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Interview "VW wird sich wieder fangen"

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder über die Folgen des VW-Skandals, Lücken in Compliance-Systemen und den Sinn von Umwelt-Grenzwerten

Capital: Herr Eder, die Welt ist geschockt und empört über die Manipulationen bei Volkswagen. Hätten Sie das für möglich gehalten?

Wolfgang Eder: Nein, ganz ehrlich: Das hat mich genauso überrascht wie wohl alle anderen auch. Aber es gibt immer wieder solche Dinge, man kann sie nie mit Sicherheit ausschließen.

Ist ein solcher Skandal vielleicht auch die Folge eines Riesenreiches mit 600000 Mitarbeitern weltweit, in dem ein Vorstand gar nicht immer alles komplett unter Kontrolle haben kann?

Normalerweise kommentiere ich solche Vorgänge nicht. Aber dieser Fall hat nun eine solche Dimension, dass man gar nicht drum herum kommt. Man kann sich der Beschäftigung damit gar nicht entziehen, auch um für sich selbst und sein Unternehmen daraus zu lernen. Und ja, es hat sicher mit der Komplexität und den verschlungenen Berichtswegen großer Organisationsstrukturen zu tun. Es ist wohl auch so, dass am Anfang fast immer individuelles Fehlverhalten von einzelnen Mitarbeitern steht, die meinen zum Wohl der Firma zu handeln. Ähnlich wie in den meisten Kartellfällen. Langsam verselbständigt sich der Prozess dann und so weitet sich das ganz still und heimlich immer mehr aus.

Und dann läuft es so gut, dass lieber niemand etwas sagt…

Genau, es klappt ja – keiner merkt etwas. Und dann noch etwas zu sagen, könnte für Mitarbeiter ja doch kritisch werden. Und im Übrigen: Wer will schon der Überbringer schlechter Botschaften sein? Später können Sie gar nicht mehr nachvollziehen, wo und wann ein solches Geflecht eigentlich konkret entstanden ist. Letztlich hängt es auch stark von der Führungs- und Kommunikationskultur eines Unternehmens ab. Dennoch stellen auch die besten Compliancevorschriften keine Garantie dafür dar, dass so etwas nicht passiert. Wir waren selbst in einen nach ähnlichen Mustern entstandenen Kartellfall involviert, den wir so nicht für möglich gehalten hätten. Sobald der Vorstand Kenntnis davon hatte, haben wir die zuständigen Behörden informiert, um den Schaden zu begrenzen. Mehr können Sie erst mal nicht tun.

Voestalpine ist ein wichtiger Zulieferer der europäischen Automobilindustrie. Welche Folgen des VW-Skandals erwarten Sie für Ihre Branche?

Ich rechne schon mit Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Wahrscheinlich wird VW versuchen, einen Teil der Belastungen durch Kostensenkungen bei seinen Zulieferern wieder reinzuholen. Aber ich glaube auch, dass sich das Unternehmen nach einigen Monaten an Schockbewältigung schnell wieder fangen wird. Die Markenbindung ist im Automobilbereich in der Regel sehr hoch, vor allem bei solchen Traditionsmarken. Wer einen Golf oder Audi haben will, kauft wegen dieser Sache nicht einen Peugeot oder Ford. Im Vergleich zu den Strafen und Schadensersatzforderungen, die nun auf VW zukommen, wird der Schaden im laufenden Geschäft daher nach meiner Überzeugung eher überschaubar sein.

"Grenzwerte nicht machbar"

Aber man kauft doch deutsche Autos, weil sie hochwertig und technisch perfekt sein sollen.

Der Imageschaden für deutsche Produkte ist nicht zu unterschätzen. Das wird die nächsten ein zwei Jahre bei vielen Kunden noch im Hinterkopf sein. Aber ich würde den Schaden längerfristig auch nicht überschätzen. Der deutschen Industrie, der Ingenieurskunst und dem deutschen Perfektionstrieb traue ich sogar zu, dass dieses Manko in drei vier Jahren ins Positive umschlägt. Es mag ja vielleicht weit hergeholt sein, aber nehmen Sie mal den österreichischen Wein: Der war vor 30 Jahren nach dem Skandal um illegale Zusätze völlig diskreditiert – und ist heute als Konsequenz des Lern- und Läuterungsprozesses ein absolutes Spitzenprodukt, auf das alle stolz sind. Leider bräuchte mein Land mehr davon.

Anders als für Spitzenweine gibt es für Autos Mindeststandards. Was sagt uns der Skandal über unsere Emissionsstandards, wenn Autohersteller diese Ziele angeblich nur mit mehr oder weniger legalen Tricks einhalten?

Das ist ein wichtiger Punkt. Ich glaube, dass sowohl auf der Seite der Politik wie teilweise auch in der Industrie die Ambitionen in den vergangenen Jahren über das technisch Machbare hinausgegangen sind. Ein Beispiel: Wir haben in der europäischen Stahlindustrie heute Grenzwerte für CO2-Emissionen, die technisch schlicht nicht machbar sind. Die sind an Schreibtischen von Theoretikern auf Basis von Idealmodellen entworfen worden, wohl auch nicht immer ganz ohne Zutun von besonders optimistischer Industrievertreter. Damit müssen wir heute leider umgehen.

Was sind dann solche Zahlen und Grenzwerte eigentlich wert?

Eine berechtigte Frage. Der Klimaschutz ist zum Religionskrieg ausgeartet. Jede Seite hat ihre Glaubenssätze, ihre Systeme und Studien, das sind Parallelwelten, die sich kaum aufeinander zubewegen. Und am Ende kommt es unter politischem Durck immer zu einem Kompromiss nach dem Motto: Dann soll sich die Industrie gefälligst mehr anstrengen – oft ohne Rücksicht darauf, dass es technische Grenzen gibt.

