Capital: Herr Harnoss, Sie haben schon vor vier Jahren eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge gegründet. Was haben Sie nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine gemacht?
Johann Harnoss: Wir haben am Donnerstag, den 24. Februar, die ersten Bilder aus der Ukraine gesehen und zu unserer Bestürzung erkannt, dass wir da jetzt richtig gebraucht werden. Gemeinsam mit meiner Kollegin Anna habe ich dann imagine-ukraine.org gestartet. Wir starten nicht bei Null, sondern nutzen unsere Vorerfahrungen aus „Talent Airlift Afghanistan“, hier haben wir 2021 ein Angebot geschaffen für die Menschen, die vor den Taliban aus Afghanistan fliehen. Das läuft natürlich auch noch weiter.

Was wollen Sie mit der Plattform „Imagine Ukraine“ erreichen?
Es gibt für wichtige Themen wie Unterkunft, Sachspenden, Logistik bereits tolle soziale Organisationen und auch staatliche Strukturen. Wir wollten hier keine Doppelkapazitäten schaffen. Stattdessen nutzen wir das Prinzip, das sich bereits bei unserer Ehrenamtsarbeit mit Menschen aus Afghanistan, aber auch aus Syrien und dem gesamten Nahem Osten bewährt hat: Wir bringen Geflüchtete, die Jobs in Europa suchen, mit Ehrenamtlichen zusammen. Wir „matchen“ sie salopp gesagt. Die freiwilligen Helfer sollen Ansprechpartner sein, um den Neuankömmlingen schneller ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland oder anderen europäischen Ländern zu ermöglichen.
Wie sind die Reaktionen auf die neue Initiative?
Überwältigend positiv, weil die Hilfsbereitschaft riesig ist, der Bedarf aber leider auch. Wir haben bereits mehr als 300 Firmen und 500 Jobs auf unserer Plattform. Was mich besonders freut ist, dass Firmen sich schon mehr als 300 Mal direkt mit Menschen aus der Ukraine in Verbindung gesetzt haben. Jeder einzelne „Match“ ist ein Zeichen der Hoffnung und Wertschätzung für Menschen, die gerade vieles zurücklassen. Wir sind aber mehr als ein Jobportal, sondern ein Netzwerk von über 500 Ehrenamtlichen, die den flüchtenden Menschen mit Rat und Tat zur Seite steht.
Welche besonderen Momente sind Ihnen in Erinnerung geblieben?
Ich habe über unsere Plattform Nataliia und ihren 8-jährigen Sohn kennengelernt. Sie ist derzeit auf dem Weg aus der Ukraine raus nach Polen und wird in zwei bis drei Tagen bei uns in Berlin ankommen. Sie hatte an der Uni in Kiew Lehrer in „Englisch als Zweitsprache“ unterrichtet. Wir helfen ihr jetzt bei der Jobsuche. Wir nehmen sie auch für ein paar Wochen bei uns auf. Es wird etwas eng bei uns Zuhause, aber auch meine Töchter freuen sich schon auf einen neuen Spielkameraden. Es war wirklich berührend, wir haben Bilder unserer Kinder ausgetauscht. Keine drei Wochen ist es her, dass sie in Kiew, genauso wie wir in Berlin, Kinderfasching gefeiert haben. Und nun das.

Was ist Ihre wichtigste Erfahrung aus der Hilfsaktion?
Das beantworte ich mal aus Gründerperspektive. Erster Aspekt: „Just do it“. Wir sind gestartet mit der These, dass die Menschen nicht erst hier in Deutschland über ihre Zukunft nachdenken wollen, sondern schon beim Aufbrechen hierher. Diese These hat sich bewahrheitet, aber das konnten wir nur wissen, indem wir einfach losgelegt haben. Am Anfang haben Anna und ich das täglich in 15-Stunden-Schichten gemacht. Nun ist dank des wachsenden Teams an Ehrenamtlichen etwas mehr Ruhe reingekommen.
Gibt es weitere Aspekte?
Ja, noch mal in Beratersprache: “It’s not a competition.” In den letzten Tagen haben sich ein paar andere tolle Plattformen entwickelt, die es sich ebenso zur Aufgabe gemacht haben, die Menschen mit Jobs in Verbindung zu bringen. Das sind jobs4ukraine.eu und jobaidukraine.com – beide sind richtig gute Teams. Genauso wie die Kollegen von Jobs4Refugees.org, die 2015 von Robert Barr, einem weiteren Mitglied der „Top 40 unter 40“ gestartet wurden. Wir haben alle etwas unterschiedliche Ansätze. Ich kann nur jedem Menschen auf der Flucht raten, sich bei uns allen parallel zu registrieren.
Wie geht es weiter?
Es geht gerade erst los. Wir werden in den nächsten Tagen die Community richtig zum Leben bringen. Bei Imagine Foundation haben wir mit einem kleinen Team bereits 260 Menschen ein Leben mit Arbeit in Europa vermittelt. Bei Imagine Ukraine sollten wir dank der riesigen Hilfsbereitschaft von Privatpersonen und Firmen da auch relativ schnell hinkommen.