Peter Brandl ist Kommunikationsprofi, Berufspilot, Unternehmer, Fluglehrer und Autor. Seit über 20 Jahren gehört er zu den gefragtesten Vortragsrednern im deutschsprachigen Raum. Zuletzt erschien im Gabal Verlag sein Buch "Hudson River. Die Kunst schwere Entscheidungen zu treffen" www.peterbrandl.com
Stellen Sie sich vor, Sie wären Pilot oder Pilotin. Die Ausbildung war Stress pur, aber die Mühen haben sich gelohnt. Sie haben das erste Mal diese coole, blaue Uniform mit den goldenen Streifen am Ärmel an, und heute ist Ihr erster aufregender Tag als „richtiger“ Pilot. Sie steigen ins Cockpit und nehmen selig lächelnd Platz. Der rechte Sitz ist Ihrer – der Platz des ersten Offiziers. Akribisch machen Sie den Flieger fit für den Start: Sie programmieren das Flight Management System und absolvieren die letzten Abflug-Checks.
Plötzlich betritt Ihr Kapitän und damit Ihr Chef das Cockpit. Noch bevor er ganz sitzt, spüren Sie: Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Ihr Vorgesetzter mustert sie wie einen Pennäler und giftet: „Tun Sie mir einen Gefallen und reden Sie nur, wenn ich Sie etwas frage. Dann haben wir wenigstens eine kleine Chance, dass Sie nicht dauernd Mist erzählen“.
Schon klar: Vermutlich sind sie weder Pilot oder Pilotin, aber sicher kennen Sie solche oder ähnliche Situationen aus Ihrer Karriere. Fast jeder Mensch hat schon unter solchen Mini-Despoten arbeiten müssen oder ein ähnliches Betriebsklima erlebt.
Potenzialbremse: Führung, die Fragen unterdrückt
Leicht ist es da nicht, sich Gehör zu verschaffen. Wenn Sie wegen irgendetwas Bedenken hegen, wie leicht fällt es Ihnen, diese auch zu artikulieren? Wenn Sie in einer Sackgasse stecken, wie leicht fällt es Ihnen, unter diesen Umständen um Hilfe zu bitten? Könnte es sein, dass Sie Ihre Bedenken einfach unter den Tisch fallen lassen oder ein Projekt auf die lange Bank schieben, einfach weil Sie an einer Stelle nicht weiter wissen?
Zurück aus der Luft auf die Erde: Stellen Sie sich Ihre Situation noch einmal vor – diesen Chef und die Stimmung, die er im Unternehmenscockpit verbreitet. Wie leicht fällt es Ihnen, in so einem Betrieb Ihr Potenzial zu entfalten? Wie viel Prozent Ihrer möglichen PS bringen Sie unter diesen Umständen auf die Straße? Ist es nicht so, dass ein Großteil von dem, was Sie leisten könnten, einfach verpufft oder gar nicht erst aktiv wird?
In der Fliegerei gibt es das Konzept des „Crew Resource Managements“. Und im Unternehmen? Wenn wir im Flieger Ressourcen derart verschwenden, stehen wir morgen in der Zeitung. In Unternehmen kostet diese Verschwendung Geld, und zwar eine Menge.
Jetzt mal andersrum
Hat es eben noch der Chef verbockt, drehen wir die Geschichte einmal um. Sie sind der immer nette Flugkapitän oder dessen weibliches Pendant. Ihr neuer Offizier hat Sie in der Halle glatt übersehen, weil seine Finger virtuos über die Handytastatur flitzen mussten. Das fing ja schon gut an. Und im Cockpit haben Sie schon mehr Begeisterung erlebt. Irgendwie macht ihr neuer Partner alles, was zu machen ist, aber sie werden ein Gefühl nicht los: Selbst auf 10.000 Meter hat der noch viel Luft nach oben…
Die gleiche Situation im Unternehmen: Höchste Zeit für eine Kurskorrektur. Für die Wahl des besten Personals gibt es hervorragende Tools und tolle Headhunter. Haben Sie dann endlich die richtigen Mitarbeiter, stellt sich die Gretchenfrage: Wie kann deren Potenzial optimal genutzt werden? Wie können wir unsere Ressourcen optimal managen? Gleiche Kosten, höherer Output: Klingt super, aber hat was von Ostern und Weihnachten an einem Tag?
