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Porträt Der Warren Buffett von Shanghai

Der chinesische Milliardär Guo Guangchang spricht über sich und seine Prinzipien - und was Tai-Chi und Investieren verbindet.
Guo Guangchang
Guo Guangchang
© Gett Images

Guo Guangchang ist Chef der Investmentgesellschaft Fosun International. Forbes listet ihn auf Platz 25 der reichsten Chinesen mit einem Vermögen von 4,3 Mrd. Dollar. Anfang Januar 2014 kaufte Fosun für etwa 1 Mrd. Euro den portugiesischen Versicherer Caixa Seguros e Saude. Guos Strategie wird mit der des US-Milliardärs Warren Buffett verglichen

Wenn ein reicher chinesischer Geschäftsmann einen Raum betritt, merke ich das auf meinem inneren Radar meist schon einige Zeit vorher: Es ist dieses verräterische Geräusch der vielen Untergebenen, die im Flur übereinander stolpern, um dem großen Mann nicht im Weg zu stehen.

Aber das Wieseln und die Kotau-Übungen bleiben aus, bevor Guo Guangchang zum Mittagessen in der Managementkantine seines Hauptsitzes am glanzlosen Ende der Bund-Promenade von Schanghai kommt. Plötzlich ist er einfach da, ein unscheinbarer Mann mit Brille, der aussieht wie eine Mischung aus einem Bibliothekar und dem Wanderarbeiter, der er hätte sein können – wenn er nicht ein Acht-Milliarden-Dollar-Konglomerat aufgebaut hätte.

Guo ist nicht der reichste Mann Chinas; er ist auch nicht der glanzvollste oder auch nur – nach eigener Aussage – der cleverste. Aber in seinen 47 Lebensjahren hat er es vom Bauernelend zu so viel Geld gebracht, dass es nicht mehr der Wunsch nach Reichtum ist, der ihn morgens aus dem Bett treibt.

Fosun, die Unternehmensgruppe, die er 1992 mit drei Freunden von der Uni gegründet hat, ist das größte private Konglomerat Chinas. Es hält große Anteile an dem Krankenhaus, in dem meine Kinder ihre Grippeimpfungen kriegen, an der Konditorei, wo sie ihre Geburtstagskuchen bekommen, an dem Urlaubsdorf, wo sie am liebsten ihre Ferien verbringen würden, ganz abgesehen von dem Grund und Boden, auf dem wir uns in Schanghai bewegen (und an dem weitgefächerte Immobilienholdings von Guo beteiligt sind).

Fosun hat kürzlich auch (erfolglos) versucht, das Magazin Forbes zu kaufen, versucht noch immer (und wahrscheinlich am Ende erfolgreich), den Club Med zu erwerben, und hat bereits die größte Versicherungsgruppe Portugals, die Caixa Seguros, gekauft. Fosun hat in diesem Jahr 12 Auslandsakquisitionen getätigt, und die Chancen stehen gut, dass die Gruppe demnächst auch bei Ihnen in der Nachbarschaft auftaucht, um ein Unternehmen zu kaufen, das Sie gut kennen. Der ideale Zeitpunkt also, um herauszufinden, was Guo Guangchang antreibt.

Karge Kindheit unter Mao

Guo selbst sagt, es sei eine Mischung aus Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus und Warren Buffett. Er sagt, dass er die Inspiration für seine Investitionsentscheidungen von den ältesten Weisen Chinas bezieht (und von diesem anderen Weisen aus Omaha). Er ist ein Anhänger des Tai Chi, der asiatischen Kampfkunst, die er so oft es nur geht praktiziert. Aber zuerst reden wir über das Essen – und nicht nur, weil wir uns zum Lunch treffen.

Nahrungsmittel (und ihr Fehlen) waren ein großes Thema in China, als Guo 1967 in der Ostprovinz Zhejiang geboren wurde. Das Land hatte gerade mit Maos Kulturrevolution begonnen, die zu großen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führte. Guo erinnert sich daran, dass seine Familie zwar nicht hungerte, aber sie ernährte sich auch nicht üppig (Grundnahrungsmittel wurden danach rationiert, wieviel jede Familie zu ihrer kommunistischen Produktionsgruppe beitrug).

“Wir konnten zweifellos genug essen, um den Bauch voll zu bekommen. Aber das Essen war manchmal sehr schlecht” sagt er und erinnert sich daran, wie seine Mutter “heimlich Süßkartoffeln anbaute, um uns zu ernähren“. Wie viele Chinesen seiner Generation scheint Guo allerdings bei der Erinnerung an diese finstersten Tage der neueren chinesischen Geschichte eher nostalgisch als kritisch zu werden. Er kommt regelrecht ins Schwärmen, wenn er über das typische Gericht seiner Mutter aus dieser Zeit spricht, meigancai (wörtlich übersetzt: “schimmeliges getrocknetes Gemüse“), das, wie er sagt, am besten schmeckt, wenn eine großzügige Portion Schweineschmalz dazukommt.

