Jochen Schümann ist einer der erfolgreichsten Segler der Welt. Zwischen 1976 und 2000 gewann der 60-Jährige bei den Olympischen Spielen drei Gold- und eine Silbermedaille. Als Sportdirektor führte er im Auftrag eines Schweizer Biotech-Milliardärs das Team Alinghi, das im Jahr 2003 als erstes europäisches Boot den berühmten America’s Cup gewann und ihn 2007 verteidigte. Auch für andere Unternehmen baute Schümann Segelteams auf.
Capital: In vielen großen Unternehmen gibt es ein wachsendes Interesse, Profisportler als Mitarbeiter zu gewinnen. Sind Topathleten die besseren Manager?
Schümann: Bessere nicht, aber der Sport hat einen großen Vorteil: Im Sport ist der Erfolg einfach messbar. Das Gleiche gilt für den Misserfolg. Falsche Entscheidungen im Wettkampf sind sofort für alle sichtbar. Wenn man auch in schwierigen Momenten offen und ehrlich mit sich sein muss, ist das ein Erziehungsprozess. Das stärkt die Persönlichkeit.
Sie haben im Segelsport fast alles gewonnen und für große Unternehmen erfolgreiche Segelteams aufgebaut. Trauen Sie sich zu, einen Konzern zu führen?
Spontan würde ich eher nein sagen. Natürlich habe ich sehr viel Erfahrung, wie man Personal führt. Ich könnte mir auch vorstellen, diese Erfahrung als Berater in eine große Firma einzubringen. Aber für einen Spitzenposten sind auch die Fachkompetenzen entscheidend. Da müsste ich überlegen, welche Branche für mich in Frage kommt.
Was haben Sie an Management-Know-how aus dem Segelsport mitgenommen?
In einem Projekt wie Alinghi habe ich gelernt, mit Technologieentwicklung, Zeitplänen und Budgets umzugehen, und wie ich sportlichen Erfolg planen und organisieren muss. Für solche Projekte entscheidend ist aber in erster Line die Zusammenstellung des Teams. Was das strategische Denken und die Prinzipien des Teamaufbaus angeht, sehe ich deutliche Prallelen zwischen dem Segelsport und Aufgaben im Management.
Nicht entscheiden ist immer ein Fehler
Welche Parallelen meinen Sie?
Als Manager braucht man die richtigen Handwerker in seinem Team – egal ob auf einem Segelboot oder in einem Unternehmen. Die Aufgabe des Managers ist es, die Stärken seiner Fachleute richtig zu erfassen, sie dann zu einem Team zusammenzuführen und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Für eine optimale Teamperformance ist es allerdings zu wenig, die Stärken der Einzelplayer zu addieren. Man muss eine Situation erzeugen, in der sich die Stärken potenzieren.
Was genau können Unternehmen von Segelteams lernen?
Im Prinzip haben es Unternehmen mit sehr ähnlichen Herausforderungen zu tun wie Segelteams. Das Ziel im Rennen ist klar: In Windrichtung liegt die erste Wendetonne, die man als Erster erreichen will. Grundsätzlich muss man sich entscheiden, in welche Richtung man zuerst loskreuzt. Das ist eine ganz strategische Frage. Man bewegt sich allerdings in sich permanent verändernden Bedingungen wie Wind und Strömung. Dann gilt es, von Moment zu Moment neu zu entscheiden: Bleibe ich auf dem Kurs oder wende ich und fahre in die andere Richtung? Die Physik des Segelns zwingt permanent zu einer klaren Entscheidung. Somit ist nicht entscheiden immer ein Fehler. Oft ist das Verzögern von Entscheidungen auch ein Manko bei Projekten in großen Organisationen.
Welche Rolle spielt die Strategie für diese Entscheidungen?
In der Regel hat man sich langfristig für eine bestimmte Strategie entschieden und darin investiert. Man muss drei Schritte voraus denken und in der Lage sein, Probleme zu antizipieren. Deshalb sollte man auch in schwierigen Zeiten mit Selbstvertrauen die eigene Strategie grundsätzlich einhalten: rechts oder eben links auf dem Kurs aufzukreuzen. Natürlich gehen nicht alle Strategien auf wie geplant. Dann muss man Entscheidungen treffen, um die momentanen Verluste zu minimieren und die Strategie den neuen Bedingungen, aber auch der momentanen Ausgangsposition anzupassen. Nur im Ausnahmefall muss und kann man eine Strategie komplett über den Haufen werfen.
Strategien entwickeln, Entscheidungen fällen und sie aus der Situation heraus anpassen: Da geht es vor allem um Führung.