Das „Crew Ressource Management“ aus der Fliegerei liefert eine Menge Ansätze, wie sich eine Kultur schaffen lässt, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimal performen und maximalen Nutzen für das Unternehmen stiften können. immer vorausgesetzt, Sie sind nicht der Despot mit der Kapitänsmütze. Das beginnt mit der produktivsten Art, mit Fehlern umzugehen, und reicht über clevere Kommunikationsstrategien bis zur erfolgreichen Führungskultur.
Warum nicht einfach fragen?
An dieser Stelle beginnen wir mit dem Naheliegenden. Wenn Ihre Leute unter ihren Möglichkeiten bleiben: Warum fragen Sie nicht einfach nach dem Grund? Aber Stopp! Bitte nicht sofort zum Nächstbesten rennen und fragen: Warum leisten Sie eigentlich nicht mehr? Das geht besser und effektiver. Grundsätzlich ist es immer schwierig, wenn Vorgesetzte diese Fragen selbst und direkt stellen. In ihrer speziellen Rolle generieren sie tendenziell Antworten, von denen der Befragte meint, dass die Chefin oder der Chef sie hören wollen. Ebenso können Sie Ihren Terrier interviewen, warum er das Sofakissen atomisiert hat.
Lassen Sie Fragen anonym beantworten, zum Beispiel mit Fragebogen und einem Briefkasten. Oder Sie finden eine Person, der die Mitarbeiter vertrauen, und die deren Antworten anonymisiert und bündelt. Sicher, völlige Anonymität ist eine Illusion. Und wenn hier der Hase im Pfeffer liegt, haben Sie die Antwort eh schon: Es scheint bei Ihnen nicht möglich zu sein, eine kontroverse Meinung zu sagen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Wenn dem so ist, dann sollten Sie daran etwas tun.
Aber welche Frage kann man stellen?
Als Piloten an Bord lieben wir es einfach und brauchen es schnell. Klartextfragen sind am besten, und je klarer wir fragen, desto konkreter fallen die Antworten aus. Hier ein paar Anregungen:
Auf einer Skala von 1 bis 6 (Schulnoten):
Wie gut ermöglichen wir es Ihnen, sich voll einzubringen? Wie viel Prozent Ihres Potenzials können Sie bisher realisieren?
Was wünschen Sie sich, um effektiver arbeiten zu können?
Was hindert / hemmt Sie?
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie bei uns ändern?
Zugegeben: Umgekehrt, als Novize im Cockpit mit dem Diktator im Nacken, ist das nicht so einfach. Aber wenn Sie konstruktiv fragen, wie Sie Ihrem Cäsar aus der kratzenden Toga helfen können, funktioniert das besser, als wenn Sie zurückblaffen, dass er morgens wohl einen tasmanischen Teufel verschluckt hat.
Wer Fragen sät, wird Antworten ernten
Eine Warnung zum Schluss: Wenn Sie Fragen stellen, bekommen Sie Antworten. Und die könnten Ihnen nicht gefallen. Wenn Sie das verhindern wollen, dann fangen Sie mit dem Fragen gar nicht erst an. Es gibt nur Weniges, das stärker demotiviert, als gefragt zu werden, sich zu öffnen und dann zu sehen, wie alles unter den Teppich gekehrt wird.
Auch wenn Ihnen die Antworten nicht gefallen: Kommunizieren Sie auf jeden Fall das Ergebnis Ihrer Befragung, und kommunizieren Sie, wie Sie mit diesem Ergebnis umgehen. Fragen und würdigen Sie die Antworten, wann und wo immer Sie können: im Job, in der Familie, in jedem Lebensbereich. Kluge Fragen sind das pure Gold der Kommunikation. Der richtige Umgang mit Antworten aber macht den Haufen noch größer.
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