Ob lästige Corona-Kilos, chronische Stresssymptome durch andauerndes Krisenmanagement oder einfach die Sehnsucht nach einer Pause: Es gibt viele Gründe, warum gerade Spitzenkräfte sich für eine Wellness-Auszeit entscheiden, beispielsweise in einer Fastenklinik wie dem Original F.X. Mayr Health Center in am Wörthersee.
Im Interview erzählt Geschäftsführerin Gabriella Schnitzler nicht nur, mit welcher Motivation aktuell die meisten Gäste hier einchecken und räumt mit den negativen Assoziationen einer Midlife-Crisis auf. Die Managerin, die zuvor in der Luxusbranche Karriere machte, gibt zudem Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag und wohltuende Kur-Momente daheim.
Capital: Frau Schnitzler, bei der F.-X.-Mayr-Kur mag der eine oder andere noch ans Abspecken mit Semmeln und Milch denken. Das trifft jedoch längst nicht mehr, was Sie und Ihr Haus heute anbieten, oder?
GABRIELLA SCHNITZLER: Zunächst einmal würde sich unser guter Dr. Mayr sicher freuen, dass seine Thesen überhaupt bis heute ein Begriff sind. Und mehr als das: Sie werden von der Ernährungswissenschaft bezüglich der großen Bedeutung unseres Darms für die Gesundheit von Körper und Geist wieder und wieder bestätigt. Über 100 Jahre später! Früher hat man zur Entlastung der Verdauung in der Tat noch auf in Milch getauchte Brötchen gesetzt. Heute sind weder der Industrieweizen noch die Milch aus der Massentierhaltung uneingeschränkt zu empfehlen. Daher hat sich die Kur deutlich verändert und neuesten medizinischen Erkenntnissen angepasst. Auch kulinarisch. Wer sie kosten und ihre Wirkung erleben möchte, ist herzlich eingeladen, uns zu besuchen.
Mit welchen Anliegen kommen derzeit die meisten Gästen in Ihre Klinik?
Grundsätzlich stammen unsere Gäste aus nahezu allen Altersstufen. Darunter sind aktuell viele Long-Covid-Patienten, denen schon wenige Treppenstufen immens schwerfallen, und Menschen, die ihrem Leben eine neue Richtung geben wollen. Wo stehe ich, was wünsche ich mir, wohin möchte ich gehen – das sind einige ihrer Leitfragen. Und dazu gehört auch die Ernährung: Was bedeutet mir das Essen überhaupt, welche Funktion erfüllt es für mich und wie kann ich damit gesünder und zugleich genussvoller umgehen?
Auch viele Topmanager sind während der Pandemie psychisch wie physisch in die Knie gegangen, oder?
Zweifellos. Neben den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung sind chronische Stresszustände und -folgen das zweitwichtigste Anliegen unserer Gäste. So eine monate- oder gar jahrelange Dauerbelastung hinterlässt überall im Körper ihre Spuren. Umso wichtiger ist es, sich darin schulen zu lassen, seine Signale richtig zu deuten. Neben einer dringend nötigen Auszeit suchen CEOs bei uns auch nach Orientierung. Hier haben sie oft erstmals nach langer Zeit die Gelegenheit, darüber zu grübeln, ob sie weiter machen können und sollten, wie bisher. Ein neuer Job, eine andere Branche? Oder würde ein Wechsel bloß die nächste schädliche Stresswelle auslösen? Auch bei solchen Überlegungen hilft unser Team so gut wie möglich.
Von akuten Problemen abgesehen, ab wann lohnt sich das Innehalten in einer Klinik wie Ihrer?
Ich würde sagen, dass unser Unterbewusstsein so ab 35 die erste Standortbestimmung einfordert. Ab diesem Alter beginnen sich dann auch ungesunde Lebensweisen zu rächen und chronische Beschwerden auszulösen. Spätestens aber in der Phase, die wir als Midlife-Crisis bezeichnen, also zwischen 40 und 55 Jahren. Wobei der Begriff in meinen Augen fälschlicherweise negativ besetzt ist. Ein Resümee zu ziehen, unter dem Titel „Was bisher geschah“, und dazu eine Pro- und Kontra-Liste zu machen, das ist doch wundervoll!

