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Studie Mangelnde Chancengleichheit führt zu BIP-Verlust in Milliardenhöhe

Teambesprechung: Unternehmen sollten für mehr Chancengleicheit sorgen
Mehr Chancengleicheit liegt im Interesse der Wirtschaft – sie verliert Milliarden durch soziale Immobilität
© Addictive Stock / IMAGO
Wie weit jemand im Berufsleben kommt und Karriere macht, hängt in Deutschland von der sozialen Herkunft ab. Fehlende Aufstiegschancen schaden auch der Wirtschaft, zeigt eine Studie

Ein guter Job, ein solides Einkommen – das hängt in Deutschland nach wie vor von den Startbedingungen ab, die ein Mensch hat. Und selbst wer als Kind und Jugendlicher Hürden im Bildungssystem überwindet, kann als Erwachsener Nachteile erleben, denn auch die Berufswelt ist von Ungleichheiten geprägt. Mangelnde Chancengleichheit schadet nicht nur Einzelnen, sondern auch der Wirtschaft: Laut einer aktuellen Studie der Personalberatung Page Group, die Capital exklusiv vorliegt, entgehen dem deutschen Arbeitsmarkt dadurch 292.000 Arbeitskräfte. Für die Wirtschaft bedeutet das ein Verlust in Höhe von 24,9 Mrd. Euro an Bruttoinlandsprodukt (BIP) – jedes Jahr. 

In der Studie, die die Page Group zusammen mit dem Centre for Economic and Business Research (Cebr) durchgeführt hat, wurden die tatsächlichen Kosten fehlender Chancengleichheit – auch soziale Immobilität genannt – für Deutschland und fünf weitere Länder erhoben. „Durch soziale Immobilität fehlen dem Bundeshaushalt finanzielle Mittel in Milliardenhöhe“, sagt Page Group-Geschäftsführer Goran Barić. „Dabei wird das Geld dringend benötigt, zum Beispiel um die Chancengleichheit in Deutschland weiter zu fördern und Barrieren abzubauen.“ Die Summe des entgangenen BIP, das die Studie als Folge sozialer Immobilität identifiziert hat, liegt über dem Gesamtetat der deutschen Bundesregierung für Bildung und Forschung für das Jahr 2025.

Von 100 Nichtakademikerkindern studieren nur 25

Wie gut die Chancen für sozialen Aufstieg stehen, bestimmt sich schon im Kindesalter – darüber ist die Wissenschaft weitestgehend einig. Zwar ist das Bildungssystem heute viel durchlässiger als früher, trotzdem finden nach Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung von 100 Kindern, die aus nicht-akademischen Haushalten stammen, nur 25 den Weg an eine Hochschule. Haben die Eltern studiert, nehmen fast 80 Prozent der Kinder ein Studium auf. Stark benachteiligt sind Kinder, deren Eltern keine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben: In dieser Gruppe beginnen lediglich acht von 100 ein Studium.

In der Wahrnehmung spielt familiäre Herkunft als Aufstiegsfaktor allerdings eine untergeordnete Rolle, wie eine Auswertung der Einstellungen zur sozialen Mobilität durch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für das Jahr 2021 zeigt. Hingegen findet die Aussage, dass Anstrengung und Fleiß wesentlich für den tatsächlichen Erfolg und sozialen Aufstieg sind, in der Gesamtbevölkerung eine besonders hohe Zustimmung. Insgesamt wird sozialer Aufstieg als etwas begriffen, das Menschen weitestgehend selbst beeinflussen und kontrollieren können.

Aufstiegschancen: Unternehmen sind gefragt

Im Erwachsenenalter hängt sozialer Aufstieg davon ab, ob sich erworbene Qualifikationen in Einkommen umwandeln lassen. Immerhin belegte Deutschland im Hinblick auf die arbeitsbezogene soziale Mobilität den dritten Platz unter 82 untersuchten Ländern, so das Ergebnis des Global Social Mobility Index 2020 des World Economic Forum. Die arbeitsbezogene soziale Mobilität umfasst die Möglichkeiten, über die Menschen aus niedrigeren sozioökonomischen Verhältnissen verfügen, um im beruflichen Leben voranzukommen und Zugang zu besseren Beschäftigungsmöglichkeiten zu erhalten. 

„Trotz dieser guten Platzierung zeigt unsere Studie, dass soziale Immobilität weiterhin deutliche Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft des Landes hat“, sagt Barić. Wirtschaft und Unternehmen leiden direkt unter den Folgen fehlender Aufstiegschancen: „Als Personalberatung sehen wir, dass es in den letzten Jahren in vielen Bereichen schwerer geworden ist, offene Stellen zu besetzen“, so Barić. „Es stehen einfach keine Kandidaten zur Verfügung.“ Eine verbesserte soziale Mobilität kann hier Abhilfe schaffen und mehr Menschen an den Jobmarkt bringen. „Vor allem angesichts des Fachkräftemangels kann Deutschland es sich nicht erlauben, auf diese Arbeitskräfte zu verzichten.“

Chancengleichheit im Unternehmen leben

Chancengleichheit herzustellen, ist allerdings nicht allein Aufgabe der Politik. Auch Unternehmen können mehr tun. Dazu müssten sich Arbeitgeber mit der sozialen Mobilität an ihren eigenen Arbeitsplätzen befassen. Es komme vor allem darauf an, die Arbeitskultur sowie Einstellungsverfahren anzupassen, sagt Barić. Kriterien wie Talent, Anstrengung und Leistung sollten stärker zählen als Name, Herkunft, Geschlecht oder Glauben. „Das müssen Unternehmen stärker leben und von oben nach unten kommunizieren.“ Helfen können dabei zum Beispiel interne Trainings.

Von mehr sozialer Mobilität profitieren schließlich beide Seiten: Für betroffene Personen entstehen mehr Chancen für das persönliche und berufliche Wachstum, Unternehmen eröffnet sich dadurch eine größere Vielfalt an Fähigkeiten, Erfahrungen und Perspektiven. „Wenn Unternehmen vorurteilsfreier agieren und ihr Bewusstsein schärfen, dass es auf das Ergebnis ankommt, könnte das Menschen mit schlechteren Startbedingungen weitere Türen öffnen“, sagt Barić, der selbst Arbeiterkind ist und dessen Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen.

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