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Wochenrückblick Ein paar gute Seiten der Flut

Grausam und hässlich wälzt sich die Flut durch halb Europa und spült alles fort. Aber wenigstens haben wir eine Zentralbank, die dagegen hält. Beste Voraussetzungen für ein ordentliches, kleines Konjunkturprogramm.
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© dpa

Zugegeben, die meisten Menschen haben die Flut in den vergangenen Jahren woanders vermutet. Auf den Finanzmärkten, im Immobiliensektor, am Aktienmarkt, in den explodierenden Preisen für Rohstoffe oder Nahrungsmittel. Überall dort sollte die Geldschwemme der Zentralbanken die Preise nach oben spülen, hieß es. Völlig losgelöst von den Fundamenten soliden Wirtschaftens.

Und nun wälzt sich die Flut durch Deggendorf. Hässlich und braun treibt sie durch Niederbayern nach Österreich und weiter Richtung Süden. Und sie schwappt durch Tschechien nach Norden, durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bis zur Nordsee. Die Menschen fliehen und müssen hilflos mitansehen, wie ihre Städte, Dörfer, ihr Hab und Gut, ihre Arbeitsplätze und Firmen einfach absaufen – auf Wochen und Monate hinaus werden sie wohl unbenutzbar sein.

Die Schäden werden in die Milliarden gehen – allein in Deutschland. Immense Werte, riesige private und öffentliche Vermögen werden durch solche Katastrophen zerstört. Aber es hilft ja nichts, nach der Flut muss aufgeräumt und wieder aufgebaut werden. Für die Betroffenen mag es zynisch klingen, aber so hat die Flut nicht nur üble Folgen.

Es gibt sogar einige Nutznießer der trüben Brühe. Zu allererst sind da die Politiker, vor allem jene, die gerade regieren. Sie können sich in diesen Tagen als besorgte und zupackende Krisenhelfer zeigen. Fluten spülen stets auch Helden nach oben – von Helmut Schmidt über Matthias Platzeck bis Gerhard Schröder hält allein die jüngere Geschichte Deutschlands viele Heldensagen parat. Man darf es eben nur nicht so machen wie einst George Bush Junior, der es vorzog, sich die Brühe und den Matsch von New Orleans lieber nur aus der Vogelperspektive anzuschauen.

Mit etwas Glück profitieren Politiker sogar gleich zweifach von den Wassermassen. Andere Nachrichten gingen in dieser Woche schlicht unter. Zum Beispiel das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften genauso in den Genuss des Ehegattensplittings kommen müssen wie verheiratete heterosexuelle Paare. Das Urteil war lange erwartet worden, es ist ein gewaltiger Erfolg für Homosexuelle.

Gerade weil der Richterspruch schon absehbar war, hatten Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) noch vor Monaten versucht, schnell und geräuschlos die Steuergesetze vorauseilend zu ändern. Doch sie scheiterten damit am Widerstand der Konservativen in der Union. Die wollten sich lieber die offene Niederlage in Karlsruhe abholen.

Da treiben sie nun, die Jahrzehnte liebevoll gepflegten konservativen Vorstellungen von Ehe und Familie – gleich hinter Omas alter Schrankwand aus massiver Eiche. Und keiner nimmt Notiz davon.

Timo Pache
Timo Pache
© Trevor Good

Auch die Möbelindustrie, zuletzt arg gebeutelt von der implodierten Baulust der Südeuropäer, darf frohlocken, zumindest still und heimlich. Sie werden in den nächsten Monaten wieder richtig gut zu tun bekommen. Wohl nicht von ungefähr stellte sich Möbelgigant Ikea diese Woche personell neu auf, zumindest ein bisschen. Firmengründer Ingvar Kamprad übergab den Chefposten offiziell an seinen Sohn Mathias. Allerdings werde der 87-jährige Senior im Hintergrund weiter beraten und mithelfen, versicherte eine Konzernsprecherin. Das ist auch sicher sinnvoll, wenn jetzt absehbar so viel zu tun sein wird.

Nicht nur Möbelhersteller, auch Baufirmen, Autokonzerne, Farbenhersteller, Maler, Architekten, Ingenieure und Reinigungsdienste werden in halb Europa demnächst viel Arbeit haben. Und all das muss finanziert werden. Wo Versicherungen nicht zahlen, wird der Staat, wird sogar Brüssel einspringen müssen. War es nicht ohnehin Zeit für ein Konjunkturprogramm in Europa?

Immerhin hat Europa die Europäische Zentralbank, über die gerade die Deutschen gerne schimpfen. Tatsächlich birgt ihre lockere Geldpolitik langfristig Risiken, auch diese Woche ließ sie den Leitzins unverändert niedrig bei 0,5 Prozent. Sollte die Krise und vor allem die flaue Kreditvergabe der Banken in Südeuropa anhalten, könnte die EZB aber sehr wohl noch zu anderen Mitteln greifen, deutete Präsident Mario Draghi vielsagend an.

Es gibt viele gute Gründe, warum einem die Geldschwemme nicht geheuer sein sollte. Doch jetzt, in der ganz realen Flut, könnte das billige Geld der Zentralbank gerade recht kommen. Denn die Banken können gar nicht anders als endlich wieder Kredite zu vergeben, für all die neuen Häuser, Firmenhallen, Autos und Schrankwände, die nun in Deutschland, Tschechien, Österreich und überall sonst noch entlang von Donau und Elbe gebaut werden müssen.

Zum Abschluss der Woche noch ein Vorschlag zur Güte in dieser ewigen Euro-Krise: Lassen wir doch Italiener, Spanier und Griechen mit aufräumen in Deggendorf, Bitterfeld, in Tirol, Niederösterreich, Tschechien und Ungarn und wo die trübe Brühe sonst noch hin schwappt. Die Baufirmen dort haben eh nichts zu tun, und Banken wie Unicredit oder Santander brauchen dringend mal wieder ein paar gute Geschäfte. Dann wäre allen ein bisschen geholfen.

Fotos: © dpa; Trevor Good

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