Anzeige

Lars Vollmer Der Faeser-Effekt: Moralauftrag ohne Leistung

Lars Vollmer
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
Moralische Überlegenheit kommt vor dem Fall. Leicht abgeändert, und trotzdem ein richtiges Sprichwort, meint Kolumnist Lars Vollmer. Was Unternehmen daraus für den Erfolg lernen können

Was war das für ein Aufsehen im letzten November bei der WM in Katar: Nancy Faeser, als Innenministerin auch für den Spitzensport zuständig, sitzt mit trotzigem Gesichtsausdruck und der One-Love-Binde am Arm auf der Tribüne des Fußballstadions. In Quasi-Vertretung des Kapitäns Manuel Neuer demonstriert sie der Welt den hohen moralischen Anspruch des deutschen Teams.

Bekanntermaßen ging der Schuss nach hinten los.

Anspruch und Wirklichkeit

Die vermeintlich überlegene deutsche Mannschaft verliert ihr Auftaktspiel gegen Japan und scheidet noch in der Vorrunde aus. Eklatanter könnte die Kluft zwischen Größe des moralischen Anspruchs und Größe der sportlichen Leistung kaum sein.

Nancy Faesers Auftritt mag ehrenwert gemeint gewesen sein, doch in dieser Situation erntete sie damit nur Häme und Spott – und ihr Anliegen gleich mit. Der Botschaft, die sie setzen wollte, erwies sie mit ihrer Aktion einen Bärendienst.

Diesen Faeser-Effekt erleben auch Unternehmen, die vor lauter Moral ihre wichtigste Aufgabe vergessen: die versprochene Leistung für ihre Kunden zu bringen.

Referenz und Priorität

In meiner letzten Capital-Kolumne hatte ich Ihnen dargelegt, warum es die wichtigste Funktion von Führung ist, die Aufmerksamkeit ihrer Organisation richtig zu lenken. Denn diese Ausrichtung der Aufmerksamkeit definiert den Referenzpunkt und die Prioritäten bei der Ressourcenvergabe. Alle Bereiche außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus werden unter der Bedingungen von Knappheit zwangsläufig weniger bedacht.

Lenkt die Führung nun die Aufmerksamkeit des Unternehmens vorrangig auf den moralischen Anspruch, nimmt sie diese automatisch weg von der Leistung für den Kunden und damit der Wertschöpfung. Und das hat mit hoher Wahrscheinlichkeit über kurz oder lang zur Folge, dass diese Wertschöpfung leidet. Aber eben nicht nur die.

Sehen Sie sich zum Beispiel Bahnchef Lutz an.

Mit veganer Wurst gegen Hass und Gewalt

Ist Ihnen übrigens schon mal aufgefallen: „Bahnchef“ scheint sein Vorname zu sein. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, jemals in einem Artikel einen anderen Namen gelesen zu haben. Aber seine Vorgänger hießen ja auch schon so.

Diesem Bahnchef Lutz jedenfalls können Sie fast täglich in den Medien dabei beobachten, wie er moralische Appelle streut. Mal beißt er hochvergnügt in eine vegane Bratwurst, wie sie seit einiger Zeit im ICE-Restaurant serviert wird. Mal hält er, öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt, eine Laudatio für die Preisträger des Wettbewerbs „Bahn-Azubis gegen Hass und Gewalt“.

Wie es gleichzeitig mit der Wertschöpfung der Deutschen Bahn bestellt ist, wissen Sie ebenso gut wie ich …

Natürlich ist die Wertschöpfung bei der Deutschen Bahn eine reichlich komplexe Angelegenheit. Und natürlich fällt ein Stellwerk nicht aus und gehen Weichen nicht kaputt, weil Bahnchef Lutz lustvoll in seine vegane Wurst beißt. Dafür gibt es eine Menge anderer Gründe. Aber sicherlich wäre jeder einzelne Grund es wert, die Ressourcen der Bahn darauf zu bündeln, statt auf die Zurschaustellung von moralisch einwandfreiem Essen im Bordrestaurant.

