Genf. Hinter dieser einen Silbe verbirgt sich so ziemlich alles, was ich an der Schweiz liebe: Weltoffenheit, mediterranes Flair vor spektakulärer Bergkulisse, Traditionsbewusstsein und herzliche Gastfreundschaft. Alles Eigenschaften übrigens, die ich auch im dortigen „Mandarin Oriental“ erleben konnte. Aber der Reihe nach.
Nach einer rund siebenstündigen Reise komme ich an einem Sonntagabend erschöpft in der Stadt an und möchte nur noch ins Bett. Statt einer Schlange an der Rezeption begrüßt mich bereits an der Tür der Concierge mit Namen und der Hotelmanager, Paul Jones, begleitet mich sogleich auf mein Zimmer. Nein, Reisepass oder Kreditkarte müsse ich nicht zücken, das hätte alles Zeit bis morgen. Fantastisch! Vom ereignisreichen Tag noch etwas aufgewühlt lege ich mich dann doch nicht sofort schlafen, sondern mache es mir in der „MO Bar“ gemütlich, wo bereits mein Abendessen auf mich wartet. Alles fühlt sich so vertraut und vertrauensvoll an wie im Haus eines alten Freundes, den ich nach langer Zeit wiedersehe. Und nicht in der Dependance einer internationalen Luxushotelkette. Viel besser lässt sich ein Check-in und Ankommen wohl kaum gestalten.
Am nächsten Tag geht es ausgeschlafen und durch ein leckeres Frühstück gestärkt weiter. Auf hohem Niveau. Endlich habe ich Gelegenheit, das Haus selbst zu bewundern, angefangen in meinem Zimmer. Es ist modern eingerichtet und optisch so locker, luftig gestaltet wie der Ausblick vom Balkon auf die Stadt. Ansonsten: Schweizerische Kunst, Möbel aus Italien und Frankreich, ein edles Badezimmer mit Wanne – und, natürlich, ist alles makellos sauber.
Symbiose zwischen Luxus und asiatischen Einflüssen
Die Hotelkette Mandarin Oriental betreibt 36 Häuser auf fünf Kontinenten, deren USP eine Symbiose zwischen dem Komfort und den Standards moderner Luxusherbergen sowie einem wohldosierten asiatischen Flair ist. Letzteres zeigt sich in der Inneneinrichtung und in einigen Restaurants, ohne dabei zur plakativen „Folklore“ zu verkommen. Vielmehr gelingt eine nahtlose Verbindung zur jeweiligen Stadt oder Nation, hier nun also zu Genf und Schweizer Traditionen.
Ja, im „Mandarin Oriental“ fühlt man sich so wohl, dass man es nur ungern verlässt. Wer es doch tut, bereut es nicht, denn eine perfektere Lage für ein Hotel ist kaum vorstellbar. Als wäre Genf um das Hotel herum errichtet worden, damit die Gäste eine grandiose Kulisse genießen dürfen. Der See, der Kanal, die Gipfel ringsum, das Wasserplätschern.
An dieser Stelle ein Tipp für alle Naschkatzen und -kater: Spazieren Sie doch einmal auf dem Quai des Bergues an der Rhône entlang und gönnen Sie sich bei Ladurée (im „The Four Seasons“) federleichte, backfrische Macarons oder andere Köstlichkeiten. Ein paar der Kalorien können Sie sich auf dem Weg zum Sisi-Denkmal am Quai du Mont-Blanc wieder ablaufen, das an das tödliche Messerattentat auf die österreichische Kaiserin im Jahr 1898 erinnert.
Wie heißt eigentlich „Glück” auf Japanisch?
Nur von Süßkram allein kann man sich (leider) nicht gesund ernähren. Am Abend esse ich daher im „Sachi“, einem der Hotelrestaurants. Dessen Name, der übersetzt „Glück“ bedeutet, ist klug gewählt: Wer den knusprigen Weißlachs, den in Honig glasierten Wolfsbarsch oder den 72 Stunden lang marinierten schwarzen Kabeljau kostet, den durchströmen danach mehr Endorphine als noch beim Aperitif. Glücksgefühle, die nur ausgezeichnetes Essen auszulösen vermag.
Das „Sachi“ ist ausgebucht, die Tische hauptsächlich mit japanischen Gästen besetzt – ein größeres Kompliment kann ein auf diese Landesküche spezialisiertes Restaurant wohl kaum erhalten. Leidenschaftlich beschreibt Koch Mitsuru Tsukada jedes Gericht, das mir serviert wird, und erzählt von seinem Lehrer, dem großen Nobu Matsuhisa. Nicht prahlend, eher dankbar und bescheiden, dabei ist sein einstiger Meister eine lebende Legende. In den letzten Jahren beschäftigt sich Matsuhisa übrigens mit der erstaunlich harmonischen Verbindung der japanischen und der peruanischen Küche.
Apropos Kultstatus: Das „Mandarin Oriental Genf“ ist ebenso ein Produkt der unbändigen Kreativität des 2023 verstorbenen Luxushoteliers Georg Rafael wie das „Mandarin Oriental“ in München und der „Breidenbacher Hof“ in Düsseldorf. Der Berliner war Mitbegründer von „Regent” und verkaufte seine die Branche prägenden „Rafael Hotels” im anno 2000 an das Unternehmen „Mandarin Oriental“. Sein Einfluss ist in jedem der Häuser jedoch weiterhin sicht- und spürbar.
Das Genfer Haus ist primär auf Konferenzen und Tagungen ausgerichtet und namhafter Staatsbesuch längst Alltag. Auch die Präsidenten und Funktionäre der Vereinten Nationen nächtigen und speisen hier, außerdem die Topmanager der vielen ortsansässigen Privatbanken und berühmten Uhrenmanufakturen.
Für echte Fehler bräuchte man eine Lupe
Die Mitarbeiter des Hotels sind ohne Ausnahme herzlich, hilfsbereit und zuvorkommend. Generaldirektor Paul Jones lebt die Gastfreundschaft vor und weiß: „Nur wenn ich selbst mit gutem Beispiel vorangehe, kann ich das gleiche von meinen Mitarbeitern erwarten.” Dieser Ansatz fruchtet. Die Concierges freuen sich regelrecht, wenn sie ihre Stadtkenntnisse an die Gäste weitergeben können. So empfehlen sie mir zum Beispiel einen Besuch des südlich gelegenen Bohème-Viertels namens Carouge, das mit seinen kleinen Gässchen und den vielen Cafés, Restaurants und Boutiquen an ein italienisches Dorf erinnert.
Fazit: Das Mandarin Oriental in Genf besticht durch seine Lage am Wasser, eine perfekte Willkommenskultur und auffallende Makellosigkeit: vom Zimmer über Gym sowie Spa, die Terrasse und den Roomservice. Wer hier Patzer entdecken möchte, müsste schon mit der Lupe zu Werke gehen. Und außer den Genfer Uhrmachern wird das wohl keiner tun.