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Lesestoff Aus dem Alltag eines Traders: Teil I

In einer fünfteiligen Serie veröffentlicht Capital Ausschnitte aus dem Börsenroman "Der Händler" - aus dem Alltag eines jungen Traders

Michael Voigt ist Autor und arbeitet selbst seit vielen Jahren als Trader. Seine Erfahrungen teilt er regelmäßig als Referent und Workshopleiter.

Mit "Das große Buch der Markttechnik" kombinierte Michael Voigt 2013 erstmals Fachkapitel zu privatem und institutionellem Börsenhandel mit der romanhaften Schilderung des Werdegangs des jungen Traders Philip. Auf diese Weise bot er Nicht-Kennern einen humorvollen Einblick ins markttechnisch orientierte Trading-Geschäft und erklärte aus Sicht der Marktteilnehmer, warum Kurse steigen oder fallen, und wie dieses Wissen für den Handel eingesetzt werden kann. Gleichzeitig hielt er Tradern humorvoll den Spiegel vor.

„Der Händler“ schließt nun an dieses Werk an – gleich mit acht Bänden. Vor allem für fortgeschrittene Trader soll es in den Romanabschnitten zwischen den Zeilen wieder einiges zum Schmunzeln und Nachdenken geben. Denn der Autor hat weiterhin vor allem ein Ziel: dem Bösen des Trading-Geschäfts auf die Schliche kommen. Die Geschichte von Philip spielt in einem Handelsbüro, dessen Name und Standort für den Autor ohne Bedeutung sind – „die Geschichte könnte überall spielen“.

In einer fünfteiligen Serie veröffentlicht Capital Ausschnitte aus dem Börsenroman „Der Händler“.

Was bisher geschah

Alles war eigentlich so, wie es sich Philip erträumt hatte: Er wusste, was eine Aktie war, am Terminmarkt long und short gehen konnte er auch, und mit technischer Analyse kannte er sich ebenfalls schon ein bisschen aus. Alles war eigentlich perfekt! Doch als Philip sein Praktikum in einem Handelsbüro begann, merkte er, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte! Denn: Immer, wenn er in den Markt ging, machte der genau das Gegenteil von dem, was er sich vorstellte.

Doch mit den Jahren seiner Ausbildung änderte sich alles: mehr Fachwissen, mehr Logiken, weniger mentale Verfangenheit. Mit Witz, ungestümen Emotionen und vielen Denkübungen schlug sich Philip durch den Dschungel des markttechnisch orientierten Tradings. Als Reiseführer dienten ihm einst wie auch heute noch seine Kollegen Hofner und Sander. Mit dem umfangreichen Wissen der beiden und den Abhandlungen über Markttechnik im aktiven Börsenhandel gelang es Philip, seinen Weg zu finden.

Nun, Jahre später, bekommt Philip die Chance, selbst ein Reisebegleiter für den neuen Praktikanten Stan zu sein ...

Wie steht es um Ihr Leben?

"Würdest du dich als gestresst bezeichnen?

Nein. Ganz sicher nicht. Ich habe nur ... einfach viel zu tun. So ist das nun mal, wenn man einen anspruchsvollen Job hat. Ich bin ehrgeizig und habe Spaß an meiner Arbeit. Na gut, manchmal fühle ich mich schon etwas unter Druck. Ich bin schließlich Berufshändler, genau genommen Trader, habe also immer den Finger direkt am Puls des ganzen Finanzmekkas. Hat eigentlich irgendjemand da draußen einen Schimmer, was das heißt? Nein?

Philip unterbrach seinen inneren Monolog, schaute kurz auf die Fragen, die vor ihm lagen, und fixierte den äußeren rechten Bildschirm. Der DAX-Future stieg um weitere 13 Punkte. Kurz darauf erblickte ein neuer Bar des 10-Minuten-Charts das Licht der Welt. Durch diesen Anstieg rückte der letzte lokale Tiefpunkt von 6.808 noch weiter in die Trading-Ferne. Gut. Egal, jetzt weiter zur nächsten Frage.

Wie viele Stunden verbringst du tagtäglich am Arbeitsplatz?

12

8

Na ja. Wie man es nimmt, überlegte Philip. Rein körperlich nicht so viele. Aber geistig ...

Treibst du regelmäßig Sport?

Ich jogge regelmäßig.

Ich jogge, so oft ich kann.

Ich habe vor, demnächst mal wieder joggen zu gehen. Sobald ich Zeit habe. Im Moment ist aber an den Märkten viel los.

Philip setzte den Stift kurz ab, räusperte sich und warf einen Blick auf den Chart. – Heiliger Bim-bam, wie lange dauert das denn noch, bis der Markt mal fällt?

Hofner, vier Meter hinter ihm, klickte gerade eine Stopp-Sell-Order in den Markt und schaute kampfbereit von seinem Arbeitsplatz auf. "Komm schon, komm schon ...", feuerte der erfahrene Händler den Euro-FX-Future zum Spaß an und griff sich in sein kurzes, dunkles Haar. "Fall unter die zwölf!"

