„Ich mach‘ mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt“ – etwa so, wie es bei Pippi Langstrumpf heißt, verhält es sich auch mit dem Job Crafting: Man verändert den eigenen Job so, dass er gut bis sehr gut zu den eigenen Fähigkeiten und zur eigenen Persönlichkeit passt. Erfunden hat den Begriff die US-amerikanische Organisationspsychologin Amy Wrzesniewski, die heute an der University Pennsylvania lehrt. In ihren Untersuchungen konnte sie zeigen, dass Beschäftigte, die ihre Arbeit und ihre Beziehungen am Arbeitsplatz aktiv so mitgestalten können, dass sie gut zu ihrer Persönlichkeit passt, zufriedener werden und ihre Arbeit auch als sinnhafter empfinden.
Ragnhild Struss, Gründerin der Berufsberatung „Struss & Claussen Personal Development“ in Hamburg, hat die Idee weiterentwickelt. In ihrem Buch „Wie Sie mit Job Crafting Ihre Arbeit wieder lieben lernen“ gibt sie ganz konkrete Tipps, wie wir dafür sorgen können, dass die Arbeit wieder Freude macht. Die Kernidee: Jede und Jeder kann mit kleinen Anpassungen am eigenen Job die Arbeit optimal auf die eigenen Stärken, Fähigkeiten, Interessen und Wünsche abstimmen. Die Folge: Zufriedenheit stellt sich ein.
Klingt unrealistisch, sagen Sie?
Wenn man gerade unzufrieden im Job ist und sich fragt, ob sich das jemals ändern wird, lautet die Antwort vermutlich Ja. Doch Struss macht klar: „Ob angestellt oder selbstständig – wir haben ganz sicher alle schon einmal Job Crafting betrieben, ohne es zu merken.“ Kein Job ist perfekt, wenn man einsteigt. Und keine Position wird von zwei Menschen exakt gleich ausgeführt. Dieses Modellieren des Jobs geschieht meist unreflektiert und nicht unbedingt an den notwendigen Stellen – und führt deshalb nicht immer zu dauerhafter Zufriedenheit.
Das Prinzip Job Crafting: Am Anfang steht die Selbstreflexion
Häufig merkt man erst mit der Zeit, dass der Job zwickt wie ein schlecht geschnittenes Kleidungsstück. Warnsignale sind häufig nicht so direkt in konstruktive Lösungen zu übersetzen: Wenn der Job nicht mehr passt, können Overthinking und Grübeln zunehmen. Manche lassen den Jobfrust an anderen aus. Es kommt zu Schuldzuweisungen und Abwertung von Kolleginnen oder Chefs. Erschöpfung und Frust machen sich breit, was zu Dienst nach Vorschrift, neudeutsch: „Quiet Quitting“, führen kann.
Insofern steht vor einem gelingenden Job Crafting erst einmal die Selbstreflexion. Die Hamburger Karriereberaterin Struss benennt drei Ebenen, auf denen man Klarheit gewinnen kann, und gibt auf deren Grundlage konkrete Ideen, wie der Job an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden kann. Die erste Ebene beleuchtet die Frage: „Was will ich arbeiten?“ und befasst sich mit den Aufgaben, Kompetenzen und der Verantwortung, die man im Beruf übernimmt. Die zweite Ebene betrifft die Frage, wie und in welcher Weise ich arbeiten möchte. Und die dritte Ebene dreht sich um die Beziehungen im Job.
Erst aus der Analyse ergeben sich konkrete Ideen für Veränderungsmaßnahmen. Machen Sie doch gleich mit. Die drei Leitfragen geben Ihnen Orientierung:
1. Was will ich arbeiten?
Fragen Sie sich: Welche Tätigkeiten in meinem jetzigen Beruf mache ich gerne? Welche finde ich besonders interessant? Welche mag ich weniger? Oder finde ich manche sogar regelrecht kräftezehrend?
Welche Verantwortungsbereiche habe ich – und wie zufrieden bin ich damit? Eine Lehrkraft trägt beispielsweise die Verantwortung, Schülern und Schülerinnen Lernstoff zu vermitteln. Sie ist aber auch für das soziale Miteinander verantwortlich sowie für die Kommunikation mit den Eltern. Eine Bauingenieurin muss sich um die Umsetzung der Baupläne kümmern, koordiniert vielleicht die Gewerke und hat eine bestimmte Verantwortung im Team.
Welche Ziele habe ich? Eine Lehrkraft hat vielleicht das kurzfristige Ziel, die Klausur für die achte Klasse fertigzustellen. Langfristig will sie junge Menschen fürs Lernen begeistern. Bauingenieure möchten kurzfristig vielleicht im Termin die Besprechung des aktuellen Bauabschnitt beenden. Langfristig könnte es darum gehen, mehr umweltverträgliche Techniken zu etablieren oder das Renommee des eigenen Büros zu verbessern.
Sie sehen bereits: Im einzelnen Fall sind Tätigkeiten, Verantwortungsbereiche und Ziele sehr individuell. Daher machen Sie sich am besten jetzt eine Liste.
