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Filmfestspiele Berlinale in der Krise - wo bleibt Claudia Roth?

Plakate für das Filmfestival Berlinale stehen am Potsdamer Platz
Die Berlinale hat an Strahlkraft eingebüßte
© Philipp Znidar / picture alliance/dpa
Die Berlinale beginnt wieder, aber nicht in guter Verfassung. Jemand muss dem Filmfest dringend neue Impulse geben. Sonst ist auch der Kulturstandort Deutschland betroffen

Gemessen am Selbstverständnis als Kulturnation hat Deutschland wenige Kulturereignisse, die international ausstrahlen. Bei den beiden wichtigsten, der Documenta und der Berlinale, ist gerade der Wurm drin. Das ist in beiden Fällen nicht durch Zufall oder Pech so gekommen. Aber falls es dabei bleibt, wird es Auswirkungen auf den kulturellen Widerhall haben, den unsere Ecke der Welt erzeugen kann. Somit geht es in den nächsten zehn Tagen in Berlin nicht nur um ein paar Filme und viele Tausende Cineasten, sondern um mehr: den Kulturstandort Deutschland.

Bei der Documenta mag nach dem Desaster vom Sommer 2022 noch etwas Zeit für die Rettung sein, bei der Berlinale läuft die Frist von dieser Woche an. Ab Donnerstag soll am Potsdamer Platz in der Hauptstadt nach zwei sehr eingeschränkten Coronajahren endlich wieder eine Ausgabe des Filmfestes in seiner vollen Pracht laufen. Und auf den allerersten Blick wird man vielleicht die Krise gar nicht sehen: „Twilight“-Star Kristen Stewart als jüngste Jurypräsidentin aller Zeiten; der Eröffnungsfilm „She Came To Me“, mit – unter anderem Anne Hathaway; und dann am Tag darauf die Weltpremiere von „Superpower“, der lange erwarteten Dokumentation von Sean Penn über den Ukrainekrieg. Später kommt noch Steven Spielberg, um einen Ehren-Bären für sein Lebenswerk in Empfang zu nehmen. All das mag für einen Moment so aussehen wie früher. Früher, vor der Pandemie. Als das Berliner Filmfestival Neues im Weltkino ans Licht brachte. Als es relevanten Themen und Positionen eine große Bühne bereitete. Und als es ein bisschen Rote-Teppich-Glitter in den trüben Berliner Februar brachte.

Ende Februar, Anfang März vor drei Jahren war das Coronavirus in Europa schon in Umlauf, als auf der Suche nach jenen Impulsen, jenen Themen und jenem Glitter zum letzten Mal Hunderttausende aus aller Welt in Berlin in die Festivalkinos strömten. Wenige Tage später begann der allererste Lockdown und damit auch für die Kultur eine neue Zeitrechnung. Sich auf diese einzustellen aber haben die Berlinale-Verantwortlichen, obwohl sie zeitlich so nah dran waren und nur um ein Haar vom Virus verschont blieben, leider versäumt. Ja, wenn sie dieses Mal viel Glück haben, erreichen sie nach der langen pandemiebedingten Rumpelstrecke mit Organisations-Hin-Hund-Her, Unentschlossenheit, halbgaren Krisenreaktionen und im letzten Jahr halbgefüllten Kinos dieses Jahr immerhin annähernd die Zuschauerzahlen von damals. Zweifellos sind die Anwesenheit und Begeisterung eines großen Publikums der größte Trumpf, den das Berliner Festival gegenüber seinen langjährigen Widerparts hat, den Filmfesten von Venedig und Cannes. Doch selbst wenn es gelänge, dass die Leute wieder kommen von fern und nah: Es wäre eine Illusion, dass das Ereignis wie früher funktionieren kann. Denn die Probleme der Berlinale haben schon vor Corona begonnen

Die Berlinale hat drei Problemfelder

Somit werden die inhaltlichen, wirtschaftlichen und die Führungsprobleme der Berlinale in diesem Jahr bei genauerem Hinsehen von Anfang kaum übersehbar sein. Erstens: Das Festival gibt in Programm und Struktur immer noch keine Antwort auf die Veränderungen von Kino und bewegten Bildern, von Publikum und (digitaler) Öffentlichkeit, und von der Film- und Medienwirtschaft, in der die Bilder entstehen. Die Antwort müsste ein moderneres Filmfest sein, das die Pandemiezeit genutzt hat, sich zu erneuern. Es müsste jünger und digitaler sein, es dürfte zwar dem alten Kino huldigen, aber nur wenn es sich gleichzeitig stärker für Serien, Clips und Erzählformen öffnet, die überwiegend auf elektronischen Bildschirmen konsumiert werden. Sicher, es gibt dieses Jahr erstmals einen Serien-Preis. Und, so viel Digitalität geht, immerhin wurden Papiertickets (und damit auch die legendären Besucherschlangen vor den Kassen) abgeschafft.

