittgrößten Stadt Südtirols. Mittlerweile ist es 19 Uhr. Und dunkel. Ein Fahrer im beige-grauen Trachtenjanker erwartet uns drei Detox-Willige. Auf geht’s.

Dann plötzlich Schnee. Viel Schnee. In einem für uns Flachland-Großstädter waghalsigen Tempo kämpft sich der Mercedes-Benz Viano über schmale, bereits stockfinstere Serpentinenstraßen bergauf. Die Wandersaison sei beendet, erklärt man uns, die Skisaison jedoch trotz weißer Flocken überall noch nicht gestartet. Abgesehen von ein paar Bauern würde hier eh niemand wohnen. Der nächstgrößere Ort, St. Ulrich, liege rund 15 Kilometer entfernt.

Nach knapp einer Stunde stoppen wir vor einen großen Holztor, das direkt in den Berg gebaut scheint. Die Pforten öffnen sich langsam, kurz denke ich an „Der Name der Rose“ oder ein entlegenes Gefängnis. Die letzten Minuten mit 4G. Nicht nur, weil auf diesem alpinen Hochplateau der Empfang höchstens sporadisch ist, sondern weil es in der Programmbeschreibung hieß, dass Smartphones abzugeben seien. ‚Du schaffst das’, rede ich mir Mut zu.

Das Foyer der Adler Mountain Lodge fällt dann keineswegs klösterlich-karg aus, und von Sträflingen in Zweierreihen ist auch keine Spur. Stattdessen wirkt alles wie das riesige, behagliche Wohnzimmer weltoffener Gastgeber. Im offenen Kamin züngeln Flammen, knacken Holzscheite, die getäfelten Wände zieren afrikanische Textildrucke. Gleich neben der Rezeption: ein Tisch mit Aperitifs und Fingerfood, dahinter ragt ein zwölf Meter hoher Totempfahl vom Erdgeschoss bis in den dritten Stock hinauf. Hinter einem Bücherregal versteckt genießen einige Paare in hohen Ledersesseln ihr Abendmal.

Chalet in der Adler Mountain Lodge
Chalet in der Adler Mountain Lodge

Das kernige Ambiente mit exotischem Touch ist gewollt. Als die Brüder Andreas und Klaus Sanoner in den 1990er-Jahren nach Namibia kamen, waren sie vom Barfuß-Luxus in den dortigen Lodges so begeistert, dass sie dieses Konzept unbedingt in ihrer Südtiroler Heimat umsetzen wollten. Auf dem Grundstück des ehemaligen Hotels Mezdì, wo 1966 die Filmcrew von Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ nächtigte, eröffneten die Hotelprofis nach fast 15-jähriger Planungsphase 2014 ihre Adler Mountain Lodge mit 18 Junior Suiten und zwölf Chalets. Und an diesen Ort hat es mich und zwei weitere zivilisationsmüde Kollegen für eine Woche verschlagen. Ganz ohne Verbindung zu In- und Voicebox.

Uns empfängt die stellvertretende Hotelchefin. Nach den üblichen Formalitäten bittet sie uns um unseren größten Schatz – die Smartphones werden eingesammelt. Als ich meines vor den anderen in den vorbereiteten Weidenkorb lege, strahlt sie mich freudig an. Die bisherigen Gäste des Detox-Programmes hätten sich nur schwer trennen wollen, obwohl sie für die paar Tage „off the grid“ ja extra bezahlen, verrät sie uns insgeheim mit einem vorsichtigen Blick in die Menge. Auch mir perlt kurz Angstschweiß auf der Stirn. Ich glaube, ich habe vergessen, die Abwesenheitsinfo zu aktivieren. Ups.

Nach so viel emotionaler Aufruhr erst mal aufs Zimmer, und zwar treppauf, wobei ich erfahre, dass den stattliche Totem ein damals 90-jähriger Künstler aus der Region schnitzte. Per Hand. Was machen wir Millennials eigentlich den ganzen Tag? In der Junior-Suite vertreibt der Duft von Zirbelholz, mit dem hier alles verkleidet ist, die selbstkritischen Gedanken, und ich falle todmüde in das große Bett.

