Der natürliche Lebensraum des Kombis ist Deutschland. Der Lastenesel unter den motorisierten Vehikeln hat sich nach Kriegsende nirgendwo sonst so stark in Reihenhaussiedlungen und auf Werkstatthöfen ausgebreitet wie bei uns. Er wird gekauft, weil er alles schluckt, was von A nach B muss, ob Kinderwagen oder Waschmaschine. Allerdings stießen in den vergangenen zehn Jahren invasive Arten in das Habitat des Kombis vor und drängten den beliebten Landsässigen zurück. Die Eindringlinge heißen SUV oder Crossover und dominieren inzwischen weite Stadt- und Landstriche der Republik.
Opel selbst brachte 1963den Kadett A als ersten Caravan heraus – er wurde zum Kassenschlager. Nun will der Autobauer sich dem Aussterben der Kombi-Spezies entgegenstellen. Das Unternehmen versteht sich noch immer als deutsche Marke, obwohl es längst Glied des Weltkonzerns Stellantis ist. Es ist Luft nach oben im deutschen Markt: Bei den Neuzulassungen rangieren die Rüsselsheimer bundesweit auf dem sechsten Platz (nach VW, Mercedes, Audi, BMW und Skoda). Der neue Kombi für die Kompaktklasse soll die Verkaufszahlen nach oben treiben. Schon deshalb gibt es ihn nicht nur als Verbrenner oder Hybrid, sondern auch vollelektrisch. Er heißt: Opel Astra Sports Tourer Electric, kurz STE.
Der STE dürfte der erste Elektro-Kombi sein, der die deutsche Seele wirklich rühren kann, sagen Marktkenner (der teure Porsche Taycan Cross Turismo ist eher ein Nischenprodukt). Die chinesischen Wettbewerber MG und Nio haben zwar schon länger einen bezahlbaren E-Kombi im Handel. Aber die erzeugen hierzulande bislang nur homöopathisches Interesse, vielleicht weil sie für die Masse zu exotisch wirken. Technisch sind sie durchaus auf Augenhöhe mit Opel. Beispiel: Der Astra STE soll mit einer Füllung des 54-kWh-Lithium-Ionen-Akkus gemäß der Norm WLTP bis zu 413 Kilometer schaffen; real sind laut den Experten von EV-Database im Sommer eher 350 und im Winter 250 Kilometer, was die Eindrücke bei der Testfahrt durchs kalte Rhein-Main-Gebiet bestätigen. Der MG5 weist ähnliche Werte auf. Dafür lädt der Astra mit bis zu 100 kW etwas schneller als der Chinese (87 kW). Diese Leistungen sind allerdings nicht auf Höhe der Zeit: Der vergleichbar ausgestattete VW ID.3 saugt schon bis zu 125 kW.
Der Opel Astra Sports Tourer sieht schnittiger aus, als man es von alten Opel-Autos kennt
Die erste Begegnung mit dem Batterieauto Astra STE ist durchaus beeindruckend. Nicht wegen der Fahrleistung: Mit 156 PS und 170 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit ist er eher im Sektor „Vernunftauto“ angesiedelt; vergleichbare Limousinen der Wettbewerber bringen in der Regel 200 PS plus auf die Straße. Vielmehr sticht die Optik des 4,64 Meter langen Fahrzeugs ins Auge. Von außen wirkt es schnörkellos modern und schnittig, sogar ein bisschen unterkühlt. „Less is more“, weniger ist mehr, dürften sich die Designer wohl gedacht haben, und das ist gut so. Der Schuss Biederkeit, der früher gern in den Karossen mit dem Blitz-Logo steckte, ist damit verflogen.
Gelungen ist auch die hochwertige Anmutung des Innenraums, wobei man einschränkend erwähnen muss, dass der Testwagen Vollausstattung genießt. Von dieser allerdings können sich manche Wettbewerber ein paar Scheiben abschneiden: wenig Hartplastik, viel unterschäumter Bezug und Velours, Lenkrad und Sitze sehr wertig. Hinter dem Lenkrad und in der Mitte des Armaturenbretts breiten sich zwei zehn Zoll große, gläserne Displays aus, deren Kantigkeit elegant daherkommt – Opel nennt sie „Pure Panels“. In den beschneiten Höhen rund um Rüsselheim fühlt man sich bei knapp über null Grad Außentemperatur inspiriert und gemütlich zugleich; zumal die Klimaanlage schnell und zuverlässig ihren Dienst tut, eine Wärmepumpe ist Serie.