Tut Lutz denn wenigstens mit seinem Fokus der guten Sache etwas Gutes? Ich befürchte nicht.

Der Faeser-Effekt

Moralische Botschaften von Unternehmen können, wenn überhaupt, nur dann greifen, wenn sowohl die Integrität der Person als auch die Integrität des Unternehmens gewährleistet ist – also beide halten, was sie versprechen. Doch solange die Pünktlichkeit der Bahn bei nur gut der Hälfte der Züge liegt und das Fahrgasterlebniss in vielen Fällen ungenügend ist, finden die gut gemeinten Appelle von Bahnchef Lutz höchstens bei denen Applaus, die schon vorher von der jeweiligen Sache überzeugt waren. Alle anderen fühlen sich eher für dumm verkauft und übertragen dieses negative Gefühl auch noch auf das arme vegane Würstchen, das nun mal gar nichts dafür kann.

An diesem Problem knabbern nicht nur Unternehmen, sondern zum Beispiel auch die großen Kirchen.

Klima statt Gott

Wenn Sie sich das Programm des letzten Deutschen Evangelischen Kirchentags ansehen, ist der mit Abstand meist erwähnte Begriff nicht »Gott«, sondern »Klima«. Die Nähe zu wem oder was war nochmal das Leistungsversprechen der Institution Kirche an ihre »Kunden«? Der Mitgliederschwund scheint jedenfalls so nicht aufzuhalten zu sein.

Den Faeser-Effekt können Sie aber nicht nur dort beobachten, wo Unternehmen oder Institutionen ihren Anspruch anmelden, die ganze Welt zu retten. Den Effekt gibt es auch im Kleinen – und da macht er gerade in den Unternehmen heftig Schule.

Für mehr Menschlichkeit?

Unter dem Druck von Fachkräftemangel und nachweislich schlechter Stimmung in der Belegschaft geben Unternehmen vermehrt das Motto aus: »Wir wollen menschlicher werden«. In der Hoffnung, mehr und motiviertere Mitarbeiter zu gewinnen, lenkt die Führung die interne Aufmerksamkeit auf die Erfüllung dieses moralischen Anspruchs.

Doch der Faeser-Effekt führt dazu, dass womöglich genau das Gegenteil eintritt.

Für mehr Hohn?

Bleibt nämlich der Erfolg des Unternehmens aus (oder stellt sich gar nicht erst ein), klaffen also moralischer Anspruch und Wertschöpfung weit auseinander, wird der Anspruch nur noch bitter belächelt. Dabei ist es sogar erst einmal egal, ob das Unternehmen die Leistung wegen oder trotz des Fokus auf die gute Sache der »Menschlichkeit« nicht bringt. Tatsache ist, dass ich kein einziges nicht erfolgreiches Unternehmen kenne, in dem die Stimmung unter den Mitarbeitern anhaltend gut ist.

Und wenn es dann gar noch zu Entlassungen kommt, klingt das »menschlicher werden« endgültig wie Hohn.

Für mehr Erfolg!

Der größte Motivator für Mitarbeiter sind (gemeinsame) Leistung und Erfolg. Und die Chancen, den zu erreichen, steigern Sie am ehesten, wenn Sie als Führungskraft alle Aufmerksamkeit auf die Wertschöpfung lenken.

Das ist Ihr Job. Meine ich.

Oder was meinen Sie?

PS: Ich bin dann mal weg. Mein Töchterchen hat ihr Abitur in der Tasche und geht in die Welt. Und das stolze Väterchen darf zurück in seine gefühlte Heimatstadt Barcelona. Die Vorfreude überstrahlt bei uns beiden den Stress von Wohnungsauflösung und Suche nach einer neuen Bleibe da draußen. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Sommer ganz im Zeichen der Wertschöpfung!

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den aktuellen Krisen die Idee einer Verantwortungsgesellschaft entgegen.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel