Sofie Quidenus-Wahlforss ist österreichische Gründerin und CEO des Software-Start-ups Omnius, omni:us geschrieben. Bereits 2004 gründete sie mit 21 Jahren ihr erstes Unternehmen Quidenus Technologies, das sich auf das Scannen von Büchern mithilfe von Künstlicher Intelligenz spezialisiert hatte. Zuvor studierte sie an der Wirtschaftsuniversität Wien. 2015 zog sie nach Berlin und gründete Omnius, ein Unternehmen das ebenfalls mithilfe von Künstlicher Intelligenz für Versicherungen Dokumente digitalisiert und Prozesse automatisiert. Quidenus-Wahlforss wurde 2018 von Forbes unter die Europe’s Top 50 Women in Tech gewählt.
CAPITAL: Sofie, Du bist zweifache Unternehmensgründerin und hast schon als Jugendliche Malkurse für Senioren und den Wiener Schulball organisiert. Woher kommt Dein Unternehmergeist?
SOPHIE QUIDENUS-WAHLFORSS: Ich mochte es schon als Kind, Gruppen zu bilden, die für eine gemeinsame Mission kämpfen. Ich bin überhaupt kein Einzelkämpfer. Ich mag es, eine Gruppe von Menschen um mich zu haben und mit ihnen gemeinsam etwas zu lösen, das am Anfang schwierig erscheint. Ein Thema, bei dem man sich hinsetzen und strategisch überlegen muss: Wie könnten wir diese Nuss knacken? Das macht mir einfach Spaß. Ich glaube aus dieser Lust heraus sind all die Dinge entstanden, die ich bisher so gemacht habe.
Mit 21 Jahren hast Du ein Unternehmen gegründet, das Roboter entwickelt, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Bücher scannen. Wofür ist das gut?
Der Zweck dieses Unternehmens war es, ein physisches Dokument in eine digitale Form zu bringen. Damit waren wir Teil und ein Key Driver der ersten digitalen Transformationswelle. Das ist ja so ein Traum von uns Menschen, dass Maschinen uns unterstützen. Dass sie uns wirklich helfen, uns Arbeit abnehmen und uns ermöglichen, uns auf das zu fokussieren, worin wir Menschen wirklich gut sind.
Auch Dein zweites Unternehmen „omni:us“ arbeitet mit KI – diesmal in der Versicherungsbranche. Was kann KI dort, was herkömmliche Systeme nicht können?
Unsere KI schaut auf ein Dokument, wie der Mensch es tut. Wir bekommen ein Dokument und versuchen zu verstehen, was das sein könnte. Dann klassifizieren wir es, verteilen es an die richtige Abteilung und extrahieren die relevanten Daten. Danach kann der Schadenfall automatisiert bearbeitet werden. Das Spannende ist aber eigentlich, was man anschließend mit diesen Daten machen kann. Denn mit jeder Seite, die prozessiert wird, produzieren wir quasi intelligente Daten und bauen der Versicherung Wissensdaten auf, auf deren Basis der Versicherer ganz neue Produkte bauen kann. Und das kannst du nicht mit herkömmlichen Systemen lösen.
„KI ist ein weiterer Entwicklungsschritt von Software“
Warum hast Du Dich für die Versicherungsbranche entschieden?
Ich wüsste nicht, welche Industrie ich besser fände, ich habe mir alle angeschaut. Die Versicherungsbranche ist mit Abstand die Interessanteste. Das Potential ist riesig und die Versicherer haben große Lust auf neue Technologien, sie sind wirklich offen. Die Technologie, die wir haben, kann genau die Probleme der Versicherungen lösen. Wir helfen ihnen von einem prozessorientierten Fokus zu einem datenorientierten Fokus zu kommen.
Wie erklärst Du Laien, was KI ist und warum wir sie brauchen?