Genau. Strenge Grenzwerte sind nicht nur ein Anreiz für Betrug, sondern auch für Innovationen.

Das stimmt ja im Kern auch, solange man naturwissenschaftliche Gegebenheiten einkalkuliert. Nehmen Sie die Stahlindustrie: Wir bemühen uns seit Jahrzehnten, die CO2-Emissionen runterzubringen, zum Teil auch mit Erfolg. Es gibt aber physikalische Grenzen. Heute wissen wir, dass wir vor diesem Hintergrund frühestens in 10 bis 15 Jahren neue Techniken und Anlagen zur Stahlproduktion haben werden, die noch mal eine deutliche Reduktion der Emissionen ermöglichen sollten.

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder ist seit 2014 Präsident des Weltstahlverbands
Voestalpine-Chef Wolfgang Eder ist seit 2014 Präsident des Weltstahlverbands
© Maxi Virgili / Capital

Was passiert, wenn die EU an ihren Klimazielen festhält? Als Stahlhersteller können Sie Ihre Abgaswerte nicht mit einer Software manipulieren.

Wir können die Ziele der Politik zur Kenntnis nehmen, still resignieren und die Industrie der Zukunft woanders aufbauen. Oder wir opponieren und machen uns damit in der Politik nicht sonderlich beliebt. Die entscheidende Frage ist doch: Was ist uns Beschäftigung wert? Im Moment geht die Umwelt über alles. Aber was bringt es, wenn wir in einer völlig intakten Umwelt leben, aber Millionen von hochwertigen Jobs weggefallen sind? Dann steuern wir in eine in jeder Hinsicht unsichere Zukunft mit massiv sinkendem Wohlstand.

Jetzt machen Sie es sich aber sehr einfach. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist auf Rekordtief. Und unter der Energiepolitik leiden vielleicht einzelne Branchen, aber doch nicht die gesamte Volkswirtschaft.

Moment, da braucht es schon eine gewisse Differenzierung. Es gibt einfach Branchen, die ein Land wie Deutschland braucht, um diese langen, hoch erfolgreichen Wertschöpfungsketten zu erhalten. Die deutsche Automobilindustrie oder der Maschinenbau sind ohne hochqualitative heimische Basiswerkstoffe schwer vorstellbar. Ob Sie wirklich mit Material aus China, Brasilien oder Russland die gleiche Qualität schaffen und mit Partnern dort gemeinsam Entwicklungen vorantreiben können – da mache ich mal ein großes Fragezeichen. Energiepolitik und Energiekosten betreffen alle, nicht nur einzelne Branchen.

Die Industrie spricht schon seit Jahren davon, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Ist das nicht einfach eine Drohkulisse?

Ganz und gar nicht. Eine von uns und der österreichischen Industriellenvereinigung in Auftrag gegebene Studie belegt, dass wir in Deutschland genauso wie in Österreich schon seit Jahren eine schleichende De-Industrialisierung verzeichnen. Ich halte es für eine sehr gefährliche Position zu sagen: Warten wir mal ab, ob die Unternehmen tatsächlich gehen. Wenn die Abwanderungsbewegung erst einmal in Gang gekommen ist und einzelne Industriesegmente und Wertschöpfungsstufen wegfallen, dann ist das nicht mehr aufzuhalten und normalerweise nicht mehr umkehrbar. Ich weiß, dass sich die Politik vor allem mit den aktuellen Dingen beschäftigt und Zukunftsfragen gerne auf die lange Bank schiebt. Aber hier geht es um langfristige unternehmerische Grundsatzentscheidungen für die nächsten Jahrzehnte, die heute zu treffen sind. Als Voestalpine haben wir nicht zuletzt wegen der unsicheren Rahmenbedingungen in Europa schon in den letzten Jahren Autoteilewerke von den USA bis China gebaut. Das sind Zukunftsmärkte mit konkurrenzfähigen Kostenstrukturen.

"Wir brauchen endlich globale Klimaziele"

Im Dezember steht wieder ein wichtiger Klimagipfel an. Fürchten Sie eigentlich, dass es dort zu einem Abkommen kommt?

Im Gegenteil. Wir hoffen sogar darauf, dass es ernst zu nehmende Schritte in Richtung globaler Klimaziele gibt. Wir brauchen endlich verbindliche Festlegungen für alle Staaten und nicht bloß einseitig für Europa. Aktuell ist es doch so, dass sich die EU weitgehend allein ausgesprochen ehrgeizige Klimaziele setzt. Bis 2030 will sie die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren. Parallel treibt sie durch die Reduktion der CO2-Zertifikate auch noch die Preise für die Emissionsrechte. Allein die deutschen Stahlproduzenten erwarten dadurch eine Kostenbelastung von bis zu 1 Mrd. Euro jährlich. Voestalpine müsste von 2020 bis 2030 pro Jahr mit rund 200 Mio. Euro an Aufwand für Emissionszertifikate rechnen. Wenn das so kommt, frisst das den kompletten Vorsteuergewinn unserer Stahlsparte auf.

Was passiert, wenn auch der Gipfel in Paris scheitert?

Wenn sich die Staaten in Paris nicht auf verbindliche Schritte für einen globalen Klimaschutzrahmen verständigen, muss Europa seine Rolle als Vorreiter überdenken. Das bedeutet keinen Abschied vom Klimaschutz – aber einen Abschied von technisch und kostenmäßig utopischen CO2-Zielen und einseitigen Auflagen, wie es heute der Fall ist. Sonst kommt der Zeitpunkt, an dem die Industrie gar nicht mehr anders kann, als sich gegen Investitionen in Europa zu entscheiden.

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