Anzeige

Aktien Aus dem Alltag eines Traders: Teil II

In einer fünfteiligen Serie veröffentlicht Capital Ausschnitte aus dem Börsenroman "Der Händler" - aus dem Alltag eines jungen Traders

Teil II

Philip liebte es, Trader zu sein; er liebte es, eine Verbindung mit den Charts zu knüpfen und mit seinen Orders auch dazu beizutragen, dass diese zum Leben erwachten. Vielleicht war seine geistige Arbeit eine Sublimierung für die vielen Verluste, die er in den ersten Jahren gemacht hatte; vielleicht brauchte er den leisen Applaus, die leise Bestätigung und Dankbarkeit. Trotzdem – selbst wenn unklare Motive eine Rolle spielen sollten, war er dankbar für seine Arbeit.

Philip dachte an die bevorstehende Reise und daran, dass er die Aufgabe hatte, innerhalb weniger Wochen das Thema des markttechnischen Handelns aufbauend auf sein bisheriges Wissen umfänglich darzulegen und Stan an die Hand zu nehmen. Er musste an sein eigenes Praktikum denken: Wie schwer oder leicht mochte es wohl für Hofner und Sander gewesen sein, ihm aktiven Börsenhandel beizubringen? Wer konnte den Erfolg bei einem solchen Lehrstoff wie dem Börsenhandel garantieren? Nun, er selbst war ein Beispiel dafür, dass es funktionierte. Sogar sein Schnitzer heute Nachmittag hatte gezeigt, dass er ein guter Händler war, da er gelernt hatte, auf sich selbst zu reagieren. In ihm kamen die Bilder und Worte von Ecki erneut hoch.

War dieses Treffen ein Zufall gewesen?

"Willst du einen Beweis dafür, dass Trading nicht beigebracht werden kann?", fragte Philip sich. – Ecki war scheinbar einer. Ein klassischer, grandioser Misserfolg. Er entsann sich, wie sehr Ecki in den unzähligen Gesprächen mit Hofner oder Sander deren Aussagen über die psychologischen Aspekte im Trading missfallen hatten:

"Ihr mit euren Ansichten zur Psyche eines Händler ... alles Quatsch ..., alles was ich brauche, sind vernünftige Signale, dann gibt es nur Plustrades, und eure Psychokiste könnt ihr euch wer weiß wohin stecken ...", waren immer Eckis spaßige Worte gewesen. Ihm kam anscheinend während des Tradings nie der Gedanke, in sich hineinzuschauen; stattdessen glitt er lieber auf der Oberfläche des Charts dahin und widmete seine Energie der Ausschweifung seiner von Aktionismus und Rechthaberei geprägten Trades. Dank seines dicken Kontos hatte er keinen Mangel an Pulver, das er verschießen konnte.

Philip trat an die andere, mit Sideboards zugestellte Wohnzimmerwand und öffnete die oberste Schublade des Schrankes. Hier bewahrte er die Aufzeichnungen auf, die er seit langer Zeit führte. Sein Blick fiel auf seine Trading-Tagebücher. Es waren mittlerweile elf Bände. Manchmal, wenn er einen brillanten oder auch total idiotischen Trade hatte, schrieben sich die Seiten wie von selbst voll. Auch am heutigen Tag werden wohl wieder viele Zeilen hinzukommen, überlegte Philip.

Wenn man einen erfahrenen Trader nach frühen Erinnerungen fragte, bekam man etwas in der Art zur Antwort, dass es so etwas nicht gebe. Erinnerungen seien, anders als Kupferstiche oder E-Mails, undatiert. Man finde Dinge in seinem Gedächtnis vor, welche man manchmal nur durch konzentrierte Überlegung in die richtige Reihenfolge bringen könne. Daher machten sich Philip und alle Kollegen, die er kannte, Notizen oder führten Tagebücher. Manchmal waren es einfach ein paar Zeilen auf einem losen Papier, der Rückseite eines Kalenderblatts oder einer Serviette. Philip grinste, als er an die bescheidenen Anfänge seines mittlerweile beachtlichen, machtvollen Werkes zurückdachte.

Endlich, da waren sie ja, die Zeilen zu Ecki: mehrere Seminare, ein Vierteljahr betreutes Handeln im Büro neben Hofner und Sander, viel Zuhören und Unterstützung und Anteilnahme, viele Interpretationen – und doch scheinbar alles ohne einen Hauch von Fortschritt. – Erstaunlich! Philip nahm das Tagebuch, dessen Schriftbild schon von großer Anspannung zeugte – eine unruhige Handschrift, viele Wörter abgekürzt oder mehrfach unterstrichen, sodass vieles kaum zu lesen war. Die Unterschrift eines Arztes war nichts dagegen. Während er versuchte, seine Notizen zu entziffern, ging er im Raum auf und ab wie Hamlet:

Liegt es an der Komplexität des Börsenhandels, dass ein und derselbe Lehrer bei unterschiedlichen Schülern unterschiedliche Ergebnisse bewirkt?