Wie sieht so ein Zwischenfazit aus?
Auf unsere Kernexpertise bezogen, die Ernährung, könnten folgende Fragen sinnvoll sein: Wie ernähre ich mich – und tut mir das eigentlich wirklich gut? Wie gehe ich mit Alkohol um, und zwar ganz ehrlich? Lebe ich noch genussvoll oder schon maßlos bis selbstzerstörerisch? Die Alternative, das betone ich gern, lautet übrigens in den seltensten Fällen asketischer Verzicht. Das ganzheitlich gesunde Leben ist voller Grautöne.
Bei einer Fastenklinik sollte man ein gewisses medizinisches Niveau voraussetzen. Zugleich tummelt sich auf dem Wellness-Markt eine unüberschaubare Zahl weiterer Angebote – von vielversprechenden Alternativmethoden bis zu betrügerischem Hokuspokus. Wünschen Sie sich mehr Orientierungshilfe, vielleicht vom Gesetzgeber, damit Qualität sichtbarer wird?
Das würde ich eher verneinen. Sicher, bei uns finden Sie wissenschaftlich fundierte Therapien rundum unser zweites Gehirn, den Darm. Durchgeführt von ausgewiesenen Spezialisten. Was jedoch ein Mensch in einer Krisensituation braucht – oder jemand, der einfach etwas abnehmen und abschalten will – ist zu individuell, um es in Paragrafen zu pressen und mit Siegeln zu belegen. Was wir anbieten, ist der Beginn eines Weges. Ihn gehen und dabei auf der gewünschten Route bleiben, dass müssen die Gäste selbst. Allerdings nehmen sie von ihrem Aufenthalt bei uns umfangreiche Hilfestellungen für die Planung der Strecke und ein Gefühl für ihren inneren Kompass mit.
Vor Ihrer jetzigen Position haben Sie in der Luxusbranche Karriere gemacht: Guerlain, Louis Vuitton, Prada. Warum haben Sie all das vor knapp acht Jahren aufgegeben?
Stimmt, ich habe viel Verantwortung tragen dürfen und das Privileg genossen, für diese internationalen Marken zu arbeiten. Irgendwann aber fühlte ich, nach all dem Stress und der ständigen Fliegerei, dass meine Zeit in dieser Industrie zu Ende ging. Ich hatte es mir nach dem Ausstieg gerade in einer gemächlichen Selbstständigkeit bequem gemacht, als man mich für diesen Job anfragte. Eigentlich nur vorübergehend.
Anfänglich sicher eine Umstellung, wenn nicht gar ein Kulturschock, oder?
Als mich der Anruf erreichte, dachte ich wirklich zunächst: „Ernährung? Du kannst gerade mal ein passables Käsebrot auf den Teller bringen“. Aber gut, das erste befristete Projekt für eine eben gestartete Mini-Firma, sagt man eher zu als ab. Die Arbeit hat mich dann vom ersten Tag an rundum erfüllt. Zu erleben, wie Gäste gestresst, erschöpft und frustriert einchecken und uns Tage oder Wochen später mit frischer Lebensfreude und weniger Kilos wieder verlassen, das macht mich bis heute sehr glücklich. Wie wundervoll also, dass ich bleiben durfte!
Fiel diese berufliche Zäsur auch mit einer neuen Etappe Ihrer eigenen Lebensreise zusammen?
Das trifft es auf den Punkt. Einige Jahre zuvor hätte mich diese Position vielleicht gar nicht so interessiert. Aber in dem Moment, wo mich das Angebot erreichte, war ich gefühlsmäßig bereit dazu. Nicht nur dass, ich wusste vom Start weg größtenteils, fast instinktiv, was zu tun sein würde.
Was stand denn auf Ihrer Agenda ganz oben?
