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Berater-Branche Die Grenzen des Consulting-Wachstums

Symbolbild Consulting
Symbolbild Consulting
© IMAGO / Panthermedia
Die Berater-Branche holt aus jeder Situation das Beste für sich heraus und wächst seit Jahrzehnten. Doch jetzt laufen Beratungen Gefahr, am eigenen Erfolg zu scheitern. Es ist Zeit gegenzusteuern

Der Consulting-Branche mangelt es nicht an Herausforderungen, wie vier aktuelle Beispiele zeigen: Das Berufsprestige in der Gesellschaft ist sehr schlecht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf das eigene Geschäftsmodell sind noch ungeklärt, die Corona-Krise verändert die Arbeitsweise mit ungewissem Ausgang, und der Krieg gegen die Ukraine lässt alle Beratungen Krisenmaßnahmen ergreifen, wobei sich internationale Häuser sogar aus dem russischen Markt zurückziehen.

Thomas Deelmann ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW. Zu seinen Lehr- und Forschungsgebieten gehört die Unternehmens- und Verwaltungsberatung. Er twittert @Ueber_Beratung 

Dennoch zeigen sich Consultants bislang als Stehaufmännchen: Der Beraterverband BDU berichtet, dass Corona der Branche zwar im Jahr 2020 eine kleine Delle verpasst hat, diese aber 2021 mehr als ausgeglichen wurde. Auch Berufseinsteiger streben allen Unkenrufen zum Trotz weiter in die Beratungen. Das Agenda-Setting in Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert, und Kunden identifizieren stetig neue Probleme, bei denen ihnen Berater helfen sollen.

In den Augen vieler Consultants könnte dies ewig so weitergehen. Kaum beachtet wird jedoch, dass es auch so weitergehen muss!

Der Grund dafür ist erschreckend trivial: Das Geschäftsmodell vieler Beratungen, angefangen von McKinsey, BCG und Bain über Accenture und die Beratungssegmente der Big Four bis hin zu kleinen und mittelgroßen Häusern, basiert auf Wachstum und ist eine „Hoffnungsmaschine“. Die Partner hoffen als Gesellschafter auf Wachstum, um ihre Unternehmensanteile mit Gewinn weiterverkaufen und dadurch für ihren Lebensabend aussorgen zu können. Auf mittleren Karrierestufen hoffen Projektmanager als erfahrene Berater auf eine Chance, in die Partnerschaft aufgenommen und so für ihre Leistungen belohnt zu werden. Und Juniorberater hoffen als Berufseinsteiger auf wertvolle Erfahrungen und eine attraktive Karriere.

Die Hoffnungen sind jedoch Teil eines fragilen Mechanismus, dem „Up-or-Out“-System mit seiner starken Binnenselektion. Dabei müssen sich Beratungseinsteiger in einem Dauerwettbewerb gegen ihre Peers behaupten. Im Erfolgsfall klettern sie auf der Karriereleiter nach oben. Dort winken mehr Verantwortung, üppige Gehälter und hohe Boni. Sind sie nicht gut genug, folgt die „Weiterentwicklung außerhalb der Beratung“.

Das System sorgt dafür, dass die Personalpyramide der Beratung ihre Form behält. Hier ist beispielsweise rechnerisch ein Partner (Spitze der Pyramide) mit zwei Projektleitern und zehn Juniorberatern (Pyramidenboden) verbunden. Das Zahlenverhältnis ist beratungsindividuell gestaltet und fein austariert. Gestützt wird alles von einem engen Geflecht aus Karrierepfaden, Honorarsätzen, Gehältern und Projekttypen.

Von der Pyramide zum Diamanten

Damit das Prinzip Hoffnung in der Branche weiterhin Bestand hat, muss diese wachsen. Bei der dafür notwendigen Verdopplung der Beraterzahl auf 330.000 in den nächsten Jahren zeichnen sich zwei Herausforderungen ab: Zum einen werden die Personalpyramiden durch Hochschulabsolventen gefüttert, von denen stetig größere Mengen benötigt werden. Zum anderen bereitet die demografische Entwicklung Probleme. 2030 steht zwei neuen Rentnern nur ein Berufseinsteiger gegenüber. Es muss also nicht nur eine größere Anzahl junger Consultants als heute an Bord geholt werden, es wird auch schwieriger, diese überhaupt zu finden.

Am Boden der Consulting-Pyramide wird das Personal knapp, aus ihr wird dann optisch ein Diamant. Das klingt zunächst luxuriös, aber das Gegenteil ist der Fall.

