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Debatte Das WTO-Rätsel

Sie galt schon als klinisch tot, doch jetzt sendet die Welthandelsorganisation ein Lebenszeichen. Das in Bali geschlossene Abkommen wird allerdings sehr unterschiedlich bewertet. Ein Überblick
Erleichterung in Bali: Die Unterhändler können lächeln, sie haben die WTO gerettet - vorerst
Erleichterung in Bali: Die Unterhändler können lächeln, sie haben die WTO gerettet - vorerst
© Getty Images

War das nun epochal oder doch eher mau, was die 159 Mitgliedstaaten am Wochenende im indonesischen Bali beschlossen haben? Einigkeit herrscht nur darüber, dass es der seit 1995 existierenden Welthandelsorganisation zum ersten Mal in ihrer Geschichte gelungen ist, Verhandlungen über ein multilaterales Abkommen zum Abschluss zu bringen. Viele hatten die Organisation schon abgeschrieben und stattdessen auf regionale Handelsabkommen gesetzt.

Für Howard Schneider von der Washington Post ist das Nicht-Scheitern der entscheidende Punkt, das inhaltliche Ergebnis der Gespräche findet er nachrangig:

„They didn’t walk away with much. But at least they didn’t walk away mad.“

Die Süddeutsche Zeitung sieht das ganz anders. Kommentator Marc Beise begrüßt das Abkommen enthusiastisch:

„Nur schlechte Nachrichten finden in die Zeitung? Hier ist eine gute, eine richtig gute! Die Welthandelsorganisation, die 159 Staaten dieser Welt vertritt, hat sich auf Bali auf einen neuen Handelsvertrag geeinigt. Den ersten seit beinahe zwei Jahrzehnten, die Welt wird in großen Schlägen vermessen. Entsprechend hilft der lange Blick, das Epochale dieses Abschlusses zu begreifen.“

Für Beise und andere Befürworter beginnt mit Bali eine neue Zeitrechnung. Der Multitlateralismus habe den Sieg davon getragen:

„Wenn sich Europa und USA auf ein Transatlantikabkommen einigen würden, wären die anderen außen vor, es ist deshalb der falsche Weg.“

Es gelte nun die Grundsatzvereinbarung in viele konkrete Maßnahmen umzusetzen.

"Kein großer Wurf"

Die Reaktionen deutscher Politiker fallen zurückhaltender aus. Der scheidende Wirtschaftsminister Philipp Rösler spricht von einem „großen Erfolg“. CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs äußerte sich gegenüber der Welt reservierter, wenn auch nicht ablehnend:

„Auch wenn das Abkommen von Bali kein großer Wurf ist, zeigt es doch immerhin, dass die Liberalisierung des internationalen Handels jetzt wieder vorankommt – und das ist eine gute Nachricht.“

Aber es gibt auch scharfe Kritik, zum Beispiel vom Netzwerk Attac, das die ärmsten Länder als Verlierer der Verhandlungen sieht. In einer Erklärung äußerte sich Alexis Passadakis, der in Bali vor Ort war:

„Trotz vieler Kompromissformeln nützt das Bali-Paket vor allem den Exportinteressen der Staaten des Nordens, besonders bei der Vereinfachung des Zollwesens.“

Die ärmsten Länder würden dagegen mit unverbindlichen Versprechen abgespeist, die nicht vom WTO-Schiedsgericht behandelt werden können.

Knackpunkt Subventionen

Das Abkommen umfasst drei Blöcke: der Abbau bürokratischer Hürden im grenzüberschreitenden Handel, der leichtere Zugang ärmerer Länder zu den Märkten der reichen Länder und agrarpolitische Fragen wie einzelne Lebensmittelsubventionen in Entwicklungsländern. So darf Indien weiterhin Nahrungsmittel für die Armen subventionieren. Das war einer der Stolpersteine, die das Abkommen beinahe noch verhindert hätten. Im Interview mit dem Wall Street Journal begründete der US-Handelsbeauftragte Michael Froman, warum er dem Kompromiss dennoch zugestimmt hat:

„The reason we ended up quite comfortable with the food security package was because we ensured that if a country decides to pursue food security interests through subsidy programs they wouldn’t cause food insecurity for poor farmers in other countries. That’s why there are a series of safeguards in there [including] requirements for full transparency and not having an effect that distorts trade or adversely affects the food security of a neighbor. It ensures that the WTO system is to watch out for poor farmers and consumers in developing countries.“

Der Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Jürgen Dunsch sieht in der Landwirtschaft ein potenzielles Hindernis für die weitere Liberalisierung des Welthandels. Es bestehe die Gefahr

„..dass auch andere Staaten noch mehr Gefallen an Subventionen und an protektionistischen Blütenträumen finden. Dabei muss gerade in der Landwirtschaft ausgeholzt und nicht aufgeforstet werden. Diese Forderung richtet sich auch an die Vereinigten Staaten und zahlreiche europäische Länder, die von der Verhätschelung ihrer Bauern nicht abzubringen sind.“

Chancen für deutsche Wirtschaft

Dunsch beurteilt die prognostizierten Folgen des Abkommens für die Weltwirtschaft skeptisch. Die Zahl von 1000 Mrd. Dollar sei zu verführerisch, und auch die 21 Millionen neuer Jobs stünden vorerst nur auf dem Papier. Dagegen jubilieren die deutschen Wirtschaftsverbände, allen voran der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen. Präsident Anton Börner:

„Dies ist ein kostenloses Konjunkturpaket, von dem Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer gleichermaßen in Form von Wachstum und Beschäftigung profitieren.“

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag wittert große Chancen für die hiesige Wirtschaft. DIHK-Außenhandelsexperte Volker Treier nannte auch eine Zahl:

„Mit einem Anteil am Welthandel von knapp acht Prozent erwarten wir allein für die deutsche Wirtschaft in den fünf Jahren nach Inkrafttreten ein Plus von 60 Mrd. Euro.“

Aber auch diese Zahl steht vorerst nur auf dem Papier.

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