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Management Eine Prise Arroganz für Frauen

Männer dominieren den Berufsalltag. Aber Frauen können lernen, sich in dieser männlich Welt zu behaupten. Von Peter Modler
Eine Frau im Rampenlicht: Im Berufsalltag dominieren aber immer noch männliche Verhaltensweisen - Foto: Getty Images
Eine Frau im Rampenlicht: Im Berufsalltag dominieren aber immer noch männliche Verhaltensweisen - Foto: Getty Images


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Peter Modler ist Unternehmensberater und Buchautor. Zuletzt erschienen ist „Die Manipulationsfalle“. Modler verfügt über langjährige Führungspraxis als Manager und Unternehmer. Mehr unter drmodler.de

Frau Dr. Fendel ist als Leiterin der F+E-Abteilung erst seit zwei Monaten im Amt, und in dieser Funktion ist sie auch die erste Frau in der Firma aus der Kunststoff-Branche. An ihrer Qualifikation gibt es, trotz ihres relativ niedrigen Alters, keinerlei Zweifel. Aber als ihr Chef in der Runde der Abteilungsleiter von der Konferenz in Großbritannien erzählt, auf die sich offensichtlich alle am Tisch freuen, bekommt sie eine kalte Dusche. Denn als sie nach der Sitzung mit ihrem Chef über die Details ihrer Teilnahme dort reden will, bemerkt der nur etwas irritiert: „Mädchen, Du bleibst hier. Da gehen nur die Jungs mit.“ Das macht sie erst einmal sprachlos, während ihr Chef beiläufig von etwas ganz anderem zu reden anfängt. So wichtig war das für ihn jetzt nicht. So viel zu Genderfragen im realen Berufsleben. „Mädchen“. Und: „nur die Jungs“. Und genau da stehen wir tatsächlich in Deutschland. Während viele Personalentwicklungsabteilungen die politisch korrekte Fahne hochhalten und es sogar beiläufige Sympathiebekundungen für Genderfragen aus den obersten Etagen gibt, sieht die Wirklichkeit im Betrieb, da wo geschraubt, entwickelt, verkauft und gedealt wird, leider oft anders aus. Da zählt nämlich oft gar nicht etwa die tatsächliche Leistung. Sondern nur: Gehört die zu unserem Sprachsystem oder halt nicht. Zum ersten Mal hat die amerikanische Soziolinguistin Deborah Tannen mit ihren Teams diese unterschiedlichen Sprachsysteme Anfang der 1990er-Jahre untersucht. Sie beobachtete systematisch das Spiel von Kindergruppen, und fand heraus, dass bei denen, die von kleinen Jungen dominiert wurden, ein spezifisches Kommunikationsmuster vorlag: denn dort konnte sich das Spiel nur entwickeln, wenn möglichst früh Rang- und Revierordnung geklärt wurden. Dabei war es nicht einmal für alle wichtig, die Nummer Eins zu sein, aber einen definierten Platz in dieser Hierarchie zu haben – dieses Bedürfnis war verbreitet. Wenn die Rangordnung unklar wurde oder plötzlich gestört, war das Spiel kaum noch möglich. Sobald sie aber einmal klar war, konnte das Spiel stundenlang und vielfältig weitergehen. Mehrheitlich reagierten die kleinen Jungen so, aber auch eine Minderheit von Mädchen. Tannen prägte für dieses System den Begriff „vertikale Kommunikation“. Ein ganz anderes Verhalten fand Tannen dagegen bei Gruppen, die von kleinen Mädchen dominiert wurden. Hier wurde nämlich kaum rangmäßig, sondern vor allem egalitär kommuniziert: Ich erzähle dir was von mir, und du erzählst mir was von dir - gleichberechtigter Informationsaustausch unter gegenseitiger Gesichtswahrung. Rangspiele wurden als langweilig empfunden. Zugehörigkeit spielte eine ebenso große Rolle wie inhaltliches Interesse. Wenn tatsächlich eines der Mädchen den anderen vorgab, was gespielt werden sollte, wurde es vom Rest der Gruppe eher als unangenehm empfunden. So verhielt sich die Mehrheit der Mädchen, aber auch eine Minderheit kleiner Jungen. Dieses System bezeichnete Tannen als „horizontale Kommunikation“.