Grundsätzlich vergleicht man regelbasierte Systeme mit Künstlicher Intelligenz. Simpel ausgedrückt ist KI ein weiterer Entwicklungsschritt von Software. Im Vergleich zu regelbasierten Systemen, die für jeden Ablauf eine eigene Regel brauchen, lernen die neuronalen Netze von KI aber von selbst. Man gibt dem System Daten und Dokumente und es findet selbst einen Lösungsweg. Das bedeutet, dass du eine viel größere Komplexität bearbeiten kannst. Das ist eigentlich der Unterschied zwischen einem regelbasierten System und KI: KI kommt mit einer größeren Bandbreite an Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten zurecht.
Du beschäftigst dich schon seit über zehn Jahren mit KI. Wie beurteilst Du den aktuellen Hype um die Branche?
Als wir 2004 mit dem Roboter begonnen haben, hat das niemanden interessiert. Das war wirklich ganz am Anfang von KI, da haben wir selber gar nicht gewusst, wie wir das nennen. Seit 2004 ist das Interesse an KI aber immer mehr gestiegen. Heute wird KI stark gehypt. Ich glaube aber auch, dass wir an der Spitze dieses Trends sind. Die Erwartungshaltung an KI ist größer als das, was es wirklich leisten kann. Man hofft, man glaubt, dass KI die Welt erobern und alles retten wird. Das ist natürlich nicht so. Aus unternehmerischer Perspektive kann ich sagen, dass KI nicht so intelligent ist wie der Mensch.
„Die Automatisierung hat mehr Arbeitsplätze geschaffen“
Kannst Du das näher erklären?
Wir sind jetzt in einer Phase, in der KI für einen sehr spezifischen Problemfall verwendet werden kann, das nennt man Narrow AI. Man muss dem neuronalen Netz sehr spezifisch beibringen, was es können soll. Dann kann es zwar diesen einen Case lösen, gibt man ihm dann aber einen anderen Case, hat es schon wieder Schwierigkeiten. Deswegen kann auch Google Go nicht Schachspielen.
Was vermutest Du dann: Welche Rolle spielt KI in unserer Gesellschaft in 20 Jahren?
Wissenschaftler erwarten, dass es in der Zukunft einen Punkt geben wird, an dem wir in eine Phase der breiteren Anwendung kommen. Man erwartet, dass trainierte Algorithmen dann selbstlernend weitere Tätigkeiten lernen können. Verallgemeinernd kann man sagen, dass überall dort, wo ein Job repetitiv ist und hohe Erinnerungsfähigkeit erfordert, KI wahrscheinlich auf Dauer einen besseren Job machen wird.
Intelligente Systeme werden also menschliche Arbeitsplätze ersetzen.
Wenn man in die Geschichte schaut, dann war es schon immer so, dass es Technologien gibt, die andere Technologien ersetzen. Auch KI ist eine Neuentwicklung von Software, die andere Arten der Softwareentwicklung ablösen wird. Und ja, es wird der Punkt kommen, an dem bestimmte repetitive Tätigkeiten durch Software abgelöst werden. Natürlich gibt es Menschen, die sich in der Situation befinden, dass sie sich entweder umschulen lassen müssen oder wenn sie kurz vor der Pension stehen, ein Problem haben.
Aber?
Bisher hat jeder Schritt der Industrialisierung mehr Arbeitsplätze geschaffen. Ja, es gibt einen kurzfristigen Abbau von Jobs. Den Laternenanzünder gibt es heute nicht mehr. Die Glühbirne hat diesen Job ruiniert. Aber dafür gibt es Millionen von Fabriken, die Glühbirnen produzieren. Wir sind schon mittendrin in der nächsten industriellen Revolution, an einem Punkt, an dem wir schon mehrfach waren. Dieses Mal ist KI ein Kerntreiber neben anderen. Wir können uns noch gar nicht vorstellen, was für neue Jobs es in der Zukunft geben wird. Das ist etwas, das oft vergessen wird: Die Automatisierung hat mehr Arbeitsplätze geschaffen.