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Interview Das Land von Tüv und MP3

Zum Innovation Consensus spricht Capital mit Google, Alstom und der Deutschen Bank über die Erfinderkultur in Deutschland. Ihre Stärken, ihre Schwächen.
Der Innovation Consensus findet am Wochenende in Berlin statt
Der Innovation Consensus findet am Wochenende in Berlin statt

Am Samstag beginnt in Berlin der Innovation Consensus. Auf der Konferenz sollen neue Chancen für Deutschland ausgelotet und debattiert werden. Vor Ort wird auch Max Senges von Google sein, Harald Eisenach, Mitglied der Geschäftsleitung Deutschland der Deutschen Bank und Alf Henryk Wulf, Vorstandsvorsitzender der Alstom Deutschland AG. Capital hat die drei zu einem Vorgespräch über deutsche TÜV-Kultur, MP3-Player und Windstrom geladen.

„Innovation” ist wie Freibier - das findet erst einmal jeder gut. Wozu brauchen wir diese eigentlich?

Wulf: Ohne Innovation werden wir stehen bleiben an dem Punkt, an dem wir gerade sind. Wir hätten die Stagnation der Lebensstandards. Sie ist gut, um Dinge effizienter und produktiver zu machen; sie ist quasi der bewusstseinsgeleitete Teil dessen, was die Natur Evolution nennt.

Eisenach: Innovation beginnt im eigenen Alltag: Jeder kennt aus seinem Umfeld Dinge, die besser laufen könnten – und müssten. In der Summe sind Innovationen überlebenswichtig für uns und unseren Planeten.

Senges: Es geht um gesellschaftlichen Fortschritt seit wir von den Bäumen heruntergeklettert sind. Es ist ein ewiger Kreislauf der kreativen Zerstörung.

Sie sagen: Wir brauchen Innovation, um uns fortzuentwickeln. Sie ist Zeichen einer aktiven, dynamischen Gesellschaft. So ähnlich argumentierte auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps. Der stellte allerdings zudem fest, dass der Westen ein Innovationsproblem hat. Wie steht es denn um die Innovation in Deutschland?

Senges: Grundsätzlich gibt es in Deutschland sehr viel Innovations-Potenzial, die Vermarktung ist das Problem. Das berühmteste Beispiel ist das MP3-Format. Das wurde in Deutschland erfunden, aber woanders die MP3-Player vermarktet. Die echten transformativen Erfindungen, haben es im heutigen Deutschland etwas schwieriger, weil es einen Hang zur Tüv-geprüften Innovation gibt. Google Glass ist ein gutes Beispiel bei dem Amerikaner zunächst die Chancen sehen und damit experimentieren wollen - in Deutschland werden gleich mahnend Dystopien und das Ende des Abendlandes spekuliert.

Schauen wir aber einmal zurück: 1888 setzte sich Bertha Benz in ein Automobil und fuhr von Mannheim nach Pforzheim. Sie war ein echter Early Adopter. Was ist seitdem in Deutschland geschehen, wo sind Menschen wie sie hin?

Wulf: Das ist eine provokative Aussage. Sie stimmt auch nicht. Es gibt in Deutschland noch genügend Pioniere. Das ist nicht unser Problem. Viel mehr spüre ich eine latente – ich will nicht „Feindlichkeit“ sagen – ich spüre eine latente Technik-Nichtaffinität. Das ist so typisch Deutsch. Diese Vollkasko-Mentalität. Aber sie hat natürlich auch ihre positiven Seiten: Bei unseren Innovationen wollen wir die Dinge sorgfältig angehen, Produkte werden von Anfang bis Ende durchdacht.

Senges: Das ist im Internet anders. Dort gilt: „Innovation without permission“, das Prinzip der Beta-Einführung von Produkten ist in Deutschland noch nicht weit genug verbreitet.

Wulf: Das sehe ich nicht ganz so kritisch. Es gibt eine gute Startup-Szene, die ist nur noch nicht maximal tragfähig. Wenn wir einmal in die Industrie schauen: Hier gibt es Erfindungen mit großer Außenwirkung, Stichwort Offshore-Windenergie und die Hochspannungsgleichstromübertragung. Das gibt es nur in Deutschland. Der Weg, den wir hier gehen, ist ein anspruchsvoller, auf den die Welt schaut. Denn, wenn ein Land wie Deutschland die Energiewende umsetzen kann, kann das auch ein Modell für andere Länder sein. Wenn Deutschland es schafft, kann es im Prinzip jedes Land schaffen.