Vielleicht sind Hofner und Sander doch nicht die idealen Lehrer, für die ich sie immer gehalten habe? Oh, mein Gott! Dann steht mir Eckis Schicksal also noch bevor?"

Versagensangst eines Traders

"Zieh keine voreiligen Schlüsse", sagte er sich laut. Warum hätte Ecki sonst so viele Wochen jeden Morgen ins Büro kommen sollen, wenn er nichts davon gehabt hätte? Warum hätte er all das Geld für das Coaching zum Fenster rauswerfen sollen? Vielleicht hatten die vielen Gespräche und Trading-Tage Ecki ja doch verändert. Vielleicht war er ein Spätzünder – einer jener Menschen, die Zeit brauchten, um die Nahrung zu verdauen, die ein anderer ihnen verabreichte, einer von denen, die sich einige der Leckerbissen des Gegenübers aufbewahrten, sie mit nach Hause nahmen wie einen Knochen, an dem sie später ganz allein herumnagten.

Mhm ... Aber trotzdem – jetzt war er pleite!

Egal wie, seit dem zufälligen Treffen heute Mittag ging Philip Ecki nicht mehr aus dem Kopf. Der Misserfolg Eckis hatte sich in ihm eingenistet und Wurzeln geschlagen und wurde plötzlich zu einem Symbol für die eigene Angst und zu einem Symbol, das all seine Fragen über die Erlernbarkeit des Tradings verkörperte. Der Fall Ecki hatte für Philip etwas Besonderes. Philip suchte in seinem Tagebuch nach der Eintragung, die er nach dem ersten gemeinsamen Tag mit Ecki geschrieben hatte, und las:

... Ecki: anscheinend intelligent, beruflich gut aufgestellt und erfolgreich, hat sich mit einem Batzen Geld ein Coaching bei Hofner und Sander gekauft. Philip las weiter: Ecki beschreibt sein bisheriges Trading mit "Ich werde gegen meinen Willen von optischen Impulsen des Charts gesteuert."

Philip blätterte weiter und entzifferte einen Eintrag, den er einige Tage später zu Ecki gemacht hatte:

E. kommt morgens schon unter Spannung ins Büro. Fährt als Erstes seinen Rechner hoch und stürzt sich sofort in den ersten Trade des Tages. Klappert sofort weitere Märkte ab und tradet drauflos, was die Bildschirme hergeben. Scheint das Ganze als Abenteuer zu betrachten. Ist auf jeden Fall sehr ungeduldig!

Philip starrte angestrengt auf weitere Passagen. Da er jedoch kaum mehr als vereinzelte Wörter zu entziffern vermochte, blätterte er weiter, und ihm fiel eine weitere Stelle auf:

... Scheint zur Gewohnheit zu werden! E. hat heute schon wieder fast all seine Trades so kommentiert: "Ich habe nie Glück! Ich hab’s gewusst, dass ich den Trade nicht hätte machen sollen." Und als er den Rechner heute Abend runterfuhr, kam schon wieder der Satz: »Gott sei Dank, jetzt kann ich mich endlich meiner Familie widmen, ein Buch lesen und anschließend schlafen, was ich eigentlich sowieso tun wollte."

Philip hatte diesen letzten Halbsatz sogar mehrfach unterstrichen. Dieser Satz, dieses Paradoxon – " ... was ich eigentlich sowieso tun wollte." – hatte Ecki, so erinnerte sich Philip, die ganze Zeit verfolgt. Das war auch genau der Grund dafür, dass Ecki fast verrückt wurde. "Darauf konzentrierten sich seine ganzen Gedanken", dachte Philip laut. "Wenn es das war, was er wollte – Familie, seinen Hobbys nachgehen, lesen und danach schön schlafen ... bitte, warum konnte er das dann nicht einfach tun? Warum schaffte Ecki es nicht, dass der Handel nur Mittel zum Zweck war, nicht der Zweck selbst?"

– Kann mir das auch passieren?

Philip schloss das Tagebuch, klemmte aber seinen Finger zwischen die zuletzt gelesenen Seiten. Dann knipste er den Fernseher ein, schaltete den Ton leise und machte es sich auf dem Sofa bequem. Er öffnete das Tagebuch wieder und las den letzten Satz noch einmal: "Wenn es das ist, was ich will ... warum tue ich es nicht?", sprach er leise vor sich hin. Dann hatte er einen Einfall: "Die Wollust, der Rausch im Akt des Chart-Orakelns." – Das könnte es sein! Das könnte das wahre Wesen, der echte Kern des Antriebs und Verlangens vieler Trader sein. Das Ziel und der Zweck des ersten Daseins als Trading-Anfänger.

Neueste Artikel