“Wir waren damals arm. Wir haben eine Schüssel Reis gekocht und dann eine Schicht meigancai oben drauf gelegt. Das Schweinefett schmolz dann in den Reis hinein. Das roch sehr gut. Noch heute wird mein Mund wässrig, wenn ich daran denke,” sagt er. “Meigancai ist unsere Nostalgie.”

Die sonnengetrockneten Pickles waren nicht nur Guos Version der Proustschen Madeleine. Sie waren auch seine Standardration für das Internat.

Die meisten Kinder im ländlichen China haben keine andere Wahl als in die nächste Stadt zu ziehen, wenn sie überhaupt irgendeine Schule besuchen wollen. Seine Mutter füllte einen Topf meigancai mit Schmalz und so viel Schweinefleisch wie die Familie nur entbehren konnte, und er hatte dann genug dabei für die ganze Woche in der Schule.

Er schreit freudig auf, als ich frage, ob wir meigancai bei unserem Lunch essen werden, das in einem privaten Raum in Fosuns kostenloser, rein vegetarischer Management-Kantine stattfinden. Aber es sieht nicht so aus – nicht, weil dieses bodenständige Gericht nicht genug hermacht, sondern weil es nicht vegetarisch genug ist. Während er eine Schale dampfender handgemachter Nudeln schlürft und sich eine übergroße Portion Süßkartoffeln von der Art nimmt, wie sie seine Mutter angebaut hat, frage ich Guo, ob er Vegetarier ist. Er sagt Nein, auch wenn er einen Monat lang auf Fleisch verzichtet habe als er den Tod seiner Mutter betrauerte, denn die war eine gläubige Buddhistin. Wenn es möglich ist, dann nimmt er mittags auch immer das fleischfreie Essen in der Kantine.

Heute gibt es kalten gedämpften Süßmais, angeschwitzte Wintermelone mit schwarzen Pilzen, Okra, Spinat und Kartoffeln mit Augenbohnen. Bei den meisten Geschäftsessen in China würde das abgerundet durch eine Art Feuerwasser namens baijiu – hier aber nicht. Es ist alles ein Teil der Einstellung Guos zum Leben und zum Reichwerden – treibe nichts zum Extrem, weder beim Essen, noch beim Trinken, noch bei der Spekulation am Markt. Beim Tai Chi, so fährt er fort, geht es darum, die Extreme von Yin und Yang im Gleichgewicht zu halten.

Was, so frage ich, hat all das mit dem Kauf portugiesischer Versicherungsgesellschaften zu tun?

Investieren mit Tai Chi

Guo versucht zu erklären, wie es sich auf Investitionsentscheidungen anwenden lässt. “Das Ziel des Tai Chi ist es nicht, als Erster zuzuschlagen, um die Oberhand zu gewinnen. Es geht darum, zu warten und im richtigen Moment zuzuschlagen”, sagt er. “Man muss der Erste sein, der handelt, nachdem man die Veränderung des Momentums spürt. Investieren ist ähnlich. Niemand hat im Markt einen dauerhaften Geschwindigkeitsvorteil, das liegt an den Grenzen der menschlichen Intelligenz und Vision. Dein Vorteil kommt daher, dass du den Wandel schneller spüren kannst und schneller durchschlagend handelst.”

Jeder echte Tai-Chi-Meister wird Ihnen natürlich sagen, dass man Jahre braucht, um auch nur die grundlegendsten Dinge dieser Kampf-cum-Spiritualkunst zu verstehen. Und ich weiß, dass ich nur einen kleinen Teil dessen verstanden habe, was er meint. Aber ich habe eine grobe Vorstellung von diesem “feel the change”-Ansatz. Als ich kürzlich einmal Tai Chi ausprobiert habe, stellte ich fest, dass ich allein durch das Ausstrecken eines Fingers entlang meiner Hüften meine Balance so verändern konnte, dass mich der Trainer auch mit entschlossenen Rempeleien nicht mehr umwerfen konnte.

Guo sagt, dass er früher jeden Tag Tai Chi geübt hat. Selbst jetzt, wo ihm nur noch die Zeit für ein paar Übungen pro Woche bleibt, kann er „immer noch im Sitzen Tai Chi praktizieren“ – wie es scheint sogar beim Mittagessen. “Wissen Sie, ich sitze selten so”, sagt er und lässt sich betont hängen. “Ich sitze meistens so“ – und er richtet sich an der Kante des Stuhles auf. “So fließt das qi gleichmäßig im Körper”. Er fügt hinzu, dass es ihm hilft, “in guter mentaler Verfassung zu sein” und sich “von allgemeinen physischen Beschwerden zu erholen.”

