Dass Freudenberg den Vergleich mit den ganz Großen der deutschen Industrie nicht scheut, zeigt sich schon am Bodenbelag. Große, anthrazitfarbene, matt schimmernde Fliesen. „Die habe ich mal bei einem Besuch bei Porsche gesehen und gesagt: Die will ich auch für unser neues Bildungszentrum“, sagt Rainer Kuntz, der Leiter der Einrichtung.
Kuntz – grauer Schnauzer, lautes Lachen, badischer Singsang – führt durch den zweigeschossigen Neubau. Die Schweißer-Arbeitsplätze im Erdgeschoss sind schon eingerichtet, in der ersten Etage verlegen Handwerker noch die Elektrik. Dort, wo jetzt Pappkartons lagern, soll einmal die Mediathek hinkommen. Hohe, lichte Räume, Dachbalken aus hellem Holz. Aus dem Eckfenster geht der Blick auf die Burg Windeck, die über Weinheim thront.
Freudenberg baut ein neues Ausbildungszentrum, und schon der Augenschein beweist, dass der Konzern dabei nicht spart. Für Kuntz und Wilhelm Schüttler, der für die technische Ausbildung zuständig ist, ein Höhepunkt ihrer Laufbahn: „So was macht man nur einmal im Leben“, sagt Schüttler. „Eine Belohnung ohne Ende, so etwas bauen und gestalten zu dürfen!“
Freudenberg ist ein Hidden Champion
8 Mio. Euro lässt Freudenberg sich das Zentrum kosten, allein 3 Mio. Euro davon gehen in Anlagen und Maschinen. Beste Bedingungen für die momentan 275 Auszubildenden und dualen Studenten, die am Stammsitz ihre Berufe lernen: Mechatroniker, Verfahrensmechaniker, Chemikanten, Kaufleute, Informatiker, Ingenieure, BWLer, sogar ein Winzer für den unternehmenseigenen Weinberg. Doch das ist nur einer der Gründe, weshalb der Zulieferer es im Capital-Ranking der besten Ausbilder auf einen der Spitzenplätze geschafft hat.
Freudenberg ist ein Hidden Champion, wie er im Buche steht. Weil vor allem im B2B-Geschäft unterwegs, ist das Familienunternehmen der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt. Die Zahlen können deshalb erstaunen: Freudenberg bespielt 30 Branchen – von Auto über Medizin bis hin zu Lebensmitteln. In 160 Ländern unterhält es mehr als 500 Standorte. Seine rund 48.000 Mitarbeiter stellen 150.000 unterschiedliche Produkte her. Im vergangenen Jahr lag das Ergebnis bei 1 Mrd. Euro, bei einem Umsatz von 8,6 Mrd. Euro.
1849 als Ledermanufaktur gegründet, ist Freudenberg praktisch vom ersten Tag an eine internationale Firma. Häute bezieht das Haus unter anderem aus Amerika. Schon im Gründungsjahr exportieren die Badener nach Frankreich, in die USA und das Vereinigte Königreich. Keine zwei Jahrzehnte später reichen die Handelsbeziehungen bis nach Indien.
Vileda ist das bekannteste Produkt
Als Erster in Europa setzt Freudenberg 1904 die Chromgerbung ein und steigt zum größten Lederhersteller des Kontinents auf. Doch auf die Expansion folgt die Krise, als nach dem Black Friday 1929 die Lederpreise einbrechen. Um die Wertschöpfung zu steigern, entwickelt Freudenberg sein Leder zu technischen Produkten weiter – geboren ist der Dichtungsring. Als die Nazis nach wirtschaftlicher Autarkie streben, stellt Freudenberg Kunstleder her, aus Ersatz-Kautschuk und einem Trägerstoff aus Vlies. So wächst die Expertise mit unterschiedlichsten Materialien.
Die Geschichte des Konzerns zeigt sich im heutigen Portfolio. Das Reinigungstuch Vileda („wie Leder“) ist das wohl bekannteste Produkt. Noch immer produziert Freudenberg Dichtungen aller Art, vom Anti-Tropf-Verschluss für Honigspender bis zum Blow-out-Preventer für Bohrinseln. Seine Vliesstoffe werden in Innenraum-Luftfiltern von Autos eingesetzt oder in Wundauflagen für den OP-Gebrauch. Der Schmierstoff für die Tachonadel, die Oberflächenbeschichtung von Haribo-Goldbären, sogar das Bändchen, mit dem man die rote Wachshülle von Babybel-Käse öffnet – alles aus Weinheim.