Aus meinem bisherigen Berufsleben hatte ich mitgenommen, wie wichtig die positive Erfahrung des Kunden bzw. Gastes ist. Und zwar rundum, vom ersten Kontakt mit unserem Team bis zur Abreise. Wer fastet, hat unter Umständen zwei bis drei Tage vor sich, die ihm oder ihr einiges abverlangen. Da sollte sich die Umgebung wie eine behagliche Kuscheldecke anfühlen und eine Atmosphäre herrschen, in der man sich komplett fallenlassen kann. Daran habe ich gemeinsam mit unserem fantastischen Team zuerst gearbeitet.
Es wird aber auch ungemütliche Controlling-Themen gegeben haben.
Natürlich. Die Finanzierung eines Betriebes, der so personal- und ressourcenintensiv ist, muss nicht nur dauerhaft sichergestellt sein. Darüber hinaus ist das Investitionsvolumen äußerst sportlich. Die eben beschriebene Behaglichkeit soll schließlich weder durch verschleppte Wartungen und Renovierungen noch durch eine zu dünne Personaldecke gestört werden. Und schließlich haben wir an einem so transparenten wie griffigen Marketingkonzept gefeilt, um im erwähnten Angebotsdschungel positiv aufzufallen.

Checken eigentlich mehr Frauen oder Männer bei Ihnen ein? Und, reine Vermutung, die Damen sind tapferer beim Fasten, stimmt's?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Nur das Erlebnis und finale Ziel sind durchaus unterschiedlich. Männer sind beispielsweise deutlich, sagen wir mal, technischer interessiert. Sie wollen genau wissen, welche Einblicke eine Untersuchung erlaubt und welches Programm am schnellsten zu sichtbaren Ergebnissen führt. Selbst-Optimierung ist eines ihrer Schlüsselworte. Natürlich wollen auch Frauen Resultate, nur beschäftigen sie sich zudem mit den mentalen Aspekten des Aufenthaltes: Wie komme ich möglichst gut durch die Fastenphase, und wie kann ich beginnen, zufriedener mit meinem Körper, meinem Aussehen zu werden? Beiden Herangehensweisen begegnen wir mit entsprechenden Angeboten.
Wie sieht es mit den Hightech-Tyrannen aus, die wir den ganzen Tag mit uns herumtragen?
Wir bieten unseren Gästen an, ihre Telefone, Tablets und sonstige Gadgets in sichere Verwahrung zu geben. Das ist eher ein wohlmeinender Vorschlag denn ein strikter Digital-Detox-Zwang. Meist setzt bei den Gästen nach dem dritten Tag ohnehin eine solche Tiefenentspannung ein, dass das Smartphone seine Macht verliert.
Was tun Sie persönlich für die berühmte Work-Life-Balance?
Ich ziehe aus den Mayerschen Erkenntnissen die Dinge heraus, die meiner Verdauung guttun, mich aktiv sein und gut schlafen lassen. Davon baue ich so viele wie möglich in meinen Alltag ein. Früher habe ich beispielsweise nebenbei und oft am Schreibtisch gegessen, meist irgendein Sandwich. Heute plane ich für den Lunch genügend Zeit ein, um alles appetitlich anrichten und in Ruhe verzehren zu können.
Und jeden Bissen 30 Mal kauen, richtig?
Ich finde weniger wichtig, ob es 30 oder nur 15 Mal sind, als dass man sich bewusst auf seine Mahlzeit konzentriert. Solche achtsamen Rituale befördern nämlich nicht nur die effiziente Nährstoffaufnahme, sondern lassen auch unseren Geist verschnaufen.
Wie kann ich weitere Lehren von F. X. Mayr zu mir nach Hause holen?
In unserer modernen, extrem hektischen Welt ist die Übersäuerung des Organismus leider ein großes Thema. Eine gute Gegenmaßnahme wäre es, den eigenen Kaffeekonsum zu hinterfragen – und zu senken. Eine Tasse am Morgen und danach eher Tee oder Wasser, vielleicht geht das auch. Außerdem empfehle ich gern, einmal in der Woche abends nichts zu essen. Ein Fasten-Sprint, der dem Körper eine Pause gönnt. Und wer sich eine ganze Kurwoche freischaufeln kann, davon bin ich überzeugt, der wird es nicht bereuen.