Der Koalitionsvertrag steht: Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich Union und SPD auf einen mehr als 180 Seiten umfassenden Katalog von Vorhaben, Absichtserklärungen und Prüfaufträgen verständigt. Ob das als Grundlage für ein schwarz-rotes Bündnis reicht, müssen jetzt die Mitglieder der SPD entscheiden. Bei CDU und CSU entscheiden Parteigremien über das Zustandekommen der Koalition. Als großer Unsicherheitsfaktor gilt aber die SPD-Basis.
Was wird kritisiert?
Der Vertrag trifft zum Teil auf harsche Kritik. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), spricht von einem gefährlichen Mix. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Aber auch die Rentenpläne erzürnen Schweitzer:
„Pläne etwa zu Mütterrente und Lebensleistungsrente verursachen erhebliche Kosten zu Lasten der Beitragszahler und sind ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Der erweiterte vorzeitige Rentenbezug setzt ein völlig falsches Signal – und zwar nicht nur wegen der hohen Kosten. Wir brauchen die Rente mit 67.“
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hält nichts von den Rentenplänen. Kommentator Patrick Bernau äußert Zweifel an der Finanzierbarkeit und sieht höhere Belastungen auf die Beitragszahler zukommen:
„Dass die Rentenversicherung so proper aussieht, liegt auch an der guten Konjunktur in Deutschland. Die kann sich schnell drehen. Dann ist die Rentenkasse schnell leer, und dann steigen die Beiträge doch. Dieser Koalitionsvertrag wird richtig teuer.“
Bernau beziffert die Kosten für die Rentenpläne auf 20 bis 30 Mrd. Euro zusätzlich zu den ohnehin im Koalitionsvertrag vorgesehenen Mehrausgaben von 23 Mrd. Euro.
Und was ist mit dem Mindestlohn?
Bernaus Kollege Jasper von Altenbockum sieht im Mindestlohn das Zurückdrehen der Reformen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD):
„Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn ist der Anfang vom Ende der „Agenda 2010“ - die Regelungswut ist wieder da und die politische Planung dort, wo die Lohnfindung unter den Vorzeichen von Vollbeschäftigung ganz allein auf die Tarifautonomie hätte setzen können.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht freundlicher mit dem Verhandlungsergebnis um. Kein Wunder, denn einen Mindestlohn fordern die Arbeitnehmervertreter schon seit Jahren. Nicht zufrieden ist der DGB mit den Plänen der Koalition Werkverträgen Einhalt zu gebieten:
„Die beabsichtigte Konkretisierung der Rechte des Betriebsrates beim Einsatz von Werkverträgen ist sinnvoll, aber in ihrem Anspruch unzureichend. Das von DGB und Gewerkschaften geforderte Zustimmungsverweigerungsrecht beim Einsatz von Fremdfirmen muss stärker aufgegriffen werden.“
Mit anderen Vorhaben können die Gewerkschafter dagegen gut leben - vor allem mit den Rentenplänen.
Wie stabil ist die Koalition?
Einige Kommentatoren zweifeln dagegen schon jetzt an der Stabilität des Bündnisses. Oliver Stock vom Handelsblatt hält solche Erwartungen für naiv:
„Der Vertrag ist kein solides Fundament, denn diese Koalitionspartner kalkulieren schon jetzt den Streit mit ein. Die Probleme der Regierung beginnen, noch bevor die Regierung überhaupt beginnt zu regieren. So die nächsten vier Jahre zu überstehen und zu glauben, dass unser Land etwas davon hat, zeugt von einer Riesenportion Optimismus. Man könnte es auch Naivität nennen.“
Der politische Gegner freut sich schon auf die Auseinandersetzungen. Grünen-Fraktionschef Michael Schrören macht sich auf Twitter über die vielen Prüfaufträge im Koalitionsvertrag lustig:
Wer ist der Gewinner?
Roland Nelles sieht auf Spiegel Online im Ergebnis ganz klar einen Erfolg für die SPD. Aus Angst vor dem Basisentscheid sei der Union daran gelegen gewesen, die Sozialdemokraten gut aussehen zu lassen:
"Die SPD hat gut verhandelt, der Koalitionsvertrag spiegelt nicht das Wahlergebnis wider, sondern erscheint eher, als hätten da zwei gleich starke Partner am Tisch gesessen. Offenbar haben auch Angela Merkel und Horst Seehofer nun Angst vor der SPD-Basis und dem Mitgliederentscheid."
Torsten Krauel von der Welt hält den Mitgliederentscheid für problematisch:
"Ein positiver Ausgang dieser Urabstimmung ist mit dem Koalitionsvertrag noch keineswegs gesichert. Sie ist auch deshalb so problematisch, weil sich hier im Grunde ein Bruchteil der Wählerschaft für fünf Euro Mitgliedsbeitrag im Monat ohne sonstige weitere Verpflichtungen plötzlich zum Verfassungsorgan macht, das anstelle des Bundestages über die Regierungsbildung befindet."
Wer den Koalitionsvertrag in 100 Wörtern genießen möchte, kann das zum Abschluss hier tun: