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Markus Väth Eine Krise ist keine Katastrophe – auch nicht für Unternehmen

Markus Väth
Markus Väth
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Vor Katastrophen stehen wir machtlos, bei Krisen dagegen können wir handeln. Im Idealfall holen Sie das Beste aus uns und unseren Kolleginnen und Kollegen heraus. Vier Prinzipien sollten Unternehmen dabei beherzigen

Vor langen Jahren machte ich eine Tour durchs australische Outback. Plötzlich standen wir vor einem Canyon, einer Schlucht. Um da durchzukommen, mussten wir zunächst steil mehrere Meter tief in eine mit Wasser gefüllte Spalte springen. Unser Tourguide meinte: „Wenn ihr da runterspringt, gibt es keinen Weg zurück. Dann müsst ihr durch den Canyon. Ein langer, anstrengender Pfad. Aber es lohnt sich.“

Natürlich sprangen wir alle – willkommen beim Gruppendruck. Aber Joe – so hieß unser Führer – hatte recht. Es lohnte sich tatsächlich. Mehr noch: Ich habe etwas Wichtiges über mich und den eigenen „point of no return“ gelernt. 

In Krisen bleibt man handlungsfähig 

Spreche ich momentan mit Unternehmen, ist viel von „Krise“ die Rede, manchmal von „Katastrophe“. Es gibt zu wenig Personal, die Energiepreise sind immer noch hoch, es herrscht immense Unsicherheit bezüglich der politischen Lage und so weiter. Da hilft zunächst ein wenig begriffliche Klarheit: Eine Krise ist noch lange keine Katastrophe. 

Erdbeben sind eine Katastrophe, eine Seuche ist eine Katastrophe, der Tod eines geliebten Menschen auch. Da stehst du davor und kannst einfach nichts mehr machen. Trauer und Schock sind die normalen Reaktionen. Krisen haben einen anderen Charakter. Krisen sind ernste Situationen, in denen ich allerdings handlungsfähig bleibe. So war es auch bei mir, als ich in das Wasserloch des Canyons gesprungen bin. Es war eine ernste Situation: Hunderte Kilometer entfernt von der nächsten Ortschaft, eine Gegend mit sechs giftigen Schlangenarten, und es gab für uns nur einen einzigen Weg – gemeinsam nach vorn.

Aber wir konnten handeln, konnten weiterklettern, uns gegenseitig unterstützen. Ich erinnere mich, dass eine junge Japanerin dabei war, nur 1,60 Meter groß, die unheimliche Angst hatte. Während der Canyon-Durchquerung verdiente sie sich bei uns den Spitznamen „die Spinne“. Nicht nur brachte sie ihre Angst unter Kontrolle, sondern erwies sich auch als geschickte Kletterin. 

In Krisen sollten Unternehmen die „Vier E“ beherzigen

Was kann mein kleines Abenteuer heutige Unternehmen lehren? Zunächst sollten Unternehmen intern kommunizieren, dass ein „Point of no Return“, eine unternehmerische Canyon-Durchquerung keine Katastrophe sein muss. Es ist eine Krise im neutralen Sinne. Unternehmen bleiben nach wie vor handlungsfähig – auch wenn es nur einen Weg gibt: gemeinsam nach vorn. Außerdem sollten Unternehmen in der heutigen Situation einige Ideen verwirklichen, die ich die „Vier E“ nenne:

  1. Effizienz: Damals im Canyon hatten wir nicht viele Ressourcen, keine Kletterausrüstung. Wir waren nicht einmal am Fels gesichert. Wir hatten nur unseren Willen sowie unsere Hände und Füße. Das hieß für uns: möglichst Kräfte sparen, kein Gejammer, Rationen einteilen, abschauen, wo der andere hinlangt, um den Griff zu kopieren. 
  2. Effektivität: In manchen Unternehmen ist Effektivität ein großes Thema - für uns damals auch. Ich habe heute noch Joes Satz im Ohr: „Es ist ganz einfach: Wenn du runterfällst, bist du tot.“ Für uns war das effektive Nutzen von Vorsprüngen und Spalten buchstäblich eine Frage von Leben und Tod (und nicht von Kostenstellen). 
  3. Empathie: Wir haben uns damals im Canyon gegenseitig geholfen, haben teilweise die Arme und Beine der anderen in den Fels gesetzt, wenn derjenige kurz Angst hatte oder nicht weiterwusste. Wir haben gelernt: Einen Canyon durchquerst du besser nicht allein. Man muss auf den anderen achten, auf ihn eingehen. Dasselbe wird er für dich tun.
  4. Eigenverantwortung: Keiner von uns wurde durch den Canyon getragen; einen Motivations- oder Sinn-Coach brauchten wir auch nicht. Jeder hat seine Verantwortung wahrgenommen, bestmöglich und ohne Schaden durch diese Situation hindurchzukommen. Diese Eigenverantwortung kann und muss auch ein Unternehmen von all seinen Menschen erwarten. 

Wenn ich heute an diese Tour zurückdenke, muss ich innerlich schmunzeln: Wie verrückt das war, eigentlich ein Wahnsinn. Trotzdem: Ich würde es wieder tun. Weil eine Krise eben keine Katastrophe ist. Im Gegenteil: Krisen holen das Beste aus uns heraus. Sie fordern uns und unsere Kollegen, vermitteln ein Gefühl des Zusammenhalts und der eigenen Wirksamkeit. Bis man auf der anderen Seite des Canyons steht – erschöpft und stolz.

Markus Väth ist Arbeitspsychologe und Schöpfer des Begriffs „Radikal Arbeiten“. Dahinter verbirgt sich eine Philosophie, die Arbeit wieder zu ihrem Kern zurückführen soll: weniger Sinnlosigkeit und Demotivation, mehr Wirksamkeit und Freude. Er ist mehrfacher Buchautor und arbeitet unter anderem als Vortragsredner und Organisationscoach.  

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