Allerdings gibt es einen Punktabzug bei der Bedienung, es gibt schlicht zu viele Knöpfe und Drehregler, an denen man rumspielen kann. Allein zwölf auf dem Lenkrad, dazu 17 unter dem Mittel-Display. Und dann gibt es ja auch noch die vielen Funktionen an den Lenkradhebeln. Das macht es für wenig technikaffine Fahrerinnen und Fahrer nicht leichter. Auch die Displays sind überladen mit Informationen, man muss sich zunächst in die Programmierung der Darstellungen hineinfuchsen, um für sich eine angenehme Übersichtlichkeit herzustellen.
Sowohl auf der Autobahn wie auf der Landstraße erlaubt sich der Astra STE keine erkennbaren Schwächen. Das Fahrwerk wirkt wie aus einem Guss, es ist besonders versteift, was den Kombi gezogen fahren lässt. Mit 1760 Kilogramm ist er vergleichsweise leicht, das haben die Entwickler unter anderem durch eine Heckklappe aus Thermoplast-Kunststoff erreicht. Serienmäßig sind in der Grundausstattung als Helferlein ein Frontkollisionswarner mit automatischer Gefahrenbremsung und Fußgängererkennung eingebaut, ein Spurhalteassistent, eine Geschwindigkeitszeichen- und Müdigkeitserkennung, ein einfacher Tempomat sowie ein „Piepser“ für Front und Heck. In der teureren GS–Ausstattung wird zusätzlich ein Tempomat mit Abstandshalter sowie eine 360-Grad-Kamera geliefert.
Die Sitzheizung kostet 850 Euro zusätzlich, denn man kann sie nur im Paket bekommen
Leider erspart Opel seinen Kunden auch beim STE nicht diese grundnervige Aufpreis-Paket-Politik, die nur einem dient: der eigenen Marge. Das Prinzip der Hersteller: Man verpackt Selbstverständlichkeiten in aufwendige Ausstattungspakete mit Features, die gar nicht gefragt sind. So gibt es in der Grundversion des Astra STE keine Sitzheizung. Dafür muss man sich das „Komfort-Paket“ für 850 Euro zulegen. Denn man kauft zwangsläufig mit: Aktivsitze (was immer das heißt), eine Lenkradheizung und stark getönte Seitenscheiben im Fonds.
Schon wegen des geringen Gewichts hinterlässt das Auto einen dynamischen Eindruck. In 9,3 Sekunden beschleunigt es von 0 auf 100 Stundenkilometer. Man kann zwischen drei Fahrmodi wählen: Eco, Normal und Sport. Nur im letzten Modus wirken die vollen 156 PS von Beginn über die Vorderräder, ansonsten wird zugunsten der Reichweite die Leistung gedrosselt. Tritt man allerdings durch, steht in allen drei Modi die volle Leistung zur Verfügung. Das ist clever gelöst, etwa für Überholvorgänge.
Den dicksten Pluspunkt fährt der Astra STE beim Kofferraum ein, der üppige 516 bis 1553 Liter Gepäck aufnehmen kann. Ohne die Sitze umzuklappen, tut sich eine über einen Quadratmeter große Ladefläche auf, die Ladehöhe beträgt 80 Zentimeter. Mit umgeklappter Rücksitzbank (sie lässt sich auch teilen) entsteht ein 1,85 langer, völlig ebener Ladeboden, in den die Ikea-Billy-Regale nur so reinflutschen. Das haben die Konstrukteure sehr gut gelöst. Die 102 Akkuzellen in 17 Modulen wurden klug im Unterboden verteilt, ohne zu stören.
Am Ende der Reise noch ein Blick in die Preisliste: Die einfachste Version wird für 43.490 Euro feilgeboten (das sind gut 10.000 Euro mehr als beim MG5 , auch wenn die Fahrzeuge technisch nicht wirklich vergleichbar sind). Zählt man Aufpreise für Farbe, Ausstattungspakete und Überführungskosten hinzu, kann man getrost noch einmal Minimum 2000 Euro draufschlagen. Abzüglich des Bafa-Umweltbonus 2024 von 3000 Euro und eines Hersteller-Rabatts von 1500 Euro müssen Kunden also auf jeden Fall über 40.000 Euro aufbringen.
Es steht zu befürchten, dass viele Interessierte am Ende zum Benziner-Astra greifen – Klimawandel hin oder her. Der Verbrenner ist nämlich in der Grundversion ab 28.610 Euro zu haben. Vor zu viel Knauserei ist aus Sicht des Testers abzuraten – vor allem, aber nicht nur, aus Umweltgründen: E-Auto fahren macht einfach viel mehr Spaß, zumal mit einer Schnitte wie dem Astra STE.
Der Text ist zuerst hier bei stern.de erschienen.