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Exklusiv Harte Landung

Beamte, Wissenschaftler und Luftfahrtindustrie pflegen eine enge Allianz. Staatsanwälte ermitteln nun wegen des Verdachts der Korruption.
In der Luftfahrtbranche gibt es ein enges Interessensgeflecht
In der Luftfahrtbranche gibt es ein enges Interessensgeflecht
© Peter K.C. Ho

Wenn Politiker, Lobbyisten und Unternehmer in Berlin einmal unter sich sein wollen, haben sie hierfür einen besonderen Ort. Gleich gegenüber dem Reichstag residiert hinter einer prächtigen Fassade die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG). Kameras und Mikrofone müssen hier meist draußen bleiben. Wer nicht gesehen werden will, kann die festlichen Räume mit ihren Kronleuchtern und Spiegeln auch über ein weit verzweigtes Tunnelsystem unter den Gebäuden der Bundestagsverwaltung erreichen.

Ein feiner Ort für eine feine Runde: Gut fünf Jahre ist es her, da lud der Flugzeugbauer Airbus zum parlamentarischen Abend ins einstige Palais des Reichstagspräsidenten. Beim lockeren „Informationsaustausch“ sollten sich Abgeordnete, Beamte und Spitzenmanager näherkommen. Höhepunkt des Abends: Die Verleihung der „Korrespondierenden Mitgliedschaft“ der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR), der wichtigsten Forschungslobby der Branche. Hinter dem umständlichen Titel verbirgt sich eine der höchsten Auszeichnungen der deutschen Luft- und Raumfahrt, in Jahrzehnten nur 60 Mal verliehen, meist an Pioniere wie den ersten Deutschen im All, Siegmund Jähn.

An diesem Abend aber ging der Titel nicht an einen ehemaligen Astronauten, sondern an einen Ministerialrat: Franz-Josef M. In der Branche gebe es „keinen, der bei der Erwähnung des Namens Franz-Josef M. nicht voll des Lobes ist“, schwärmte DGLR-Vorstand Rolf Henke in seiner Laudatio. M. kämpfe „mit vollem Einsatz für die Luftfahrtindustrie“, und er freue sich auf eine „weitere gute Zusammenarbeit“.

Die könnte nun empfindlich gestört werden.

Denn gegen M., damals Leiter des Luftfahrtreferats im Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi), ermittelt seit Ende April die Staatsanwaltschaft Berlin. Wegen des Verdachts auf Vorteilsannahme – ein Korruptionsdelikt. M. ist Beamter, und Beamten ist die Annahme von Preisen grundsätzlich untersagt, zumal, wenn sie mit finanziellen Vorteilen verbunden sind. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigt die Recherchen von Capital: „Wir ermitteln gegen einen Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums wegen möglicher Vorteilsannahme und gegen weitere Personen wegen Vorteilsgewährung. Die Untersuchung dauert an.“

Verschwiegenes Netzwerk

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eines der verschwiegensten Netzwerke der deutschen Wirtschaft. Kaum irgendwo sonst pflegen Politiker, Beamte, Wissenschaftler und Manager so enge Kontakte wie in der Luftfahrtindustrie. Jedes Jahr päppelt der Staat die Luft- und Raumfahrt mit Hunderten Millionen Euro. Der Kreis der Bedachten ist eng, und gefördert werden nicht allein Grundlagenforschungen, sondern auch innovative Produkte. Nicht umsonst erreicht der Streit zwischen dem Airbus-Konzern (ehemals EADS) und dem US-Konkurrenten Boeing um verdeckte Staatshilfen und Wettbewerbsvorteile regelmäßig die Welthandelsorganisation WTO.

Unternehmen und Hochschulen der Luftfahrtindustrie erhalten in diesem Jahr voraussichtlich rund 165 Mio. Euro vom Bund. Das Volumen der Programme hat sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht. Gab es von 2003 bis 2007 im dritten Luftfahrtforschungsprogramm nur insgesamt 160 Mio. Euro zu verteilen, waren es von 2007 bis 2013 bereits gut 600 Mio. Euro. Bis 2015 kommen nun noch einmal 200 Mio. Euro dazu.

