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Debatte Türkischer Befreiungsschlag

Kann die massive Zinserhöhung und Kapitalflucht und Währungsverfall stoppen? Kommentatoren und Ökonomen sehen den Schritt mit Skepsis - auch weil er das Wachstum bremsen wird.
Die türkische Lira hat an Wert verloren
Die Lira hat in den letzten Monaten massiv an Wert verloren
© Getty Images

Mit einer spektakulären Zinserhöhung stemmt sich die Türkei gegen den Absturz ihrer Währung. Die Zentralbank in Istanbul erhöhte ihren Leitzins von 4,5 Prozent auf zehn Prozent – trotz des Widerstands von Ministerpräsident Erdogan. Dass ein Zinsschritt kommen würde, hatten viele Analysten erwartet, das die Zentralbank aber gleich so dratstisch reagieren würde, überraschte die Märkte dann doch. Investoren sollen wieder Vertrauen in die Schwellenmärkte fassen.

Der Harvard University lehrende türkische Ökonom Dani Rodrik begrüßte den Schritt der Zentralbank per Twitter:

Auch an den Finanzmärkte herrschte zunächst Hochstimmung. Die türkische Lira, die seit Mai 2013 ein Drittel ihres Wertes eingebüßt hatte, erholte sich zunächst. Doch der Jubel war nur von kurzer Dauer, denn schon am Mittwochnachmittag war Schluss mit dem Kursfeuerwerk.

Beobachter glauben nicht, dass der Zinsschritt ausreicht, um die Probleme in Schwellenländern wie der Türkei zu lösen. Das Wirtschaftswunderland litt seit dem vergangenen Jahr unter einer massiven Kapitalflucht, die von Andeutungen der US-Notenbank Fed über das Ende ihrer lockeren Geldpolitik ausgelöst wurden. Gerald Braunberger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sieht die Lösung der Krise nicht nur in der Türkei in „nachvollziehbaren langfristigen Strategien“. Durch marktwirtschaftliche Reformen und eine stetige Politik könne Vertrauen wieder aufgebaut werden. Die billige Dollarliquidität, die durch die Schwellenländer fließe, sei ein Teil des Problems und kein Teil der Lösung.

Erdogan ist angeschlagen

Für Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank, stellen die höheren Leitzinsen eine schwere Last für die Wirtschaft des Landes dar. Und auch die Politik sorge für Unsicherheit:

„Darüber hinaus bleibt die innenpolitische Situation in der Türkei angesichts des schwelenden Machtkampfes zwischen Premier Erdogan und seinen ehemaligen Weggefährten anfällig. Dabei dürften die Spannungen in den nächsten Monaten immer wieder an Schärfe zunehmen.“

Bielmeier nimmt Bezug auf den Korruptionsskandal, der Erdogans Regierung erschüttert. Die Financial Times fragt sich, wie die Politik auf die Währungsturbulenzen reagieren wird. Wird sie etwas gegen das Handelsbilanzdefizit unternehmen? Und wird sie etwas zur Förderung des Exports tun? Nach Ansicht von FT-Autor Daniel Dombey könnte die Wirtschaft in Richtung Rezession schlittern:

„Ozgur Altug at BGC Partners suggests, Turkey could experience a couple of quarters at 0 to 1 per cent growth. For a country that needs to grow at its long term trend of 5 per cent to absorb new entrants to the labour force, that could feel awfully like a recession.“

Stiglitz für Kapitalverkehrskontrollen

Ist der Zinsschritt also kontraproduktiv? Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sieht in einem Interview mit Finanz- und Wirtschaft aus der Schweiz keinen eindeutigen Beweis für die Wirksamkeit von Zinserhöhungen im Kampf gegen Abwertungen und Kapitalflucht:

„Denn höhere Zinsen sind für ausländische Investoren zwar attraktiv, sie verlangsamen aber die Wirtschaft und das schreckt sie eher zurück. Per Saldo ist der Effekt nicht eindeutig.“

Stiglitz spricht sich bei der derzeitigen Lage der Schwellenländer für Kapitalverkehrskontrollen aus, um die Probleme in den Griff zu bekommen. In der Boomphase habe die türkische Zentralbank „eine unorthodoxe Geldpolitik verfolgt, um nicht noch mehr ‚Hot Money’ anzuziehen“:

„Trotz heiß laufender Wirtschaft und Inflationsdruck ließ die Zentralbank den Leitzins tief, um das Land nicht noch attraktiver zu machen für ausländische Investoren. Stattdessen erhöhte sie die Mindestreserveanforderung der Banken.“

Also alles richtig gemacht? Für Gerald Braunberger ist die Türkei ein Beispiel, wie schnell sich Einschätzungen ändern können:

„Bis in das vergangene Jahr lobten Ökonomen und Analysten das Land am Bosporus, dessen Leistungsbilanzdefizit und Auslandsverschuldung als typische und keinesfalls bedenkliche Begleiterscheinungen einer dynamischen Wirtschaft verstanden wurden. Heute, eine Regierungskrise später, rufen das Leistungsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung Sorgen hervor. Viele Schwellenländer können immer noch eine große Erfolgsgeschichte werden. Man muss ihnen aber die dafür nötige Zeit geben.“

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