„Arroganz-Training für Frauen in Führung“


Auf Tannen war ich in meiner Arbeit vor rund zehn Jahren gestoßen, als ich bei einem Lehrauftrag immer wieder auf ein merkwürdiges Verhalten meiner Studierenden traf. Denn ausgerechnet diejenigen, die für die nächste Seminarsitzung besonders schlecht vorbereitet waren, hatten offensichtlich kein Problem damit, sich vor die Gruppe zu stellen, um grinsend und von sich selbst überzeugt akademischen Schrott zu erzählen. Es waren so gut wie immer männliche Studierende. Während ihr weibliches Pendant das Ganze in Sekunden zwar durchschaute, aber niemals unterbrach und sich höflich die Zeit stehlen ließ. Mit den Studierenden entwickelte ich daraufhin ein paar Tools zum Thema „Wie stoppe ich Vielschwätzer?“. Ungefähr zeitgleich las ich Tannen und begriff allmählich den Systemzusammenhang. Inzwischen führe ich seit neun Jahren eine sehr besondere Art von Workshops mit weiblichen Führungskräften durch. Ich nenne sie, mit einer gewissen Poesie, „Arroganz-Training für Frauen in Führung“. Für einen Seminartag versammeln sich Frauen aller Altersgruppen und Branchen, die in ihrer Führungsaufgabe Konflikte mit Vertretern des vertikalen Stils erfahren haben: männliche Chefs, Kollegen, Kunden, Mitarbeiter oder wem auch immer. Dafür soll eine Lösung gefunden werden. Und das macht man natürlich am besten, jenseits aller Theorien, am lebenden Objekt. Darum engagiere ich für so einen Tag einen männlichen Sparringspartner, der als Qualifikation nur braucht, dass er sprechen kann. Das ist auch schon alles. Alter oder Bildungshintergrund spielen keinerlei Rolle. Ein professioneller Schauspieler darf es allerdings nicht sein. Durchschnitt eben. Diese Herren sehe ich in der Regel auch am Seminartag zum ersten Mal in meinem Leben, und danach nicht mehr. Sie erhalten ihr Honorar, aber keinerlei Regie-Anweisung. Der Sparringspartner sitzt auf dem Gang, und darf den Raum erst betreten, wenn eine der Frauen eine konkrete Szene aus ihrer Firma oder ihrem beruflichen Umfeld berichtet, die sie tatsächlich selbst erlebt hat und die ihr unangenehm war, oder die sie endlich einmal verstehen will. Das hört er sich dann an und wir inszenieren die seinerzeitige Szene.

Es ist immer noch erstaunlich für mich, wenn ich erlebe, wie dieser Herr, der ja weder die tatsächliche Firma kennt noch in den meisten Fällen die Branche, sich in 95 Prozent aller Fälle tatsächlich von der ersten Sekunde an genau so verhält wie der Protagonist in der echten Situation. Instinktiv kommt er mit ähnlichen Bewegungen herein wie der Vorstand, verwendet einen ähnlichen Sprachduktus wie der Abteilungsleiter oder der unangenehme Kollege, immer wieder sogar exakt dieselben Formulierungen. Sobald wir die Szene so abgebildet haben, wie sie damals war, schicke ich den Sparringspartner wieder hinaus. Dann analysieren wir die Struktur dieser Szene und schauen uns die Tools an, die die Betroffene jetzt in ihrem Interesse einsetzen könnte. Nun kommt der Kronzeuge zur zweiten Runde herein, die Szene wird wiederholt, allerdings wird sich die Teilnehmerin nun etwas anders verhalten. Vielleicht wird sie mehr Pausen machen, oder eine kleine Bewegung einfügen, vielleicht wird sie an der räumlichen Nähe etwas verändern oder an den Rangbezeichnungen. Der Sparringspartner reagiert dann so wie er es adäquat für seine Rolle findet. Ich unterbreche immer wieder, und frage ihn, wie er sich jetzt gerade fühlt, und in der Regel antwortet er ohne jede Hemmung. Allerdings sind das regelmäßig Antworten, mit denen die beobachtenden Führungskräfte kaum gerechnet hatten. Denn vieles, was sie als übergriffig oder geradezu lächerlich empfunden hatten, war für ihn überhaupt kein Problem. Vieles, was sie als völlig irrelevant betrachteten, hatte für ihn hingegen größte Bedeutung. Wie das eben so ist, wenn ein vertikales System auf ein horizontales trifft, und auf einmal die fremde Grammatik und das fremde Vokabular transparent werden.

Einfache Verhaltensänderungen


An den Rückmeldungen aus den Betrieben höre ich von vielen Teilnehmerinnen, wie wirksam das real funktioniert, was sie im Seminar getestet hatten. Oft waren es erstaunlich einfache Verhaltensänderungen, die dort Respekt und Anerkennung einbrachten, wo es vorher mit einem Riesenaufwand von Argumentation und Detailwissen nicht gelang. Inzwischen habe ich diese Workshops mit etwa 1200 Frauen durchgeführt. Mittlerweile mache ich es auch anders herum: für männliche Führungskräfte mit einer weiblichen Sparringspartnerin. Frau Dr. Fendel war mit ihrer Szene und der Abfuhr durch den Chef übrigens auch dabei. Offensichtlich hatte er ihr ja nicht einmal richtig zugehört, sondern ihre Anfrage mit purer Selbstverständlichkeit abgetan. Darum war Schritt eins für sie erst einmal, ihn zum Zuhören zu bringen. Das machte sie im Seminar so: Sobald er ihr sagte „Mädchen, Du bleibst hier. Da gehen nur die Jungs mit“, trat sie langsam einen Schritt auf ihn zu, schaute ihn ohne jedes Lächeln an und sagte langsam (und völlig unironisch): „Sie sind der Chef.“ Sie ließ eine Pause, die Aufmerksamkeit ihres Vorgesetzten hatte sie damit zum ersten Mal und komplett. Und dann schob sie nach: „Und ich bin die Leiterin der F+E-Abteilung… Und die Leiterin der F+E-Abteilung“… Pause…“- die muss mit.“ Nun auf einmal begann der Chef, die bisherige Regelung mit Argumenten zu verteidigen, die er vorher offensichtlich für völlig unnötig gehalten hatte. Aber wie windelweich die waren, merkte er selbst. Im echten Betrieb hatte Frau Fendels verändertes Kommunizieren übrigens zunächst nicht dazu geführt, dass sie mitdurfte. Aber für das nächste Jahr hatte ihr Chef immerhin angekündigt, dass die Teilnahme anders geregelt werden müsse als bisher. Ist doch was.

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