Vom medizinisch-spirituellen Konzept des qi oder des „Geistes“ verstehe ich ungefähr so wenig wie vom Tai Chi. Aber Guo liegt so sehr daran, dass ich die Sache verstehe, dass er ganz ausnahmsweise ins Englische wechselt.

Er betont: “Wenn Sie die Bewegungen jeden Tag fünf oder zehn Minuten lang üben, dann ist das gut für Ihre Gesundheit. Manchmal höre ich auch bei Telefonschalten zu, während ich gleichzeitig einige Bewegungen übe.” Mitarbeiter erzählen, dass er auch schon in harten Verhandlungen während der Kaffeepausen spontan Tai Chi geübt hat.

Der Einfluss der östlichen Spiritualität auf seine Investmentstrategie endet hier nicht. Der Buddhismus, erklärt Guo, lehrt, dass “alles vom Herzen ausgeht, und die wichtigste Lehre des Buddhismus ist, dass man das Herz der Anderen spüren soll. Im Geschäftsleben heißt das, die Dinge aus der Perspektive der Anderen zu sehen. Geschäfte sind wie praktizierter Buddhismus. Es geht nicht nur um Geld. Es geht darum, die Dinge für andere besser zu machen. Am Ende kommt das Geld als Ergebnis.”

“Business,” fügt er hinzu, “ist auch die beste Form der Wohltätigkeit.” (Oder vielleicht erzählt er das den Buddhisten, die ihn um Spenden bitten.) “Wer ein Unternehmen erfolgreich macht, kann mehr Arbeitsplätze anbieten, und wenn man seine Mitarbeiter gut behandelt, dann wird das Geschäft zu einer Wohltätigkeitsorganisation.”

Guo wird damit zitiert, dass Intelligenz nicht das Entscheidende sei für Wohlstand. Statt dessen gehe es um etwas namens xinli. Diesen Begriff können auch sprachkundige Leute nur schwer übersetzen, aber Guo erklärt ihn so: “Manche Leute entscheiden falsch, aber nicht, weil sie keine überlegene Intelligenz hätten. Sondern weil sie der Versuchung der Monster nicht widerstehen können, die sich in ihrem Herzen verstecken.“

Zum Beispiel “kauften viele Leute in den USA nachrangige Schuldpapiere, die genau wussten, wie problematisch die waren. Aber sie wussten auch, dass ihr Bonus kleiner ausfallen würde, wenn sie die Papiere nicht kaufen. Also entschieden sie nach kurzfristigem Vorteil, und nicht etwa, weil sie die Risiken nicht erkannten.” Diese Leute hatten kein xinli. Zuzugeben, dass man einen Fehler gemacht hat, ist eine andere Form von xinli, sagt er – selbst wenn man der CEO ist und denkt, dass man immer Recht haben sollte. Denken Sie an Forrest Gump, sagt er: “Der war nicht intelligent, aber sehr erfolgreich.“

Wie alles anfing

Guo nennt auch das Beispiel Warren Buffett, den Mann, von dem er sich die Strategie abgeschaut hat, ein Konglomerat aufzubauen, das die Finanzmittel einer Versicherung dazu nutzt, in sehr diverse Geschäftsfelder zu investieren. “Ich glaube nicht, dass er erfolgreich war, weil er klüger ist als andere“, sagt Guo. Es gehe mehr um die Disziplin beim Investieren, das Feingefühl für den Markt und die langfristige Perspektive. Auch diese Dinge scheinen xinli zu sein.

Jenseits von Buddhismus und Buffettismus gibt es noch einen anderen Weisen, auf den Guo seinen Erfolg zurückführt. Deng Xiaoping, der Führer, der China nach Maos Tod durch umfassende Wirtschaftsreformen steuerte und der berühmt für seinen (vermutlich apokryphen) Satz ist: “Reich werden ist ehrenvoll”. Guo sagt: “Hätte [Deng] das Land nicht an die Bauern verteilt, dann hätten wir niemals genug zu Essen gehabt. Die meisten [Dörfer] in Zhejiang hungerten”. Ohne Dengs Reformen, so sagt er, hätte er nie zur Universität gehen können “und dann gäbe es auch kein Fosun”.