Für mich geht es in erster Linie um Vertrauen und Verantwortung – und zwar in beide Richtungen. Die Führungskraft muss ihren Leuten trauen und das Team seiner Führungskraft. Jeder ist voll verantwortlich für seine spezielle Aufgabe. Auf dem Boot trifft der Skipper die finale Entscheidung. Aber der Weg zu dieser Entscheidung entwickelt sich aus den Gesprächen und den Handlungen aller Beteiligten. Ich sehe Führung eher als einen Prozess, in dem man herausarbeitet, wer was wann und wie zum Erfolg beitragen kann oder wo bereits Fehler gemacht worden sind. Dazu gehört es selbstverständlich, eigene Fehler einzugestehen und die Fehler des anderen zu vergeben. Denn es muss weitergehen.
Das klingt nach flachen Hierarchien.
Die Hierarchien, die es in einem Entscheidungsprozess zwangsläufig gibt, dürfen nicht zu einem Ranking im Team führen. Das Team muss sich auf möglichst flacher Ebene treffen. Im Segeln sollte etwa der Unterschied zwischen dem Bowman, der vorne an Deck arbeitet, und dem Steuermann so klein wie möglich sein. Beide müssen sich auf Augenhöhe gegenüberstehen, um sich schnell abstimmen zu können. Das Gleiche gilt in Führungsprozessen in Unternehmen.
Geht es dann nicht auch ganz ohne Hierarchien?
Nein, ohne Hierarchien geht es natürlich nicht. Im Segelteam hat der Skipper die letzte Entscheidung. Aber er muss so viele Aspekte überschauen, die er alleine gar nicht einschätzen kann. Trotzdem muss der Skipper alles so koordinieren, dass das Boot zu jeder Zeit mit der größten Geschwindigkeit in die richtige Richtung fährt. Dafür braucht er ein eingespieltes Team um sich. Das sind Positionen wie die Trimmer, der Navigator oder der Taktiker, die präzise, harte Fakten und individuelle Informationen emotionsfrei, aber schon mit einer eigenen Wertung verbunden liefern müssen. Auch wenn der Skipper allen in seiner Crew in gleicher Weise vertraut, muss er aus diesen, manchmal auch unterschiedlichen Informationen blitzschnell Entscheidungen für das gesamte Boot treffen, der sich alle unterordnen müssen. Seine Entscheidung ist die Ausgangsposition für alles weitere Handeln und Denken an Bord.
"Das Team ist der Star"
Trotzdem kommt es auch innerhalb von Teams häufig zu Kompetenzgerangel. Wie gelingt es, dass trotzdem alle für das gleiche Ziel arbeiten?
Wir sitzen alle in einem Boot. Da tritt man schon mal jemandem auf den Fuß, das bleibt nicht aus. Idealerweise sind die Entscheidungen richtig und führen zum gemeinsamen Erfolg. Aber die Führungskraft muss immer eine Entscheidung fällen, die dem gemeinsamen Ziel dient und diese dann vor allen klar kommunizieren. Gleichzeitig sollte die Führungsperson einen Ausgleich zwischen den Sichtweisen der unterschiedlichen Experten im Team finden, um alle weiter zu motivieren.
Worauf muss man achten, um ein funktionierendes Team zusammenzustellen?
Der erste Schritt ist es, die richtigen Fachleute zu bekommen. Dann nimmt man die „Rockstars“ heraus, die ein zu großes Ego haben, die wenig anpassungsfähig sind und sich auch nicht anpassen wollen. Das Team ist der Star. Ich persönlich höre genau hin, wenn ich mit Leuten spreche: Wie viel Teamgeist steckt in einer Person? Manchmal muss man aber auch Kompromisse eingehen und mit unbequemen Charakteren umgehen, um die besten Experten für seine Ziele zu gewinnen. Grundsätzlich gilt aber: Sachkenntnis geht vor Ego. Interessanterweise gleichen sich in einem funktionierenden Team viele kulturelle, soziale und charakterliche Eigenarten und die Unterschiede in der Kommunikation schnell an. Ein Team braucht klare Regeln und eine gemeinsame Sprache.
Welche Rolle spielt der Chef für die Atmosphäre im Team?
Der Chef muss selbst mit gutem Beispiel vorangehen – in allen Belangen. Und er braucht vom ganzen Team einen Vertrauensvorschuss, basierend auf bereits erbrachte Erfolge. Der Chef muss ein Ohr an seinem Team haben und hören, was die Leute bewegt, ob sie sich wohlfühlen und ob sie das gemeinsame Ziel verstehen und sich dafür einsetzen. An Bord sind alle Crews auf engem Raum zusammen, sodass wir uns direkt in die Augen schauen können. Das erleichtert den Teambildungsprozess.
Capital-Reportage: Der neue Gold-Standard
Mit dem Zusammenhang zwischen sportlichem und beruflichem Erfolg beschäftigen wir uns auch in der Dezember-Ausgabe von Capital: „Disziplin, Leistungswille, Teamgeist – Tugenden aus dem Leistungssport werden auch in der Wirtschaft geschätzt. Wie das Team des Deutschlandachters von 1988 eine zweite Karriere hinlegte“
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