Markus ist ein nordischer, lebensfroher Lockenkopf Mitte 30. Nach dem Studium war er ein paar Jahre in einer Digitalagentur und baute danach als Onlinemarketingchef in Berlin ein Start-up mit auf. Und obwohl er die Schnelligkeit seines Berufs liebte, entschied er mit seiner Frau, zurück aufs Land zu ziehen. Der Kinder wegen. Ihr Plan ging auf, als Markus die Rolle eines „Chief Digital Officer“ bei einem Mittelständler der Textilbranche bekam.
Das Set-up war nahezu perfekt: Sein Chef war nur ein paar Jahre älter, sah die Digitalisierung als Chance, und auch die Chemie zwischen den beiden stimmte. Und obwohl hoch motiviert, ging Markus die Sache langsam an, um das Geschäft erst von Grund auf kennenzulernen, bevor er seine Digitalstrategie vorstellte. Das Problem begann, als er diese umsetzen wollte.
Markus wollte zunächst alle Prozesse analysieren und gemeinsam optimieren, bevor sie digital abgebildet werden sollten. Andernfalls würden sie Gefahr laufen, einfach nur den Status quo mit mehr Computern zu betreiben – und sich eben nicht neu und am Kunden auszurichten. Theoretisch wurde sein Ansatz auch von allen verstanden und gutgeheißen. Aber sobald es an die Umsetzung ging, blockierte das System.
Seine Kollegen im Führungskreis hatten plötzlich Hundert Gründe, warum man Prozesse so lassen musste, und verweigerten schließlich ganz die Diskussion. Und auch sein Chef unterstützte Markus nur sehr vordergründig und zweifelte innerlich an seiner Entscheidung. Obwohl sein Ansatz an sich sehr gut war, steckte Markus schnell knietief im Morast, vollkommen frustriert und bewegungsunfähig.
Sobald es an die Umsetzung ging, blockierte das System
Wer digitalisieren will, braucht nicht nur Digitalkompetenz, sondern auch Change-Kompetenz. Und weil die Beharrungskräfte in lang eingespielten Gruppen meist am größten sind, ist es gerade hier deutlich einfacher, sie extern dazuzuholen. Im Unternehmen von Markus brauchte es einen Anschub von außen, um in Bewegung zu kommen. Wie bei einem Auto mit leerer Batterie.
Im Kern waren es nur eine Handvoll neutral moderierter Workshops, in denen wir die Prozesse analysiert und lang diskutiert haben, um sie einfacher und kundenorientierter zu machen. Markus übernahm dabei die in Zukunft noch viel wichtigere Perspektive des Kunden.
Als diese Grundlagenarbeit gemacht war, nutzte Markus sein jahrelanges Know-how, um mit einer Agentur die neuen Prozesse digital abzubilden – diesmal mit der Unterstützung seiner Kollegen. Die Arbeit ist noch lang nicht abgeschlossen und wird noch Jahre in Anspruch nehmen, aber es geht stetig voran. Und auch wenn es ein steiniger Weg war und ist, freuen sich die Mitarbeiter mittlerweile über die Neuausrichtung ihres Unternehmens.
Anne Weitzdörfer begleitet als Beraterin und Coach seit vielen Jahren Unternehmen und Führungskräfte. Hier schreibt sie jeden Monat über Themen aus der Berufswelt. Hier finden Sie weitere Kolumnen aus der Reihe Business as usual