Aber um wirklich in die neue Zeit zu gehen, müsste das Label Berlinale für bewegte Bilder stehen, egal wo sie laufen. Das Fest müsste mit seinen Filmen, soweit es geht, digital präsent sein, nicht nur an den zehn Festivaltagen im Februar, sondern das ganze Jahr. Es müsste sein Markenzeichen, den stolzen Bär das ganze Jahr über in die Kinosäle und auf die Screens der Welt bringen. An Konzepten dafür haben die Festivalchefs in den drei Übergangsjahren nicht gearbeitet. Stattdessen versuchen sie möglichst weitgehend da weiterzumachen, wo die Pandemie einen Schnitt gemacht hat. Dabei hat das Festival das Problem buchstäblich vor seiner Haustür: Am Potsdamer Platz, wo sich die Berlinale seit über 23 Jahren ihr Zentrum hat, klafft nicht nur auf der Zufahrt zum Premierenpalast eine symbolisch große Baugrube – die Kinolandschaft ist weitgehend implodiert. Die beiden Hauptfestival-Großkinos stehen nicht mehr für das Publikum zur Verfügung. Sie haben zugemacht (Cinestar) beziehungsweise werden auf ein reduziertes Maß zurückgebaut (Cinemaxx).

Zweitens: Es gelingt immer weniger, das Festival angemessen zu finanzieren: Sponsorengelder brechen weg. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, deren Haus traditionell etwa 40 Prozent des Budgets finanziert, musste 2,2 Mio. Euro zusätzlich nachschießen. Ein Beispiel für das schwindende wirtschaftliche Potenzial des Festes ist das Fahrdienstsponsoring, dessen Erwerber mit seinen Limousinen die Stars bis zum Roten Teppich bringen darf. Alle deutschen Edelautohersteller hatten diese Rolle mal inne, Mercedes-Benz, Volkswagen, BMW und zuletzt Audi. Volkswagen schmiss zu seiner Zeit Abend für Abend rauschende promigespickte Parties im einschlägig bekannten Restaurant Borchardt. Audi stellte eine riesige Lounge vor das Premierenkino und bot der Öffentlichkeit Starwatching und filmphilosophische Veranstaltungen.

Dieses Jahr nun werden die Filmteams von den Hybrid-Toyotas des Fahrdienstes Uber herangekarrt. Das wäre in Ordnung, wenn der US-Fahrdienst genauso viel zahlt, wie die Luxusautobauer, was zu bezweifeln ist. Aber selbst dann wirft es ein Licht auf die fehlende und schwindende Strahlkraft des Festivals, dass es in den Topetagen der deutschen Industrie keine Begehrlichkeit mehr wecken kann, sich mit ihm zu schmücken. Auch der französische Kosmetikhersteller L’Oréal ging nach Jahrzehnten als Hauptsponsor verloren.

Der Fahrdienst Uber ist Sponsor der Berlinale, die großen deutschen Automarken haben sich zurückgezogen
Der Fahrdienst Uber ist Sponsor der Berlinale, die großen deutschen Automarken haben sich zurückgezogen
© IMAGO / Future Image

Es wäre ein Irrtum, wenn man solchen Dingen Relevanz auch für die kulturelle Wirkung des Filmfestes abspricht. Die Berlinale, das war immer ein kurzer Moment, in dem Wirtschaft, Politik, berühmte-Leute-Illustriertenwelt und eben ganz normale Leute von außerhalb der Kultur- und anderer Blasen mit einer sehr komplexen Hochkultur Schnittmengen fanden. Und auch das macht den sozialen Impact einer solchen Veranstaltung aus. Abgesehen mal von der Finanzierungslücke gilt also: Das ganze Drumherum – wer schmeißt Parties, wer kommt in die Stadt (selbst wenn er keinen einzigen Film sieht), wer berichtet vom roten Teppich – all das schafft erst die Aufmerksamkeit, von denen filmästhetische und politische Positionen der Festivalfilme profitieren, die ohne all das im Schatten blieben.