Und dann? Nun analysieren Sie Ihre Erkenntnisse. Welche Tätigkeiten passen besonders gut zu Ihnen, Ihren Fähigkeiten und Ihrer Persönlichkeit? Auf welche Ziele sollte Ihr Tun langfristig einzahlen? Welche Verantwortungsbereiche übernehmen Sie gern?
Ragnhild Struss weiß, was der erste Schritt zu einem erfüllenden Job ist: „Tun Sie mehr von dem, was zu Ihnen passt und Ihnen Freude macht.“ Eine Lehrkraft, die nichts spannender findet als Didaktik, könnte stundenweise ans Lehrerbildungsinstitut wechseln. Eine Bauingenieurin, die sich für nachhaltiges Bauen interessiert, kann im Betrieb mehr spezialisierte Aufgaben übernehmen. Eine Lehrkraft, die das Unterrichten sehr liebt und den Kontakt mit den Eltern schwierig findet, könnte die Elternvertretung mehr in die Verantwortung nehmen. Gleichzeitig lohnt es sich, unliebsame Tätigkeiten oder Verantwortungsbereiche zu reduzieren oder ihnen zumindest weniger Zeit zu widmen.
Ähnlich ist das Vorgehen bei der zweiten und dritten Ebene des Job Craftings. Auch hier stehen am Anfang Selbstreflexion und Selbstbeobachtung.
2. Wie will ich arbeiten?
Beobachten Sie sich über ein paar Tage hinweg und fragen Sie sich: Wie ist meine Arbeitsweise? Wie plane ich meinen Tag und wie gut funktioniert meine Planung? Wie gehe ich mit überlappenden Aufgaben um und bin ich damit zufrieden? Die positiven Aspekte sind dabei genauso interessant wie die eher negativen. Denn: Die positiven sollten Sie bewahren – und die negativen im Sinne von Job Crafting aktiv verändern.
Vielleicht stellen Sie fest, dass Sie genervt sind von Ihrem Multi-Tasking und schon mittags regelmäßig den Überblick verlieren. Oder Sie merken, dass Sie immer wieder der Lärmpegel im Büro oder Unterbrechungen von der Arbeit abhalten.
Und dann? Die Lösung liegt in der Anpassung der Arbeitszeit, des Arbeitsstils und des Arbeitsmodells an die persönlichen Präferenzen. „Eine Option kann sein, die Arbeitszeit zu verringern oder auch zu erhöhen oder den Anteil an Remote-Arbeit zu modifizieren.“ Für manchen kann mehr Know-how in Zeitmanagement und effektiven Arbeitsmethoden eine Lösung sein. Andere tendieren zu noch radikaleren Veränderungen: „Eine Möglichkeit, Ihr Arbeitsverhältnis zu verändern, kann auch der Wechsel von der Festanstellung in die Selbstständigkeit sein“, sagt Struss, die seit 20 Jahren Menschen bei einem Karrierewechsel berät.
3. Wie und mit wem möchte ich arbeiten?
In jedem Job gibt es Beziehungen, die man angenehmer findet, und andere, die einem Kraft rauben. Schauen Sie sich Ihre Kontakte und Beziehungen an. Und fragen Sie sich: Auf welche Begegnungen freuen Sie sich? Welche Beziehungen lösen Bauchgrummeln aus? Eine ehrliche Bestandsaufnahme ist interessant. Bedenken Sie jedoch dabei: Nicht immer liegt das Problem bei den anderen. Fragen Sie sich auch ehrlich, in welchen eher schwierigen Begegnungen vielleicht Sie selbst der herausfordernde Part sind.
Und dann? Fokussieren Sie sich für den Anfang auf die Beziehungen, die Sie als besonders positiv identifiziert haben. Daran können Sie gut erkennen, welche Faktoren im Miteinander Ihnen wichtig sind. Vielleicht eint all die guten Kontakte, dass Sie sich freundlich begegnen. Vielleicht spielen auch gewisse Kommunikationskanäle eine Rolle oder die persönliche Begegnung neben der vielen Remote Arbeit.
Machen Sie sich eine Liste der Faktoren, die für das Gelingen Ihrer guten Beziehungen sorgen. Nun können Sie beginnen, andere Beziehungen in Ihrem Arbeitsumfeld aktiv nach diesen Mustern zu gestalten. Sie werden schnell merken: Kommunikation und Beziehungen werden sich in Ihrem Arbeitsleben ganz generell verbessern.
Ein Fazit
Wer seine Arbeit auf diesen drei Ebenen auf gute Füße stellt, nähert sich mit großen Schritten dem Traumjob-Gefühl. Gleichzeitig wird man merken, dass Führungskräfte und Teams natürlich auch Verantwortung für eine gute Arbeitsatmosphäre haben – doch mit klaren Ideen kann man auch diese Dinge besser ansprechen. Und für sehr viele Veränderungen im Sinne des Job Craftings benötigt man noch nicht einmal den Segen des Chefs oder der Chefin. Insofern ist das Versprechen von Ragnhild Struss vielleicht doch nicht völlig überzogen, wenn sie sagt: „Jeder Mensch hat das Recht auf ein erfülltes Leben – und dazu gehört auch die berufliche Zufriedenheit.“
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört.