Das erste, was Michail Chodorkowski tut, als er nach zehn Jahren in russischer Haft zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit tritt, ist: Er lacht. Kein lautes, dröhnendes Gelächter, sondern ein verschmitztes, freundliches Lachen, mit dem er die Aufregung der um ihn versammelten Reporter einfach wegwischt. Und schon ist er, der einst eines der größten russischen Ölunternehmen schuf und sich mit Wladimir Putin persönlich anlegte, Herr im Ring. Hier sitzt kein gebrochener Mann, sondern ein Mensch, der immer noch sehr genau weiß, was er will und der in den vergangenen zehn Jahren vielleicht sogar noch an Autorität gewonnen hat.
Bevor Chodorkowski sich in einer großen Pressekonferenz an die Welt richtet, trifft er einen kleinen Kreis von Journalisten, die sein Schicksal in den vergangenen Jahren begleitet haben, darunter auch von Capital. Es ist ein kleines Hinterzimmer im Berliner Mauermuseum am Checkpoint Charlie, dem Ort, an dem einst Westen und Osten als Welten der Freiheit und des Zwangs aufeinander prallten. Und natürlich ist dieser Ort mit Bedacht gewählt – er soll als Zeichen dafür dienen, dass hier ein ehemaliger politischer Gefangener sitzt. Doch fast wirkt die bei Touristen beliebte Straßenkreuzung im Zentrum Berlins zu klein für diesen Moment. Berlin ist ja normal geworden und nur noch in Erinnerung an die Geschichte ein Ort, der Freiheit symbolisiert. Und nun soll dieser Ort auf einmal als Kulisse dienen für die ersten Worte des einst berühmtesten Gefangenen der Welt.
Chodorkowski trägt einen etwas zu großen blauen Anzug, eine blaue Krawatte und bequeme, dunkle Schuhe. Keine smarten Business-Schuhe, sondern eher ein Seniorenmodell, es wirkt wie ein Zugeständnis an den Wunsch nach ein bisschen Bequemlichkeit nach einer so langen Zeit der Haft. Seine inzwischen vollständig ergrauten Haare sind kurz geschoren, aber ansonsten sitzt hier ein kräftiger, frisch wirkender Mensch mit wachem Blick. Man versteht jetzt, warum es in Russland heißt, dass Putin diesen Mann wegen seiner Unbeugsamkeit fürchtet. Der russische Präsident ist in diesen zehn Jahren stärker gealtert als sein großer Gegner. „Ich habe eine optimistische Sicht auf die Welt“, sagt Chodorkowski und lacht wieder. „Das ist eine Einstellung, die sich nur schwer brechen lässt.“ Im Hintergrund des Raums, dort wo Chodorkowskis Sohn Pawel steht, hört man in diesem Moment ein Lachen. Auch die anderen Familienmitglieder des früheren Oligarchen, die nach Berlin gekommen sind, schmunzeln.
Kein Schuldeingeständnis
Das einzige, was Chodorkowski von vornherein klarstellen will, ist, dass sein Gnadengesuch, das ihm die Freiheit ermöglichte, kein Eingeständnis der Schuld ist. „Ein solches Papier hätte ich nie unterschrieben“, sagt er. Dass ihn der russische Staat trotzdem ziehen ließ, hat Chodorkowski nach eigenen Worten dem einstigen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zu verdanken, der in geduldigen Gesprächen mit Putin ein Schuldeingeständnis wegverhandelte. Es ist ein erstaunlicher diplomatischer Erfolg auch für Deutschland, an dem offenbar auch der gerade abgelöste Außenminister Guido Westerwelle beteiligt war.
Ansonsten sagt der Freigelassene hauptsächlich, was er zunächst einmal nicht tun will. Chodorkowski will nicht nach Russland zurück, so lange dort ein ziviles Verfahren gegen ihn läuft, was ihn daran hindern könnte, das Land zu verlassen. Chodorkowski will nicht in die Politik gehen, „wenn man Politik als Kampf um die Macht in einem Land begreift“. Er will sich nicht am Kampf der früheren Anteilseigner von Yukos um Entschädigung für ihr enteigneten Besitz beteiligen. Er will nicht die heutige Opposition in Russland finanzieren, „selbst wenn ich es könnte“. Und er will auch nicht zurück ins Geschäftsleben. „Das, was ich habe, reicht, um zu leben“, sagt der einst reichste Mann Russlands. „und einen Fußballclub werde ich nicht kaufen.“
Was übrig bleibt ist das, was Chodorkowski „gesellschaftliches Engagement“ nennt, und dabei scheint ihm vor allem ein Punkt besonders wichtig zu sein. „Wir müssen daran arbeiten, dass es in Russland und anderswo keine politischen Gefangenen mehr gibt“, sagt er. „Und dafür kann jeder etwas tun. Ich selbst bin ein Symbol dafür, was die Zivilgesellschaft erreichen kann.“
Schicksal in die eigene Hand nehmen
Es ist ein Motiv, das immer wieder kehrt im Leben dieses Unternehmers am Rande der Politik. Chodorkowski hat in der Zeitenwende nach dem Ende der Sowjetunion sein Schicksal in die eigene Hand genommen und ein funktionierendes Unternehmen aufgebaut, das seine Arbeiter gut und pünktlich bezahlte. Er hat Verantwortung bewiesen, als um ihn herum alles zusammenbrach. Und genau diese Haltung erwartet er auch von seinen Landsleuten. „Die Russen müssen aufhören, auf den einen Anführer zu warten, der sie in die Zukunft führt“, sagt Chodorkowski. „Sie müssen anfangen zu verstehen, dass sie selbst es sind, die die Verantwortung für das Schicksal des Landes tragen.“
Dann geht Chodorkowski die Treppe hinunter zur großen für ihn angesetzten Pressekonferenz. In dem viel zu kleinen Raum balgen sich die Fotografen schon wie verrückt um die besten Plätze. Für einen kurzen Augenblick sieht er sich das Treiben an. Und dann kommt wieder dieses Lachen. Hier steht einer, den nichts mehr erschrecken kann.