Patrick D. Cowden bekleidete drei Jahrzehnte Top-Positionen in internationalen Unternehmen. Dann gründete er Beyond Leadership. Mit seinem Team unterstützt er Unternehmen auf ihrem Weg in eine neue Kultur des Miteinanders. Sein aktuelles Buch: "Neustart: Das Ende der Wirtschaft wie wir sie kennen. Ab jetzt zählt der Mensch!“
Ob in Kolumnen, auf Firmen-Websites oder in Imagebroschüren: Manager erwecken in der Öffentlichkeit gerne den Eindruck, dass die Mitarbeiter das wichtigste Gut ihrer Organisation sind. Aber seien wir ehrlich: Trotz steigender Burnout-Raten und eines zunehmenden Mangels an Fachkräften steht der Faktor Mensch auf den Agenden der meisten Unternehmen nicht weit oben. Und dennoch oder gerade deshalb gilt: Unsere Zukunft heißt Mensch.
Als mir letztens der Bereichsleiter eines Luftfahrtkonzerns mit großer Geste vermitteln wollte, wie wichtig ihm seine Mitarbeiter sind, bat ich ihn, doch einmal die Unterlagen zu aktuellen Projekten auf den Tisch zu legen, die das Unternehmen momentan beschäftigen. Daraufhin ließ er seinen Assistenten alle relevanten Ordner zusammentragen: insgesamt etwa 6000 Seiten. Blatt für Blatt gefüllt mit endlos vielen Grafiken und Tabellen zu Innovations- und Strategieentwicklung, zur Prozessoptimierung oder zur Einführung neuer IT-Systeme. Dann bat ich ihn, die Seiten herauszunehmen, bei denen es um die Mitarbeiter geht. Übrig blieben genau sechs Seiten. Sechs von 6000 Seiten.
Dann fragte ich ihn, wer aus diesen fortwährend optimierten Technologien, Strukturen und Prozessen erst einen Erfolg macht? Darauf konnte er mir nur eine Antwort geben. Es sind die Menschen, die Mitarbeiter, Führungskräfte und ihre Kunden und Lieferanten, die Strukturen erst zum Leben erwecken, die Arbeitsprozesse durchlaufen, IT-Systeme nutzen, Innovationen entwickeln, Strategien umsetzen, Produkte verkaufen und damit letzten Endes ein Unternehmen profitabel machen.
Das ungenutzte Potenzial der vielen
Die Frage ist jedoch: Mit welcher Begeisterung, mit welchem Engagement tun sie das? Auch wenn es unserer Wirtschaft derzeit noch gut geht: Nur 16 Prozent aller Mitarbeiter in Deutschland sind bereit, sich aktiv für die Ziele ihres Unternehmens einzusetzen, 13 Prozent dagegen haben innerlich gekündigt, der Rest verrichtet lediglich Dienst nach Vorschrift, so das Ergebnis der aktuellen Gallup-Studie. Volkswirtschaftlicher Schaden: bis zu 120 Mrd. Euro jährlich.
Im weltweiten Wettbewerb streben Unternehmen unentwegt danach, effizienter zu werden, profitabler. Aber es gelingen nur noch kurze positive Effekte, bevor die nächste milliardenverschlingende Optimierungsrunde eingeläutet werden muss, die wieder nicht hält, was sie verspricht. Und bei welcher der Mensch nicht Treiber , sondern das Opfer von standardisierten IT-Systemen, zentralistischen Strukturen und starren Prozessen wird.
Das Problem: Die Führungselite der Wirtschaft kennt sich zu oft nur mit Zahlen aus, aber nicht mit denen, die sie erwirtschaften. Und so bleiben die Hierarchien zu steil, der Fokus auf die Kennzahlen zu eng, der Hang zur Standardisierung und Zentralisierung zu stark, als dass sich das Potenzial der Menschen in diesem System im vollen Umfang entfalten könnte.
Performance-Hebel: Die Qualität des Miteinanders
Das Wirtschaftssystem, wie wir es kennen, ist nicht unsere Zukunft. Es hat ausgedient.
Es kann nach den Phasen der Rationalisierung, des Outsourcings und der Digitalisierung aller Prozesse die Profitabilität nicht weiter steigern. Investitionen in Technologien und Maschinen lohnen sich nur noch bedingt. In den Fokus wird stattdessen der Mensch rücken und vor allem die Art und Weise wie wir miteinander umgehen. Wie wollen wir als Mitarbeiter, Führungskraft, Kunde oder Lieferant miteinander arbeiten, um gemeinsam mehr zu erreichen? Nur wenn Unternehmen dar auf eine Antwort finden, können sie das Potenzial der vielen aktivieren – das Wissen und Engagement von Millionen von Menschen.
Ein markanter Paradigmenwechsel steht bevor : Während bisher Unter nehmen alles für den Profit taten, müssen sie nun alles für die Zufriedenheit der Menschen tun. Klingt das erschreckend? Schmälert das etwa den Wohlstand? Nein, im Gegenteil. Die Global Workforce Study 2012 belegt: Zufriedenere Mitarbeiter zeigen wesentlich mehr Engagement – und erwirtschaften dadurch eine bis zu dreimal höhere Umsatzrendite.
Welches riesige Potenzial an Engagement und Einsatzbereitschaft würde sich erst aktivieren lassen, wenn Unternehmen endlich den Mut aufbringen werden, in den stärksten Performance-Hebel zu investieren: in die Menschen und ihr Miteinander?
Keine Frage, das bisherige System ist ausgereizt. Die einzige Frage, der wir uns stellen müssen: Wie bedienen wir diesen Performance-Hebel mit größtmöglicher Kraft? Wie schaffen wir es also, die höchste Qualität im Miteinander zu erreichen, um damit das volle Potenzial jedes Einzelnen zu entfalten?
Sobald Sie sich diese Frage stellen, wird in Ihrem Unternehmen die Zukunft beginnen.