Kürzlich las ich einen Bericht über das Bewertungsportal Kununu. Dort können Beschäftigte ihre (Ex-)Arbeitgeber bewerten, und das tun sie auch – manchmal kurz und knackig, manchmal in epischer Breite. Letzteres meist, wenn die Beschäftigten Negatives zu berichten haben über respektlosen Umgang, das Pressen von Überstunden, geringes Gehalt etc.
Nun scheint es so zu sein, dass immer mehr der so geschmähten Arbeitgeber (wir reden natürlich von negativen Bewertungen) zurückkeilen. Manchmal mehr, manchmal weniger professionell. So zeigen sich auf beiden Seiten menschliche Enttäuschungen und verletzte Gefühle, manchmal Rachsucht oder auch einfach Ratlosigkeit, wie man sich aneinander nur so täuschen konnte.
Wir reden übereinander, nicht miteinander
Nun weiß man aus der psychologischen Forschung schon lange, dass ein asynchrones Medium wie eine Bewertungsplattform (oder auch zum Beispiel E-Mail) für eine Diskussion wenig geeignet sind. Als Faustregel gilt: Wo immer man Dinge dokumentieren muss, funktioniert Schriftliches besser. Wo man Dinge diskutieren muss, funktioniert das Mündliche, Direkte besser. Insoweit spiegeln die Kununu-Bewertungsspiele eine Form der erstarrten Diskussion, eine Kommunikation der absurden Art. Und das Wesen der Kununu-Bewertungen offenbart eine grundsätzliche Schwäche: Man redet übereinander, aber nicht direkt miteinander.
Für Kununu ist das ein tolles Geschäftsmodell. Solange sich Leute mies behandelt fühlen und sich Arbeitgeber rechtfertigen wollen (beides menschliche Instinkte), dürfte die Zukunft des Unternehmens gesichert sein. Nur eine Problemlösung ist das nicht – weder für die enttäuschten Beschäftigten noch für die Arbeitgeber. Dazu müsste Kununu beispielsweise vertrauliche Räume zur Konfliktlösung und zur Mediation anbieten; das aber wäre ein ganz anderes Geschäftsmodell.
Kununu ist überall
Jetzt kann man einwenden: Kununu ist ein Spezialfall. Schließlich ist es der Job des Bewertungsportals, ein Meinungsforum aus Rede und Widerrede herzustellen. Aber das Problem der kommunikativen Ignoranz reicht tiefer. Es grassiert längst in sehr vielen Organisationen – die dann wiederum an ungelösten Konflikten, Missverständnissen oder schlechter Arbeitsatmosphäre leiden. Dabei gäbe es für Organisationen relativ einfache Möglichkeiten, das „Kununu-Phänomen“ zu vermeiden:
#1 Erfolgreiche Unternehmen schaffen Räume für Kommunikation
Auch wenn manch eingefleischter Controller oder BWLer das nicht gerne hört: Kommunikation ist ein Wert an sich. Gelingende Kommunikation reduziert Missverständnisse, Konflikte und Komplexität. Es schafft eine Kultur der Akzeptanz und des Respekts – was sich wiederum auf Produktivität, Zufriedenheit und Fluktuation auswirkt. Es lohnt sich daher für ein Unternehmen, in Zeiten und Räume für Kommunikation zu investieren.
Damit sind nicht klassische Meetings gemeint; davon haben wir sowieso schon zu viele. Es geht um echte Begegnung. So gibt es beispielsweise im Methodenkoffer der Liberating Structures das Format des „Conversation Café“, mit dessen Hilfe Menschen auf eine strukturierte, konfliktfreie Art und Weise ihre Hoffnungen, Sorgen oder Ideen zu einem bestimmten Thema äußern können. Sie werden gehört - und sie reden miteinander, nicht übereinander.
#2 Erfolgreiche Unternehmen erhöhen die Wahrscheinlichkeit „unwahrscheinlicher Kommunikation“
Mit welchen Menschen im Unternehmen unterhalten Sie sich während Ihrer Arbeitswoche? Oft sind es die gleichen Menschen, mit denen wir uns unterhalten. Zeit ist knapp, unsere Aufgaben definiert und daher in der Regel auch der Kreis unserer Ansprechpartner. Diese Routinen verkürzen jedoch unsere Perspektive und verhindern das Kennenlernen anderer Blickwinkel und Erwartungen.
Ich lade Sie ein, einmal im Monat ein Treffen für „unwahrscheinliche Kommunikation“ einzuberufen. Dafür bringen Sie Menschen im Unternehmen zusammen, die im Arbeitsalltag wenig oder nichts miteinander zu tun haben. Benennen Sie ein Thema, zu dem Sie Ideen oder Lösungsvorschläge brauchen, und sammeln Sie mit Hilfe der – hoffentlich – ziemlich unterschiedlichen Menschen deren Vorschläge und Meinungen. Erweitern Sie, wenn Sie möchten, diesen Arbeitskreis mit Menschen außerhalb Ihres Unternehmens.
#3 Erfolgreiche Unternehmen investieren in professionelle Kommunikation
Jedes Produkt, jedes Konzept, jede innovative Idee war einmal der Gedanke eines Menschen. Vom Klopapierhalter bis zum Düsenantrieb haben Menschen gute Ideen, tauschen sich aus, verfeinern gemeinsam ihre Ideen, streiten sich und machen weiter – auf Grundlage gelingender Kommunikation. Wenn's gut läuft, haben alle etwas davon: die Mitarbeiter, das Unternehmen und die Kunden.
Ich bin deswegen immer wieder erstaunt, wie wenig Unternehmen in professionelle Kommunikation investieren. Das fängt beim Führen von persönlichen Gesprächen an und hört bei der Gestaltung und Moderation von Meetings noch lange nicht auf. Dabei ist professionelle Kommunikation der Schlüssel für erfolgreiche Zusammenarbeit. Meiner Meinung nach wäre es hilfreich, wenn alle Mitarbeiter eines Unternehmens in professioneller Gesprächsführung und Konfliktkommunikation geschult werden – nicht nur die Führungskräfte. Es nützt nichts, wenn auf der Schiffsbrücke höflich parliert wird, während sich im Maschinenraum die Leute anbrüllen.
Das ist für mich persönlich die Lehre aus dem Kununu-Bericht: Wir sollten miteinander reden, nicht übereinander. Und das in einer professionellen Art und Weise, für die wir ausgebildet werden müssen – denn die ist uns nicht in die Wiege gelegt. Und diese Investition lohnt sich, für den Arbeitgeber, die Beschäftigten und die Kunden.