Wir leben heute nicht in einer digitalen oder einer physischen Welt, sondern schwimmen in einer Art Minestrone, die unser Gehirn aus beidem kocht.
Paola Antonelli, Senior-Kuratorin, MoMA, New York

Doch auch im Traumschlaf lässt mich das Thema „Digital-Entgiften“ nicht los. Ich versuche darin wieder und wieder einem verständnislosen Auftraggeber zu erklären, dass ich gerade keine E-Mails empfangen können. Wie Sisyphos fange ich immer wieder an mit besserer Work-Life-Balance zu argumentieren und ernte bloß Unverständnis. Doch ich gebe nicht auf. Bis zum anderen Morgen. Kurz bevor ich aufwache, habe ich mich durchgesetzt. Im Traum.

Als ich die Vorhänge zurückziehe blicke ich auf ein märchenhaftes Bergpanorama. Der Gipfel des Langkofels, mit 3181 Metern eine der höchsten Erhebungen in den westlichen Dolomiten, ist in dem Schneetreiben kaum zu erkennen. Ich öffne die Balkontür und stapfe mit nackten Füßen durch das frostige Weiß. Carpe diem.

Grandioses Panorama
Grandioses Panorama

Auf meiner Reise von den Elbmarschen bis zur Seiser Alm, wo sich die Adler Mountain Lodge befindet, habe ich 1847 Höhenmeter zurückgelegt. Das merke ich jetzt, mir pocht das Herz bis in den Hals. Schlimmer: Ich kann mich nicht mal mit dem Smartphone von diesen ganz normalen Symptomen ablenken. Stattdessen buche ich eine Massage im Spa, zum Runterkommen, wenigstens im Geiste. Rücklings auf der Liege denke ich noch einmal kurz an meine Inbox, hoffe, dass nichts dringlich ist.

Am Nachmittag gehen wir Detoxler auf eine Fotosafari mit Arik, der ebenso gut mit der Kamera umgehen kann wie er im Restaurant die Teller jongliert. Wir bleiben auf den Wegen, dank 30 Zentimetern Neuschnee über Nacht ist ein Ausflug querfeldein zu gefährlich. Ich hole aus meiner Einwegkamera – ohne Akku, ohne Speicherchip – alles raus. Klick-ratsch-klick-ratsch. Ein Engländer in der Gruppe fragt mich, wie ich mir ohne Smartphone Notizen für meine Story mache. „Don’t tell me you use pen and paper?!“ Jawoll, genau das!

Sinnliches Erleben statt Fingerwischen über Displays

Tatsächlich beginne ich, alles aufzuschreiben, was ich sonst googeln würde. Für die Zeit nach der Rückkehr aus dem selbstgewählten Exil. Als bekennender Wikipedia-Junkie leide ich gleichwohl unter lexikalischen Entzugserscheinungen. Wie hoch ist beispielsweise der Langkofel, auf den ich jeden Tag von meinem Suite-Zimmer blicke? Die Circa-Angaben der Lodge-Mitarbeiter reichen meinem „Ich will’s jetzt wissen“-Drang einfach nicht. Ziemlich unbefriedigend, zumindest während der ersten zwei Tage.

Gott sei dank hält das Team der Adler Mountain Lodge ein pralles Programm bereit, um uns Abhängige vom imaginären Aufrufen der Facebook-App und dem nächsten in Gedanken bezwungenen „Candy Crush“-Level abzulenken. Im Mittelpunkt steht sinnliches Erleben statt Fingerwischen über Displays. Wir legen uns auf Yogamatten, lernen das „Power Breathing“, genießen ein Schokoladen-Tasting und eine tea time samt Tipps für ein entspannteres Leben mit (!) mobilen Endgeräten. Wir backen Plätzchen und Kuchen, malen mit Kohle und selbst angerührten Farben, schwitzen in der Sauna sehen uns vom beheizten Infinity-Pool satt an der idyllischen Umgebung. Dazu tägliche Südtiroler Spezialitäten, rund um die Uhr, all inclusive. Wie buchstabierte man noch gleich „Google Mail“?

Erst kurz vor der Abreise sehen wir das Weidenkörbchen wieder, nehmen die absichtlich vernachlässigten Gadgets wieder in Empfang. Jetzt gleich hochfahren? Lieber nicht, erst mal in die Manteltasche damit. Der Wahnsinn beginnt noch früh genug. Nur diesmal vielleicht etwas mehr nach meinen Regeln.

Autor Matthias Luckwaldt reiste auf Einladung des Hotels Adler Mountain Lodge. www.adler-lodge.com

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