Als Entscheider kennen wir Druck von allen Seiten, unter anderem durch steigende Ansprüche und teils überhöhte Erwartungen von Mitarbeitern wie von Kunden, harte ökonomische Zielvorgaben und sich rasant ändernde Marktverhältnisse. Und dieser Druck wächst. In Zeiten der digitalen Transformation sind schnelle Entscheidungen wichtiger denn je. Sechs von zehn Geschäftsführern, Vorständen und Führungskräften müssen ihre Entscheidungen heute schneller treffen als vor fünf Jahren. Jeder Zweite muss zudem häufiger entscheiden (Quelle: F.A.Z.-Institut). Dabei fällt genau das nicht immer leicht. Gut die Hälfte der Personalverantwortlichen empfindet den Umgang mit der steigenden Komplexität als größte Herausforderung (Quelle: Hays).
Viele Manager fürchten sich angesichts der Tragweite ihrer Entscheidungen vorm Scheitern und den damit verbundenen Konsequenzen: Neben wirtschaftlichen Einbußen für das Unternehmen droht auch der persönliche Macht- und Imageverlust. Wir bewegen uns also täglich in einem Spannungsfeld zwischen Vorgaben, Zielen und Möglichkeiten, zwischen inneren Motiven und äußeren Bedingungen. Dabei spielt in jede Entscheidung die Frage hinein, ob wir auf Basis ethisch-moralischer Wertvorstellungen vorgehen oder aufgrund dessen, was uns am meisten profitieren lässt bzw. am wenigsten persönlich schadet. Studien in Dax-Unternehmen haben gezeigt, dass dort jede dritte Entscheidung, teilweise sogar jede zweite, defensive Komponenten enthält. Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel in der Entscheidungskultur, wenn wir dem Tempo des Wandels und den damit verbundenen Anforderungen erfolgreich Stand halten wollen.
Zu große Angst vor Fehlern
Agenturen leben von der Innovation. Innovation erfordert Entdeckungsfreude und Mut. Mut zu Entscheidungen, die sich manchmal vielleicht als Fehler herausstellen, aber dafür eine Lernkurve bescheren, die zu einer Performanceverbesserung beiträgt. In den Chefetagen des Silicon Valley gilt die Devise: Entweder es ist disruptiv oder wir lassen es! Dort ist Disruption der Treiber jeden Tuns. Hier herrscht nicht die Angst vor Fehlern vor, sondern die Freude an der Weiterentwicklung. Mit anderen Worten: Fail forward.
Die Schwächen in der Performance deutscher Agenturen und ihrer Entscheider entsteht meines Erachtens unter anderem durch die zu große Angst vor Fehlern. Dabei muss ein gewinnbringender Umgang mit Fehlern von oben vorgelebt werden. Und damit meine ich wirklich von der Spitze – nicht nur Mitarbeiter, auch jede Führungskraft sollte das sichere Gefühl haben, dass Fehlentscheidungen in erster Linie als Lernchance und nicht als Abmahnungsgrund im Unternehmen begriffen werden. Wohlgemerkt: Das ist nicht als Freifahrtschein für Dummheiten gemeint. Falsche Entscheidungen, die auf mangelnder Umsicht oder fehlendem Austausch beruhen, brauchen wir nicht schönzureden. Es geht vielmehr darum, einen nahrhaften Boden für mutige Entscheidungen zu bereiten, die das Zeug haben, zukunftsweisend zu sein. Tatsächlich machen Menschen weniger falsch, wenn sie keine Angst davor haben müssen, etwas falsch zu machen. Auch unsere Teams können nur ihr Maximum an Leistungsfähigkeit erreichen, wenn eine gute Fehlerkultur in der Agentur herrscht.