Drittens: Der Berlinale fehlt es in ihrem Programm an Autorität und Anspruch. Das sieht man in diesem Jahr, soweit man das vor dem Anschauen der Wettbewerbs- und anderer Filme sagen kann. Autorität und Anspruch sind aber die wichtigste Währung einer solchen Veranstaltung. Die Programmleitung der Berlinale hat die Chance, mit ihrer Auswahl Filme gewissermaßen zu labeln, ihnen also das Etikett Berlinale mitzugeben, wenn diese später ihren Weg machen. Hier müssten Filme und Filmschaffende des Weltkinos entdeckt werden, hier müssten sie sich gebunden und zu Hause fühlen. Ein Preis auf diesem Festival sollte ein Versprechen auf ein größeres Publikum sein. Als noch unter Angela Merkel die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor fünf Jahren eine neue Leitung für die Berlinale suchte und den langjährigen Festival-Impresario Dieter Kosslick zumindest unsanft vor die Tür bat, da ging es genau darum: Dem Programm der Berlinale wurde Beliebigkeit vorgeworfen. Die neue Führung unter dem früheren Leiter des Locarno-Festivals Carlo Chatrian (Programm) und der vormaligen Filmfunktionärin Mariette Rissenbeek (Organisation) versprach also eine Richtung.

Zu wenig Vielfalt im Programm

Zu denen, die den Vorwurf damals äußerten gehörte auch der Filmregisseur Christoph Hochhäusler. Immer wieder nannten er und seine Verbündeten, eine Handvoll deutscher Filmkritiker, allen voran die Namen Christian Petzold und Angela Schanelec. Alle drei Filmemacher sind Vertreter der so genannten „Berliner Schule“ die für streng gebaute Filme mit reduzierter Ästhetik steht. Es ist sicher kein Zufall, dass Hochhäusler, Petzold und Schanelec nun dieses Jahr alle drei in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurden. Dazu kommt ein weiterer Film einer Berliner Regisseurin, Emily Atef und einer von Altmeisterin Margarete von Trotta.

Ob aber fünf Filme aus Deutschland in einem auf 19 Filme abgespeckten internationalen Wettbewerb eine gute Idee sind, wenn ganze Kontinente und Kulturräume unberücksichtigt bleiben? Und warum zeigt die Berlinale den Film Tár mit Cate Blanchett und Nina Hoss in einer großen Gala, der doch schon im September in Venedig einen Preis gewonnen hat? Beliebigkeit mag unter Chatrians Vorgänger manchmal ein Problem gewesen sein. Fehlende Vielfalt kann aber ebenso zum Problem werden. Und zum Anspruch eines großen Filmfestivals gehört Exklusivität, das, was Festivalchefs früher, als frivole Anspielungen noch gängiger waren, das Recht der ersten Nacht nannten.

Die Probleme bei der Berlinale sind – ebenso wie bei der Documenta – vor allem Führungsprobleme: Führungspersonal und Führungsstrukturen. Und verantwortlich dafür, diese Probleme rasch zu lösen, ist in beiden Fällen Kulturstaatsministerin Roth, deren Amt im Fall der Berlinale sogar als Veranstalterin auf jedem Plakat, auf jeder (digitalen) Kinokarte steht. Das Problem mag beim Programm etwas weniger gravierend sein, vielleicht muss Programmdirektor Chatrian seine strenge Linie nach dem Corona-Kuddelmuddel stärker ausspielen. Im Fall der organisatorischen Verantwortung muss aber Roth schnell handeln, zumal Direktorin Rissenbeek ohnehin das Rentenalter erreicht.

Die Berlinale muss ein Kulturereignis werden, das strahlt. Das kann sie nur, wenn sie auf allen Ebenen Aufmerksamkeit erregt. Dazu muss sie von einer Person gemanagt werden, die diese Kraft entwickeln kann. Selbst das viel glanzvollere Festival in Cannes, das corona- und digitalisierungsbedingt ebenso vor Problemen steht, hat im vergangenen Jahr einen mutigen Schritt gewagt: Es hat zur Präsidentin ernannt eine Frau, die in vielerlei Hinsicht für alles steht, was in der französischen Kulturelite verachtet wird: Die gebürtige Münchnerin Iris Knobloch ist nicht nur keine Französin, sie hat zudem jahrelang für das Hollywoodstudio Warner Bros. gearbeitet, und zuletzt ein sehr finanzmarktorientiertes Gebilde geleitet, einen Börsenmantel für (mutmaßlich) Medieninvestoren. Die Personalie hat signalisiert, dass sie in Cannes verstanden haben, wie notwendig Änderungen sind. Aus Berlin, aus dem Kanzleramt, wo Roth ein schönes Büro hat, ist von solcher Erkenntnis nichts zu hören. Das muss sich schleunigst ändern. Es geht, wie gesagt, um den Kulturstandort Deutschland.

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