Freudenberg-Produkte seien „meistens unsichtbar, stets unverzichtbar“, sagt Unternehmensarchivar Michael Horchler. „Es gibt kein Auto auf der Welt, in dem wir nicht vertreten sind.“ Das ist natürlich unmöglich nachzuprüfen. Aber angesichts der Überzeugung, mit der Horchler das vorträgt, ist man geneigt, ihm einfach zu glauben.
"Ich will die, die am besten zu uns passen“
Ende 2017 soll das neue Ausbildungszentrum eröffnet werden. Bis dahin kreischt noch in der alten Lehrwerkstatt Metall auf Metall. An den Werkbänken feilen 25 Lehrlinge U-förmige Schienen, auf ihren blauen T-Shirts steht „Ausbildung“. Nicht alle von ihnen sind Freudenberger: Der Konzern betreibt sein Ausbildungszentrum im Verbund mit 42 Kunden, die keine eigene Lehrwerkstatt haben. An sie reicht Freudenberg mitunter auch geeignete Bewerber weiter, denen der Konzern keinen eigenen Ausbildungsplatz anbieten kann. Im September haben 72 neue Azubis angefangen; 1244 Interessenten hatten sich beworben.
Angesichts des Lehrlingsmangels in Deutschland eine ziemlich komfortable Position. Dennoch sagt Rainer Kuntz, der Leiter der Einrichtung: „Als ich hier angetreten bin, habe ich gesagt: ‚Ich will die Besten.‘ Davon bin ich schnell abgekommen – ich will die, die am besten zu uns passen.“
Wer passt, misst man bei Freudenberg nicht nur am Wissen und Können, sondern auch an der Persönlichkeit. Der Maschinenbaustudent Stefan Erbe erzählt, sein heutiger Chef habe im Bewerbungsgespräch ziemlich fordernd nachgehakt. Erbe parierte offenbar gut, denn später kam der Chef auf ihn zu: „Sie haben nicht die besten Noten, aber Sie haben Berufserfahrung, genau so einen will ich haben.“ Keinen, der vor Herausforderungen kuscht, sondern einen, der die Ruhe bewahrt. Den Rest kann man lernen.
Freude an der Arbeit wecken
Am besten mit intensiver Unterstützung. Im Bildungszentrum arbeiten 15 Leute, die sich ausschließlich um die Azubis kümmern; dazu gehört auch, engen Kontakt zu den Berufsschulen zu halten. Abbrecher gebe es bei Freudenberg so gut wie keine, erzählt der technische Ausbildungsleiter Schüttler. Auch, weil die Ausbilder ein offenes Ohr haben. „Wir haben unser Ziel erreicht, wenn ein Student oder Auszubildender zu uns kommt, bevor das Kind im Brunnen liegt“, sagt Kuntz. „Wenn er uns sagt: ‚Ich habe hier ein Thema.‘ Ob das nun mit dem Job zu tun hat oder privater Natur ist.“
Vor allem aber geht es darum, Freude an der Arbeit zu wecken. In der Lehrwerkstatt führen der Student Erbe und ein Team aus Kommilitonen eine Versuchsanlage vor, die sie in einem vierwöchigen Projekt entwickelt und konstruiert haben: einen per Tablet gesteuerten Roboter, der Gleitringdichtungen montiert. Normalerweise geschieht das noch von Hand; ihr Projekt ist eine Machbarkeitsstudie, ob sich dieser Produktionsschritt automatisieren ließe. Die vier jungen Männer sind stolz auf das Ergebnis, jeder bringt sich ein, um Details zu erklären. Selbst einer, der anfangs einen zurückhaltenden Eindruck machte, taut sichtlich auf.
„Sinnhafte Aufgaben erledigen statt Lehrbleche bohren“, nennt es Kuntz. „Ausbildung muss Spaß machen. Wenn Lernen Spaß macht, kommen die jungen Leute viel leichter ans Ziel.“