In seinem jüngsten Bericht kritisiert der Bundesrechnungshof die Fördergeldvergabe. Bei der „Prüfung der Verwendungsnachweise“ gebe es einen „hohen Bearbeitungsrückstand“. Kurz: Das Ministerium schaut den Empfängern nicht schnell genug auf die Finger. Erstaunlich angesichts der gewaltigen Dimension des Programms.

Bund hält Forschungsausgaben für Luftfahrt geheim

Andererseits: Man kennt sich auch gut in der Branche und vertraut sich. Wie dieses Netzwerk funktioniert, ließ sich schon an jenem Berliner Abend Ende April 2009 studieren. M. habe es geschafft, die „Mittel für die Forschungs- und Technologieförderung in der Luftfahrt in den letzten Jahren deutlich zu steigern“, lobte damals Laudator Henke.

Allein in dessen Amtszeit als Referatsleiter vergab das Wirtschaftsministerium nach Recherchen von Capital mehr als 1,1 Mrd. Euro über die Luftfahrtforschungsprogramme („LuFo“). Mit insgesamt 1,7 Mio. Euro förderte der Bund 2003 zum Beispiel NASGeT, ein Projekt zur Entwicklung leiserer Turbinen. Empfänger waren der damalige Airbus-Mutterkonzern EADS, der Turbinenriese MTU sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung (DLR). Kleinere Unternehmen gingen wie häufig leer aus.

Anders als bei den übrigen Ausgaben für die Forschung macht der Bund aus der Luft- und Raumfahrtförderung ein Staatsgeheimnis. Wer wie viel Geld erhält, veröffentlicht der Bund seit 2005 nicht mehr in seiner Förderdatenbank. Doch nach Berechnungen von Capital aus den erhältlichen Zahlen machen die zehn größten Empfänger rund 87 Prozent der Gelder unter sich aus. Airbus, das den prestigeträchtigen Abend der Preisverleihung finanzierte, erhielt insgesamt rund eine halbe Mrd. Euro.

Verdacht der Vorteilsgewährung

Rolf Henke ist seit 2013 Präsident der Branchenlobby DGLR
Rolf Henke ist seit 2013 Präsident der Branchenlobby DGLR

Auch Henkes Arbeitgeber profitierten: Gut ein Jahr nach der Ehrung M.s wurde Henke in den Vorstand des DLR berufen, zuständig für Luftfahrt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung ist das wichtigste Forschungsnetzwerk in der Luft- und Raumfahrtindustrie und führt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums auch das Auswahlverfahren vor der Fördermittelvergabe durch. Zugleich erhielt es selbst vom BMWi allein durch die Luftfahrtforschungsprogramme seit 2003 rund 107 Mio. Euro.

Weitere 6 Mio. Euro gingen an Henkes Hochschule, die Aachener Kaderschmiede für Ingenieure; die Rheinisch-Westfälisch Technische Hochschule (RWTH). Joachim Szodruch, damals Vorstand beim Fördergeldempfänger DLR und Vorsitzender des Branchenverbandes DGLR, unterzeichnete die Ehrenurkunde für M.. Alle drei eint, dass sie am Anfang ihrer Karriere einst bei Airbus arbeiteten.

