Junge Elite Mehr Wumms in der Digitalisierung

Valerie Mocker ist Entwicklungschefin für Europa bei der Innovationsstiftung Nesta
Valerie Mocker ist Entwicklungschefin für Europa bei der Innovationsstiftung Nesta
© Gene Glover
In England treibt Valerie Mocker seit Jahren die Digitalisierung voran. Gerne würde sie mit der Nesta-Stiftung nun auch in Deutschland loslegen. Die 27-Jährige im Junge Elite Porträt



Kurz zögert Valerie Mocker, ob sie die Anekdote erzählen soll. Sie will nicht eitel wirken. Vor ein paar Tagen hat sie ein hohes Tier der SPD getroffen. „Valerie, wir brauchen junge Frauen wie dich“, habe der Mann gesagt. Schließlich trete die Führungsriege der Partei in den nächsten zehn bis 20 Jahren ab. Mocker hat nur gelacht – sie will sich von keiner Partei vereinnahmen lassen, außerdem denkt sie in deutlich kürzeren Zeiträumen: zwei, drei Jahre, „Start-up-Zyklen“, wie sie sagt. Ein Irgendwann-Angebot lockt sie nicht, sie will jetzt die Gesellschaft gestalten. Darin hat es die 27-Jährige bereits erstaunlich weit gebracht. Mocker ist Entwicklungschefin für Europa bei der Innovationsstiftung Nesta, einer mächtigen Institution in London. Das Kürzel steht für „National Endowment for Science, Technology and the Arts“ und ist eine Art Innovationslabor, in dem neue Technologien zur Verbesserung des Alltags getestet werden. Eingerichtet hat sie 1998 Tony Blairs Labour Party. Ausgestattet mit knapp 500 Mio. Euro Lotteriegeldern, sollte sie den Briten helfen, innovativer zu werden, wozu die Stiftung auch Start-ups finanziert. Seit 2012 operiert Nesta unabhängig vom Staat und berät mit einem Team von 180 Mitarbeitern weltweit Regierungen, Organisationen und Unternehmen. Mocker ist gerade für ein paar Tage in Berlin. Die 27-Jährige führt das Leben einer Nomadin, sie reist von Konferenz zu Konferenz, immer mit einer Yogamatte im Gepäck. EU-Kommission, OECD, Google, Telefónica, alle wollen ihre Ideen hören.

Die Kanzlerin als aufmerksame Zuhörerin

Das Gefühl, die Gesellschaft zum Besseren beeinflussen zu können

Bei der Bundeskanzlerin war sie auch schon. Mocker hat ein vielsagendes Foto von diesem Treffen gepostet, es zeigt sie vor einem Flipchart, vor dem als aufmerksame Zuhörerin Angela Merkel sitzt. Das Thema Digitalisierung brauche in Deutschland „mehr politischen Wumms“, hat Mocker zu Merkel gesagt. Statt Strategiepapiere zu schreiben, sollten die Deutschen mehr ausprobieren. „Less talking, more doing“, so ihr Ratschlag. Der Auftritt war auch eine Werbung in eigener Sache. „Eine Stiftung wie Nesta wäre auch für Deutschland gut“, sagt Mocker. Gut möglich, dass sie demnächst einen deutschen Ableger lanciert und Digitalberaterin der Regierung wird. Das Zeug dazu hätte sie. Man spürt in ihrer Gegenwart das Selbstbewusstsein eines Menschen, der nur macht, wofür er wirklich brennt. Möglichst viel Rendite für ein Unternehmen und seine Shareholder herausholen? Nichts, was sie „aus dem Bett zieht“, sagt Mocker. Sie brauche das Gefühl, die Gesellschaft zum Besseren beeinflussen zu können.
Als 17-jährige Abiturientin (eine Klasse hat sie übersprungen) setzte es sich die gebürtige Hamburgerin in den Kopf, Archäologie und Anthropologie in Oxford zu studieren, später sattelte sie noch Verhaltensökonomie obendrauf. Ihre Eltern, beide Mediziner, ließen die Tochter machen. Seit vier Jahren ist sie bei Nesta. Hier kann sie ihren Reformeifer ausleben, kann Dinge erst in kleinen Praxisversuchen, dann auf größerem Feld anschieben. Mit Altenheimen und Ärzten haben sie und ihre Kollegen getestet, ob es Demenzkranken hilft, sich mit Virtual-Reality-Brillen an frühere Wohnorte versetzen zu lassen. Sie haben eine App entwickelt, die bei Notfällen medizinisch geschulte Menschen zusammenbringt. In Großbritannien hat Nesta Programmierunterricht im nationalen Bildungsplan verankert, dort lernt nun jedes Kind ab dem fünften Lebensjahr Code. Mocker hat ein Programm lanciert, das Konzerne mit Start-ups in Kontakt bringt, mehr als 300 Großunternehmen nutzen es schon. Ihr jüngstes Projekt soll Europas Politiker vernetzen, um digitale Innovationen voranzubringen. Mocker hofft, dass sich die Deutschen beteiligen. Gerade überlegt sie, was sie als Nächstes angehen will. Am liebsten stürzt sie sich in Bereiche, die noch keine Strukturen und Regeln haben, wo sie loslegen kann wie auf einem weißen Blatt. „This is your world“, hat sie an ihre Londoner Bürowand geschrieben, „change it, or somebody else will.“ Valerie Mocker, 27, ist Entwicklungschefin für Europa bei der Innovationsstiftung Nesta in London, die Technologien zur Verbesserung des Alltags entwickelt und dazu Regierungen, Unternehmen und Organisationen berät.


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