Denn in dem Namen der Firma spiegelt sich die geschätzte Universitätsausbildung Guos: Fosun heißt “Stern der Fudan University”, seiner Alma Mater, Schanghais renommierteste akademische Einrichtung. Aber er hat nicht nur einen Philosophie-Abschluss der Fudan: Er entwickelte dort auch seine geschäftlichen Fähigkeiten, indem er seinen hungrigen Kommilitonen Brot verkaufte, wenn sie abends um 11 Uhr das Lernen beendeten. Er verdiente 5 Renminbi pro Abend, was mickrig erscheint. Aber er sagt, dass seine monatlichen Ausgaben damals nur 30 Renminbi betrugen. Nach dem Abschluss 1989 hatte er vor, im Ausland zu studieren. Aber statt dessen nutzte er das Stipendium, um mit drei Kommilitonen Fuson zu gründen (alle drei sind noch immer dabei). Heute, 22 Jahre nach der Gründung, reichen seine Investments von Stahl über Bergbau und Tourismus bis zu Pharma.

Solche “Aus-Zhejiang-zum-Reichtum”-Geschichten sind im modernen China nicht ganz unbekannt. Jack Ma, der Gründer des Internet-Giganten Alibaba, ist ebenfalls ein Zhejiang Boy – und auch ein Fan des Tai Chi. Guo wird oft mit Ma verglichen, aber der Fosun-Chef sagt, er selbst sei nicht so clever wie der Ecommerce-Tycoon (und auch nicht so gut im Tai Chi): “Niemand ist so smart wie Jack Ma,” sagt Guo und überschüttet sich vor Heiterkeit. “Er ist ein, ... wie sagt man... ein Alien. Ich bin nur ein normaler Typ,” – allerdings einer mit einem persönlichen Vermögen von 4,3 Milliarden Dollar, wie die Forbes’ China Rich List ausweist.

Wir wenden uns den neueren Entwicklungen zu. Fosun kämpft seit über einem Jahr darum, die Mehrheit an der französischen Urlaubskette Club Med zu übernehmen. Kürzlich zahlte man 725 Millionen Dollar für den Wolkenkratzer Chase Manhattan Plaza in New York. Aber der wichtigste strategische Schritt war der Kauf von Caixa Seguros für eine Milliarde Dollar. Die Versicherungsgruppe verschafft ihm die Mittel, um im Ausland Firmen zu kaufen, die von Chinas wachsendem Wohlstand profitieren können. So wie etwa Club Med. Er braucht nun keine weiteren Schulden aufzunehmen. Ratingagenturen sagen bereits, Fosun habe sich zu viel geliehen.

“Als Eigentümer dieser Versicherung haben wir 13 Milliarden Dollar an Assets, die wir für Investitionen nutzen können“, sagt er. Und fügt hinzu, dass diese Mittel schon genutzt wurden, um Fosuns 100-Millionen-Dollar-Engagement bei Alibabas jüngstem Börsengang in den USA zu finanzieren.

Ich wende ein: Sie können die portugiesische Firma doch nicht nur finanziell melken - Sie müssen auch Versicherungen an die Portugiesen verkaufen (und dabei Regulierungen beachten, die sich von denen in China sehr unterscheiden). Ist das nicht ein bisschen schwierig?

Wie wichtig ist das Geld?

“Das ist nicht unsere erste Investition in ein Versicherungsunternehmen. Wir verstehen Versicherungen,” sagt Guo. Das klingt ein wenig nach „Berühmte letzte Worte“, aber sein Selbstvertrauen ist unerschütterlich. Buffett nutzt das Versicherungsgeschäft um zu investieren, und Guo ist entschlossen, das auch so zu machen.

Es ist Zeit, zum Ende zu kommen, aber Guo hat seine Nudeln kaum angerührt und ich will immer noch wissen: Was denkt ein Junge, der in einer Bauernfamilie während der Kulturrevolution aufgewachsen ist, über den heutigen Zustand einer Volkswirtschaft, die bald die größte der Welt sein wird? Die Kommentatoren bejammern Gier, Protz und den Niedergang traditioneller Werte. Fürchtet Guo, dass China unter dem Druck seines eigenen Erwerbsdrangs zusammenbricht?

Er weist mich sanft zurecht. “Ich hoffe, Sie können verstehen, dass wir sehr lange arm waren. Ich hoffe, Sie verstehen unsere Sehnsucht nach einem guten Leben und Geld. Kritisieren wir das nicht voreilig. Das ist meine Meinung.”

Er fügt hinzu: “Ich glaube, die chinesische Kultur, einschließlich Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus, ist sehr ausbalanciert. Sie wird die Leute zu dem zurückführen, was sie wirklich im Herzen brauchen. Wenn die Leute reich genug sind, dann ändern sich auch ihre Hoffnungen. Am Anfang will ein Mann reich sein, seinen Wohlstand zeigen, das ist normal. Aber allmählich wird ihm das dann ziemlich langweilig. Er wird feststellen, dass die spirituelle Balance wichtiger ist, und er wird sich dem zuwenden.”

Und damit bricht der Philosophen-Unternehmer auf. Womöglich, um eine weitere berühmte Firma in Ihrer Nähe aufzukaufen.

Copyright The Financial Times Limited 2014

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