Joachim Szodruch, einstiger Chef der DGLR und DLR-Vorstand. Bis zu seinem Ruhestand 2010 war er einer der mächtigsten Strippenzieher der Luft- und Raumfahrtindustrie
Joachim Szodruch, einstiger Chef der DGLR und DLR-Vorstand. Bis zu seinem Ruhestand 2010 war er einer der mächtigsten Strippenzieher der Luft- und Raumfahrtindustrie

Auch gegen Henke und Szodruch ermittelt nun die Staatsanwaltschaft, wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung. Beide bestreiten, M. einen Vorteil verschafft zu haben. Tatsächlich ist der materielle Wert der Ehrung begrenzt. Der für „Korrespondierende Mitglieder“ entfallende Jahresbeitrag liegt bei 125 Euro, die Mitgliederzeitschrift gibt es gratis. Für Bundesbeamte aber gelten strenge Regeln, wenn sie Zuwendungen erhalten sollen. Ohne Genehmigung ihres Dienstherrn dürfen Staatsdiener nicht mal eine Freikarte für den Zoo annehmen. Eine Bagatellgrenze gibt es nicht. Präsente im Wert bis 25 Euro müssen sie sich zwar nicht vorher genehmigen lassen, aber melden.

Insbesondere sind auch Ehrungen als grundsätzlich nicht erlaubte Belohnungen eingestuft. Ob das Ministerium M.'s Preis absegnete – was das Luftfahrttrio deutlich entlasten würde – wollte eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nicht sagen. Auch zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wollte sich das Ministerium nicht äußern.

frucht­barer Boden für Korruption

Beim Anti-Korruptionsnetzwerk Transparency Deutschland löst der Fall Verwunderung aus – vor allem angesichts der „Sorglosigkeit“ der Beteiligten. Ehrungen seien in allen Beamtenrichtlinien als „Vorteil“ eingestuft, sagt Gisela Rüß, Vorstandsmitglied bei Transparency Deutschland. Sollten die Vorwürfe zutreffen, „herrscht in den Kreisen entweder großes Unwissen darüber, was Korruption eigentlich ist – oder man ist sich seiner Sache allzu sicher“. Gerade in langjährig gewachsenen Netzwerken sei die Gefahr hoch, dass die Beteiligten nicht mehr klar zwischen ihren Rollen unterschieden –Privatwirtschaft hier, der Neutralität verpflichteter Beamtenapparat dort. „Das Zusammenwachsen dieser Rollen ist keine Bagatelle, sondern häufig frucht­barer Boden für Korruption.“

Dass das Wirtschaftsministerium die Korruptionsvorsorge im Fall M. schleifen ließ, hat es bereits an anderer Stelle bewiesen. Denn zur Preisverleihung 2009 hätte er laut den Antikorruptionsrichtlinien der Bundesregierung gar nicht mehr auf seinem Posten sein dürfen. Diese schreiben nämlich vor, dass Beamte auf „besonders korruptionsgefährdeten“ Posten nach fünf Jahren regelmäßig ihre Aufgaben wechseln oder sehr streng überwacht werden müssen. Beides geschah nicht.

Nach Informationen von Capital schrieben M.'s Vorgesetzte erst drei Jahre später überhaupt eine Ausnahmebegründung, wa­rum ihr Beamter im Referat für die Luft- und Raumfahrtförderung unabkömmlich sei.

Erst im Sommer vergangenen Jahres wurde er dann doch versetzt. Groß umstellen musste sich der Beamte aber nicht. M. leitet nun im Wirtschaftsministerium das Airbus-Referat.

Einen Tag nach Bekanntwerden der Ermittlungen nahm Airbus-Chef Tom Enders den Beamten im Wirtschaftsministerium in Schutz. „In Deutschland sind wir auf dem besten Wege über politische Korrektheit jeden vernünftigen Maßstab zu verlieren“, sagte der Airbus-Chef Spiegel Online. Er habe selten so etwas Abwegiges gehört, wie den angeblichen Korruptionsvorwurf gegen den Beamten. Die Ehrung der DGLR habe ein Signal sein sollen, dass der Beamte sich um die Luftfahrt verdient gemacht habe. Anders als vermutet habe M. den Konzern und die gesamte Branche „oft bis aufs Messer gereizt mit seinen Forderungen an die Branche. Er folgt eben nur dem, was er im staatlichen Interesse sieht“.

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