Mut zur Konsequenz, nicht zum Konsens
Wer kennt das nicht? Manche Entscheidungen tragen wir vor uns her, bis sich die Dinge von selbst geregelt haben. Doch Entscheidungen zu verschleppen heißt in der Regel, eigentlich alles beim Alten belassen zu wollen. Das signalisiert Stillstand ‒ und überlässt anderen das Feld der Weiterentwicklung. Wer als Chef zögert, verliert. Und zwar nicht nur Zeit, sondern auch Respekt, Handlungsspielraum und Einfluss. Denn wohin führt die Angst vor falschen oder richtungsweisenden Entscheidungen? Zum berühmten Mittelmaß. Langwierige Abstimmungsprozesse und Risikoabwägungen erzeugen viel zu oft Entscheidungen, die zwar als konsensgenerierender Kompromiss taugen, aber ganz bestimmt nicht mehr zum Leadership in Sachen Innovation.
Wir brauchen für Entscheidungen im rasanten Wandel unserer Zeit den Mut zur Konsequenz, nicht zum Konsens. Und diesen Mut sollten wir auch in jedem Team wecken und fördern. Die Marktdynamik und immer komplexer werdende Systeme erfordern dezentrale Entscheidungsstrukturen. Wer seinem Team vertrauen kann und nicht immer alles kontrollieren muss, ist in der Lage, schnell zu handeln. Vertrauen spielt eine Schlüsselrolle bei Entscheidungen: Es braucht zum einen das Selbstvertrauen eines Managers, Situationen richtig einzuschätzen und die richtigen Leute auf die richtigen Positionen gesetzt zu haben, zum anderen das Vertrauen in die Fähigkeiten des Teams. Mutige Entscheider fördern die Eigenverantwortung von Mitarbeitern und entscheiden dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden: in strategischer Ausrichtung, Kundenakquise und kritischen Projektphasen.
Wir brauchen Kämpfer an der Basis
Die Delegation von Entscheidungen auf die tiefst mögliche Führungsebene bedeutet übrigens nicht nur eine Entlastung der Topmanager im Unternehmen, sondern meist auch eine schnelle, praxisnahe Lösung sowie, last but not least, Mitarbeiter mit hoher Eigenmotivation. Das ist nicht zu unterschätzen, denn eine mangelhafte Entscheidungskultur kostet Leute. Nach einer Umfrage von Rundstedt unter mehr als 1000 Arbeitnehmern zu ihren Kündigungsgründen gehen 51,4 Prozent, wenn das Arbeitsumfeld von Schwerfälligkeit und steilen Hierarchien geprägt ist und 50,5 Prozent, wenn sie weder Handlungsspielraum haben noch eigenverantwortlich in ihrem Bereich Entscheidungen treffen können (Quelle: wirtschaft + weiterbildung 6/2018).
Wir helfen uns selbst und dem Unternehmenserfolg, wenn wir Mitarbeiter fördern, die Szenarien voraussehen, antizipieren und entsprechend entscheiden können. Dabei sollte uns nicht die Angst vor Konkurrenz umtreiben, sondern eher die Freude über Gleichgesinnte beim Verfolgen eines gemeinsamen Ziels. Denn am Ende wollen wir alle, Team wie Chef, den Pitch gewinnen, den Kunden halten, den Award verdienen. Neun von zehn Unternehmen ermutigen ihre Mitarbeiter schnell und selbstständig zu entscheiden, heißt es in der oben erwähnten Studie des F.A.Z.-Instituts im April dieses Jahres. Drei Viertel der befragten Unternehmen, so das Ergebnis, würden Fehlentscheidungen nutzen, um daraus zu lernen.
Das macht Mut – Mut, den Weg einer neuen Entscheidungs- und einer gesunden Fehlerkultur weiterzuverfolgen. So lange, bis in unseren Unternehmen kein Widerspruch mehr herrscht zwischen mutigen Entscheidungen und einem Umfeld, das jedem Entscheider nahelegt, besser nicht mutig zu entscheiden, wenn er seinen Posten behalten möchte. Die lange Geschichte der Insolvenzen renommierter deutscher Unternehmen hat uns eines gelehrt: Am Ende hilft es weiter, eine falsche Entscheidung zu treffen als keine. Denn Stillstand kann sich keiner von uns leisten. Genauso wenig wie Mutlosigkeit.