Bisher haben Juniorberater häufig einen positiven, Projektmanager und Partner einen negativen Deckungsbeitrag erwirtschaftet. Bei Juniorberatern ist das Verhältnis vom Einkaufs- zum Verkaufspreis für die Beratung sehr günstig. Das Gehalt je Arbeitstag beträgt bei Einsteigern oft nur ein Fünftel oder ein Sechstel des Tageshonorars, das die Kunden der Beratung zahlen. Zusätzliche kalkulatorische Kosten sind überschaubar. Bei Managern und Partnern liegen die Gesamtkosten pro Tag hingegen oft deutlich über ihren Honorarsätzen.

Um die Lücke zu schließen, die ein Partner und zwei Manager aufreißen, braucht es zehn oder mehr Juniorberater. Mit der Entwicklung zum Diamanten fehlen diese, und das Geschäftsmodell der Beratungen funktioniert nun nicht mehr wie gewohnt. Elemente wie Up-or-Out, Wachstumsraten und Mitarbeiter-Relationen geraten in eine Unwucht. Dies wiederum gefährdet die Profitabilität.

Wie Problemlöser ihre Probleme lösen könnten

Das tradierte Pyramidenwachstum kann nun enden, die Profitabilität einbrechen und die Hoffnungsmaschine zerfallen. Fünf Reaktionen sind für Beratungen naheliegend:

  • Weiter wie bisher: Das ist die Variante „Augen zu und durch“, in der man hofft, es werde schon alles irgendwie gut gehen.
  • Beratung anders definieren: Beratung ist durch Problemlösung und Veränderungsbegleitung gekennzeichnet. Wenn diese Aufgaben der Kunden nicht mehr ausreichen, um die Consultants zu beschäftigen, dann kann man auch pragmatisch neue Dienstleistungen ins Portfolio aufnehmen: Beratung ist dann einfach das, was Berater machen. Accenture geht diesen Weg bewusst und bietet neben Consulting- auch Outsourcing-Services an. EY hat gerade bekannt gegeben, dass man auch als Lobbyist tätig sei.
  • Zukaufen: Einzelberater können temporär ergänzt und ganze Beratungen zugekauft werden, um fehlende Pyramidenteile auszugleichen. Die Hinzugekommenen werden mit dem Renommee des Akquisiteurs gelockt. Sie dienen dazu, Umsätze und Deckungsbeiträge zu liefern. Viele Beratungen sind hier aktiv, beispielsweise die Consultants der Big Four.
  • Wachstumsdynamik drosseln: Die Partneranzahl soll bei diesem Ansatz nicht zu schnell ansteigen. Dadurch wird die Beratungsgröße limitiert und die pyramidale Form weitgehend beibehalten. Ein Beförderungsstopp wäre ein wirksames, wenn auch plumpes Mittel. Kearney hat jüngst „Specialist Partners“ etabliert, die eine Fachkarriere einschlagen, keine regulären Partner werden und daher die ansonsten notwendig werdende Ausdehnung der Organisation vermeiden.
  • Regelmäßiges Rückbauen: Effektiv ist es ebenfalls, ganz bewusst so viel vom sich entwickelnden Diamanten wegzuschneiden, dass wieder eine ordentliche Pyramide zum Vorschein kommt. Bei McKinsey kann dies gut beobachtet werden. Hier werden Beratungstöchter, Servicebereiche und Joint Ventures abgetrennt und aus dem Stammhaus entfernt, damit dieses seine Pyramidenform behält.

Raus aus der Falle

Die Optionen sind unterschiedlich zielführend. Das „Weiter-wie-bisher“-Szenario negiert schlicht die aufgezeigten Gefahren. Der Standpunkt, dass Beratung das ist, was Berater machen, ist dreist gegenüber den Kunden, soweit die Honorare nicht adjustiert werden. Zudem ist es anspruchsvoll, verschiedene Geschäftsmodelle mit unterschiedlichen Logiken unter einem Dach zu vereinen. Zukäufe wiederum bieten zwar eine temporäre Entlastung. Allerdings ist die Zahl der so hinzugewonnen Consultants, die dann nach einer Bleibefrist den neuen Arbeitgeber wieder verlassen, Legion. Die bewusste Begrenzung der eigenen Größe durch Wachstumsverlangsamungen oder Abspaltungen ist nachhaltig, weist aber Schwierigkeiten auf, da bei laufendem Betrieb signifikante Veränderungen vorgenommen werden. Mitarbeiter registrieren hier selbst kleinere Fehler und ziehen Konsequenzen.

Die Consulting-Branche wächst stärker als die Gesamtwirtschaft und ist gezwungen, das Tempo beizubehalten. Diese Relation stößt aber systemisch unweigerlich an Grenzen. Der Wachstumszwang ist nicht neu, war aber in der Vergangenheit ungefährlich. Große Teile der Branche laufen Gefahr, zu Gefangenen des eigenen Erfolges zu werden. Beratungen können jetzt zeigen, dass sie nicht nur gute Ratschläge geben können, sondern auch ihre eigene Veränderung beherrschen.

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