Georges Kern ist CEO beim Schweizer Uhrenhersteller IWC Schaffhausen.
Capital: Wer heute wissen will, wie spät es ist, hat dafür mindestens ein digitales Gerät in seiner Umgebung. Warum kaufen Menschen überhaupt noch Uhren? Georges Kern: Uhren sind sehr emotionale Produkte. Es geht um die Technologie, es geht ums Handwerk. Uhren sind wie Spielzeuge für Männer. Der Mann hat ja keinen Schmuck, mit dem er sich selbst verwirklichen könnte. Vielleicht sind Autos und Uhren das, was diese Rolle übernimmt. Aber warum das Interesse an traditioneller, alt hergebrachter Technik? Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich ungeheuer viel verändert. Es gibt viele Unsicherheiten, Probleme, Dramen. Da herrscht ein Verlangen nach Traditionen und Wurzeln. Alte Autos und Manufaktur-Uhren entsprechen diesem Verlangen. Zugleich aber übt digitale Technik eine große Faszination aus. Können Smartwatches wie die von Apple zur Gefahr für die Uhrenindustrie werden? Um unser Preissegment mache ich mir da eigentlich keine Sorgen. Da geht es um eine ganz andere Motivation für den Kauf. Ich glaube sogar, dass das Phänomen Smartwatch eine positive Wirkung haben kann, weil viele junge Leute so überhaupt erst zur Armbanduhr geführt werden. Und dann kaufen sie vielleicht irgendwann mal eine echte Schweizer Manufaktur-Uhr.
"Der Markt in China wird reifer"
Reagieren Sie denn als Hersteller auf die Smartwatch? Wir werden ein Smart Strap herausbringen, also ein Uhrenarmband, das Verbindung zum Internet ermöglicht. Ich glaube, solche Konzepte lassen sich durchaus mit einer traditionellen Uhr verbinden, solange das Grundprodukt Uhr in ihrem Manufaktur-Charakter nicht verändert wird. Die moderne Technik wäre also im Armband. Aber für eine solche Entwicklung muss man sich Zeit nehmen, das ist nichts, was man als Schnellschuss hektisch auf den Markt werfen kann. Die traditionelle Technik, mit der IWC arbeitet, ist ja etwas sehr europäisches. Welche Rolle spielt der wachsende asiatische Markt für Sie? Der asiatische Markt ist wichtig. Vor allem die chinesischen Käufer, die Produkte während ihrer Europareisen kaufen – in Frankreich oder der Schweiz zum Beispiel. Chinesen kaufen aus kulturellen Gründen sehr viel im Ausland ein, Shopping ist für viele Chinesen überhaupt die wichtigste Motivation bei ihren Reisen. Wir stehen in den aufstrebenden asiatischen Märkten allerdings erst am Anfang der Entwicklung. Verlangt der chinesische Markt nicht nach anderen Modellen als der europäische? Als sich der Markt in China geöffnet hat, gab es viele Neureiche, die hochpreisig einkaufen konnten und auffällige Produkte wollten. Diese Zeit ist jetzt vorbei, der Markt normalisiert sich und wird reifer. Es gibt auch in China einen Trend zu diskreten Produkten, also Materialien wie Stahl, Weißgold und Platin. Die können zwar auch teuer sein, aber man sieht es ihnen nicht unbedingt an.
Wie geht IWC in China vertriebstechnisch vor? In unserem Segment gibt es keine gewachsenen Strukturen, eine Distribution wie in Deutschland über Juwelierketten wie Wempe oder Bucherer ist in China gar nicht möglich. Wir arbeiten daher hauptsächlich mit eigenen Boutiquen. Die betreiben wir entweder in Eigenregie oder mit einem externen Partner vor Ort. Markenpiraterie ist für viele europäische Firmen in China ein Problem? Auch für IWC? Je erfolgreicher eine Marke ist, desto mehr Kopien gibt es. Mich stören allerdings weniger die Billigkopien, die man in Thailand für 20 Dollar kaufen kann. Was mich viel mehr ärgert, ist, wenn etablierte Marken Konzepte und Ideen von uns übernehmen. Das passiert leider immer häufiger. Kommen wir zurück zum europäischen Markt. Inwieweit hat Ihnen als Schweizer Hersteller die drastische Aufwertung des Franken im Januar 2015 geschadet? Natürlich ist das ein Problem. Das einzig Positive ist, dass die gesamte Schweizer Uhrenindustrie da im gleichen Boot sitzt. Die Maschinenbauer müssen ja mit den deutschen Wettbewerbern konkurrieren, unsere Konkurrenten hingegen kommen fast ausschließlich auch aus der Schweiz. Insofern stehen wir alle vor der gleichen Situation: Wir müssen einerseits die Kosten senken und effizienter arbeiten. Andererseits haben wir es mit zwei abweichenden Preisbewegungen zu tun: In der Eurozone haben wir die Preise angehoben, in der Franken- und Dollarzone sind sie gesunken. Spielt der Preis für den Käufer einer Manufaktur-Uhr denn überhaupt eine entscheidende Rolle? Natürlich ist es so, dass die Preiselastizität abnimmt, je teurer das Produkt ist. Aber wir verkaufen ja nicht nur im absoluten Topsegment. Wenn man das mit Mercedes vergleicht: Wir müssen auch die A-Klasse oder E-Klasse zu einem wettbewerbsfähigen Preis anbieten können. Ich glaube, das wurde von der gesamten Schweizer Uhrenindustrie in den letzten Jahren vernachlässigt. Das war ja ein Eldorado, es ging immer nur nach oben, vor allem durch die neureichen chinesischen Kunden. Diese Zeit ist vorbei. Und wir haben sicherlich alle den traditionellen europäischen oder amerikanischen Kunden zu wenig im Blick gehabt. In diesem Segment müssen wir mehr Produkte anbieten. Mehr über Uhren gibt es in unserem Spezial in der neuen Capital mit der Neuauflage des großen Markenrankings Uhrenkompass und einem Ausflug in die Welt der besten Uhren-Geschichten. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.