Am späten Abend in Sankt Petersburg, nachdem die Runde der Staats- und Regierungschefs gegessen und sich beim Essen über Syrien gestritten hatte, blieb beim G20-Gipfel noch Zeit für ein bisschen Kultur. Verdis „La Traviata“ wurde gegeben, die Geschichte der gefallenen Salondame, die ihre beste Zeit hinter sich hat und am Ende an Tuberkulose stirbt. Noch vor einem Jahr wäre eine solche Programmwahl wohl als Anspielung auf das vor sich hin siechende Europa verstanden worden – das mit der Krise seiner Währung zum Problemfall der Weltgemeinschaft geworden war.
Doch diesmal ist Europa kein Thema. Die Bundeskanzlerin, eigentlich ja ein Wagner-Fan, kam gut gelaunt aus der Oper. Und zufrieden wird in der deutschen Delegation festgestellt, dass die Eurokrise in der Debatte der G20 praktisch keine Rolle mehr spielt.
Der Grund für diesen Wandel liegt nicht so sehr im Streit um Syrien, der als inoffizielles Haupt-Thema den Gipfel bestimmt. Es ist vielmehr so, dass Schwellenländer wie Indien, die Türkei, Indonesien, Brasilien, China oder Russland dermaßen viele eigene Schwierigkeiten haben, dass das Währungsgerangel der alten Welt mittlerweile wie ein Luxusproblem wirkt. Die Staatsschuldenkrise gilt als abgehakt, und die unlängst noch auftrumpfende Haltung der aufstrebenden Volkswirtschaften ist einer unsicheren Grundstimmung gewichen.
Antreiber und Schrittmacher
Plötzlich sind EU und auch die USA wieder in der Rolle des Ratgebers, Helfers und Problemlösers gefragt. Die Zeitenwende in der globalen Machtverteilung legt zumindest eine Pause ein. „Auf diesem G20-Gipfel wird mit Sicherheit die wirtschaftliche Situation der Schwellenländer sehr viel stärker im Vordergrund stehen als die Situation in der Eurokrise“, sagte die in hellem Orange gekleidete Kanzlerin Angela Merkel gleich nach ihrer Ankunft in Sankt Petersburg. Statt über die Misere in Griechenland wird über ein Programm gegen Steuervermeidung diskutiert oder die Regulierung der Schattenbanken. Themen, bei denen sich die Europäer als Antreiber und Schrittmacher präsentieren können.
Wenn Europa Glück hat, ist der kleine Imagewandel ein echtes Comeback mit sich selbst verstärkender Wirkung: Wer in den Augen ausländischer Investoren als geheilt gilt, der ist vielleicht tatsächlich bald nicht mehr krank – weil er relativ zu anderen Teilen der Welt immer noch die bessere Anlagemöglichkeit bietet. Wenn es schlecht läuft, dann ist Sankt Petersburg nur eine Atempause bis zum nächsten Alarmzustand. Die Organisatoren des Kulturprogramms am nächsten Gipfelort Brisbane werden sich darauf einstellen können.
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