Lassen Sie uns mal griffiger werden. Was kann eigentlich die Regierung tun?

Eisenach: Am aktuellen Beispiel der Förderung von erneuerbaren Energien zeigt sich: Wir brauchen vor allem Rechtssicherheit, wenn wir in innovative Technologien investieren. Falls, wie kürzlich in Spanien geschehen, Gesetze rückwirkend geändert werden, sendet das ein fatales Signal: Diese Art von Rechtsunsicherheit ist der Todesstoß für jede Finanzierung. Noch ein anderer Punkt ist für uns als Kapitalgeber wichtig: Wir brauchen Transparenz bei der technologischen Bewertung von Innovationen. Wir als Bank können das nicht alleine leisten, dazu brauchen wir neben der Expertise im Hause auch den Input von externen Fachleuten, etwa von den Fraunhofer-Instituten.

Und was kann die Konferenz am Wochenende leisten?

Senges: Wir können stolz sein auf Deutschland, aber die „Volksseele“ hat einen Perfektionsdrang, der der Innovation entgegensteht. Wir müssen Räume schaffen, wo das nicht so ist, die transdisziplinär sind. Die Konferenz soll ein solcher Weg sein. Es darf schließlich nicht nur den „chemischen Weg“ oder den „Weg der Physiker“ geben. Alle haben etwas beizutragen. Geisteswissenschaftler etwa holen auf, schauen Sie nur mal auf die bisher eingereichten Projekte beim Consensus, Stichwort „gemeinsamer Konsum“. Dahinter steckt keine technische Idee, sondern eine soziale - es geht darum das online Reputation sich als “sozialer Kit” bewährt, der Vertrauen als Grundlage von Geschäftsbeziehungen schafft.

Wulf: Unser Treffen soll ein Signal aussenden: es gibt Chancen in Deutschland und nicht nur Probleme.

Eisenach: Wir wollen mit dem Innovation Consensus zeigen, wie viel Potenzial in Deutschland steckt. Und wir wollen konkrete Ideen liefern, wie sich daraus etwas machen lässt. Als ich nach zwölf Jahren in Japan 2004 nach Deutschland zurückkam, fragten mich meine Freunde: Warum tust du dir das an? Woanders sei es doch viel besser. Dann kam 2006 die Fußball-Weltmeisterschaft. Die Welt – und wir selbst - waren überrascht wie weltoffen Deutschland sein kann. Dieses Grundgefühl von Optimismus und Aufbruch soll auch den Consensus bestimmen. Wir wollen bei neuen, ungewohnten Ideen nicht gleich abwehren: „Das brauche ich nicht.“ Sondern: „Vielleicht kann ich es zu etwas nutzen, das ich heute noch nicht kann.“

Hat die Konferenz ein konkretes Ziel?

Senges: Am Ende wollen wir der Regierung deswegen auch keinen Forderungskatalog überreichen, sondern eine Liste mit „Opportunities“, mit Chancen, die man nutzen kann. Wir wollen einen konstruktiv die Zukunft gestaltenden Diskurs befördern - keine Schuldzuweisungen verteilen

Zum Schluss: Sie kommen alle drei aus unterschiedlichen Branchen. Was war denn die jeweils letzte wichtige Innovation?

Eisenach: Internet-Bezahlsysteme. Diese Neuerung könnte großen Einfluss auf Teile des klassischen Bankgeschäfts haben.

Senges: Ganz grundsätzlich: Die offenen, technischen Protokoll-Standards die die verschiedensten Technologien des Internets miteinander verknüpfbar machen. Dieses Prinzip der standardisierten Protokolle und Schnittstellen dehnt sich langsam auf den rechtlichen und sozialen Bereich aus.

Wulf: Die Fähigkeit, Energie aus erneuerbaren Quellen zu nutzen. Da will ich gar keine Technologie herausstellen.

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