Capital: Herr Schulze, für Ihren kometenhaften Aufstieg in der Hotellerie haben Sie mit 14 die Schule abgebrochen. Würden Sie das heute noch einmal tun?
HORST SCHULZE: Ich habe über die Jahre natürlich die Berufsschule besucht und zig Kurse an renommierten Institutionen wie der Cornell University genommen – meist im Sommer, als Summer School. Aber mit einer Ausbildung an einer Hotelfachschule oder einem relevanten Studium wird man vom Start weg anders wahrgenommen. Ich musste mich stärker beweisen, höchsten Einsatz zeigen und knüppelhart schuften. In meinem ersten Job als Wirtschaftsdirektor eines großen Hotels habe ich ein Jahr lang keinen einzigen Tag freigenommen. Nicht an meinem Geburtstag, nicht für Weihnachten. Nie.
Ihr weltweiter Branchenruhm begann dann 1983 mit einem Anruf aus Atlanta.
Eine Gruppe von Immobilieninvestoren hatte zwei Hotels in der Südstaaten-Metropole errichtet und wurde sich mit den Hotelgesellschaften, unter deren Markenflaggen sie laufen sollten, schlicht nicht einig. Stattdessen wollten sie nun jemanden, der aus den zwei Hotels die Keimzelle für die „beste Hotelgruppe der Welt“ machen könnte. Das hat mich gereizt, weil man mir Carte blanche gab. Und zwar 19 Jahre lang. Und als wir auf fünf Kontinenten aktiv und fast überall in der Luxusklasse Marktführer waren, hörte ich auf.
Im Ruhestand waren Sie nur wenige Tage, 2002 gründeten Sie die Hotelkette Capella, spezialisiert auf „Über-Luxus“. Was wollten Sie dort verwirklichen, wozu Ihnen bei Ritz-Carlton die Möglichkeit fehlte?
Ich beobachtete damals einen Trend zum Überluxus, und diese Klientel gab in Umfragen an, dass sie größere Gruppen, Meetings und Konferenzen in einem Hotel stören und von einer Buchung abhalten würden. Bloß brauche ich für Häuser von um die 200 und mehr Zimmern definitiv ab und an größere Events. Einzelne High-End-Häuser gab es natürlich schon, aber nur wenige Gruppen. Das wollte ich schaffen. Unser erstes Capella-Hotel in Singapur hatte 100 Zimmer. Da brauche ich bei einem durchschnittlichen Aufenthalt von drei Tagen und je zwei Menschen im Doppelzimmer nur 34 Buchungen. So eine Zahl kann ich ganz anders betreuen, persönlich anrufen und umsorgen. Dass die Häuser auch nach meinem Verkauf der Gruppe 2017 weiterhin Preise gewinnen, gibt dem Konzept recht, würde ich sagen.
Was ist eigentlich exzellenter Service?
Wenn ein Bräutigam im Honeymoon in Cancun seinen Ehering am Strand verliert und die Hotelmitarbeiter extra vier Metalldetektoren kaufen, um nach ihm zu suchen – bestenfalls erfolgreich.
Wie beurteilen Sie die Luxushotellerie aktuell, was sehen Sie kritisch?
Ich finde es beunruhigend, wenn sich Hotels, und zwar selbst solche mit gutem Namen, zunehmend als reine Ressource begreifen, als ein Platz zum Schlafen. Sicher, das Bett muss hochwertig, bequem und kuschelig sein, aber das ist doch nicht das ganze Hotelerlebnis. Es geht um ein Gefühl des Willkommenseins, weil sich Menschen kümmern, einem freundlich begegnen, weil das Essen schmeckt und man alles hat, was man braucht. Und mehr. In ein Luxushotel geht man nicht, um dort bloß zu schlafen. Oder auf einem Smartphone herumzuklicken, damit endlich das Leselicht auf dem Nachttisch erlischt. Hotels, deren Konzept und Team von Herzen „Wir sind für Sie da“ sagen, werden die Gewinner sein und bleiben.
Ihre Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern gilt als legendär. Hat die Branche das etwas vernachlässigt?
Meine wichtigste Botschaft war immer: Ihr seid Damen und Herren in den Diensten anderer Damen und Herren. Keine Diener. Gäste wollen sich wohlfühlen, und das muss man systematisch aufbauen und sicherstellen. Ich kann nicht in meinem Büro in Atlanta sitzen und hoffen, dass in Schanghai die Barkeeper nett sind. Das braucht eine Basis, die sich Tag für Tag wiederholen und weltweit ausrollen lässt. Wobei dort das Prozesshafte der „Hospitality Industry“ aufhört. Ein Begriff, den ich nur bedingt mag. Denn zum Leben erwecken müssen jedes System miteinander interagierende Menschen. Und die brauchen dafür einen höheren Sinn. Das habe ich bei jedem Oberkellner im Kurhaus gelernt, mit 14 Jahren.
Wenn Sie noch einmal ein Hotel eröffnen könnten, was würde Sie konkret reizen?
Ich würde zunächst den Luxuskunden von heute genau zuhören, gerade den jüngeren, der Generation Z. Wollen die wirklich noch Grandhotels wie vor 50 Jahren mit Kronleuchter, Marmor und Ölgemälden, wenn sie in löchrigen Jeans und mit Kopfhörern auf den Ohren einchecken? Wollen die in einem Museum schlafen? Ich bezweifle das, aber die Details muss man ergründen.
Was würden Sie noch anders, besser machen wollen?
Mir wäre wichtig, dass sich hinter Begriffen wie Spa und Wellness mehr verbirgt als eine Sauna und zwei Massageliegen. Das ist leider sehr oft selbst in teuren, etablierten Hotels der Fall. Das geht ganzheitlicher, das müssen Wohlfühloasen sein. Außerdem wäre es für Businessreisende schon gut, wenn sich Steckdosen fürs Bügeleisen auch dort befinden, wo man sein Sakko kurz glätten will, also im Ankleidezimmer und nicht am Bett oder im Bad. Und schließlich würde ich die festen Check-in- und Check-out-Zeiten abschaffen. Es ist doch lächerlich, dass Gäste mit späterem Heimflug dann in der Lobby abhängen oder mit Koffer am Strand sitzen müssen.