Der Euro-FX-Future pendelte seit beinahe sieben Minuten zwischen 1,5813 und 1,5820. Die Stopp-Sell-Order zur Eröffnung der Short-Position lag auf dem Kurs von 1,5795. Dieser geplante Trade resultierte aus der 20-Pips-Korrektur innerhalb des sauberen Abwärtstrends auf Tickbasis. Hofner hielt die Korrektur offenbar für beendet, denn der Markt drehte bereits wieder in Richtung des letzten Tiefpunkts, legte jedoch auf diesem Weg eine kurze Zwischenpause ein.

Hofner war Philips Arbeitskollege und langjähriger Freund. Hofners Ruf? Ein Notarzt für Trader, ohne Wenn und Aber. Ein Retter in letzter Minute, ein gerissener Meister seines Fachs, der willens war, alles zu tun, um sich, seine Ideen und Emotionen in den Griff zu bekommen. Philip empfand es immer als einen großen Glücksfall, mit einem solchen Trader zusammen durch das Universum von Märkten und Zeiteinheiten zu surfen. Händler vom Schlag eines Hofner hatten von klein auf gelernt, jedem Trader mit Rat und Weitsicht beizustehen. Er kannte alle Facetten und sämtliche Betrachtungen des Tradings. Er kannte die riesigen Gewinne und großen Verluste so gut wie sonst kaum jemand. Er stimmte mit den anderen alten Hasen des Börsenhandels überein, die da sagten: "Sobald wir anfangen zu traden, fangen wir an, uns zu verändern ..." Als erfahrener Händler hatte er jene Veränderung unzählige Male bei anderen, unter anderem auch bei Philip, miterlebt.

Obwohl Philip das Motto "Wir verändern uns beim Trading ..." im Falle des Börsenhandels für richtig hielt, hätte er nie geglaubt, dass dies hier und jetzt etwas mit ihm und seiner Arbeit zu tun haben könnte. Das heißt – bis zum heutigen Tag, an dem sich seine Persönlichkeit wieder ein Stück weiterentwickeln sollte.

"Na, Philip, kommst du voran?", fragte Hofner grinsend und warf zeitgleich einen Blick in Richtung des Euro-FX-Future-Charts.

"Äh, ich bin ein wenig im Stress", erwiderte Philip leicht irritiert. "Außerdem hab ich meine Sachen noch nicht alle gepackt. Muss ich da wirklich alle Fragen beantworten?"

"Ich fürchte, ja ...", antwortete Hofner mit einem Hauch von gekünstelter Strenge. Schließlich war das Beantworten dieser "Wie steht es um Ihr Leben?"-Fragen, wie man sie aus den üblichen Frauenzeitschriften kennt, ein heiß geliebtes Ritual der Trader. Da Ehrlichkeit vorausgesetzt war, hatten diese Fragen Philip das ein oder andere Mal in tiefste Grübeleien gestürzt, aber gelegentlich zeigten die anschließenden Gespräche mit Hofner und Sander ihm auch Mittel und Wege, mit der Arbeit und den damit verbundenen Schwierigkeiten besser umgehen zu können, und schenkten ihm hin und wieder einen wertvollen Blick in die Abgründe, auf die Berggipfel und Geheimnisse des Berufsalltags eines Traders. Natürlich gab es auch einen Haken an der Sache: Wer die schlechtesten Antworten hatte, musste jedes Mal das Mittagessen bezahlen.

Philip warf einen Blick auf seine Uhr. Schon halb zehn. Er hatte heute eigentlich wirklich keine Zeit für dieses Spiel. – Echt!

Sicherlich lag das daran, dass er in Gedanken bereits in der Luft war – und in Bangkok. Momentan interessierten ihn Fragen zur Luftfeuchtigkeit im asiatischen Raum und nach thailändischem Leben mehr als die zu seinem gewohnten Leben. Ab morgen würde nichts mehr sein wie gewohnt. Morgen würde er für mehrere Wochen nach Bangkok fliegen. Und zwar dienstlich."

Auf den Rechner ist Verlass

"Der DAX-Future hatte heute Morgen um acht Uhr 31 Punkte tiefer eröffnet, zog dann sofort um 37 Punkte an und stand nun wieder kurz vor seinem Eröffnungskurs. Der Bund-Future eröffnete auf Höhe des gestrigen Schlusskurses um 22 Uhr, bei 113,91. Wie jeden Mittwoch standen einige Wirtschaftsnachrichten an.

Philip überprüfte die offenen Overnight-Positionen seiner Konten. Vier Konten bei drei verschiedenen Brokern, das brachte zwar den kleinen Nachteil, dass drei verschiedene Handelsplattformen gleichzeitig bedient werden mussten, hatte aber den Vorteil, dass neben dem zeitgleichen Handel unterschiedlicher Zeiteinheiten in ein und demselben Markt auch ein möglicher Ausfall eines Brokers keine generelle Handlungsunfähigkeit nach sich zog.

Piep, Piep, Piep.

– Hoppla, das ging jetzt aber zügig.

Order Filled
Sell FDAX 20@6808 ID=7261168.

Ein gelb hinterlegtes Fenster tauchte am oberen Rand des linken Bildschirms auf. Diese Info bestätigte Philip die Ausführung der Order "Sell" des DAX-Futures "FDAX" mit der entsprechenden Laufzeit. Philip verkaufte 20 Kontrakte "20@..." zu 6.808 "...@6.808". Die letzte Information des Fensters dokumentierte die Ordernummer "ID=7261168". Da er keine offene Position in dem Markt besaß, war er somit 20 Kontrakte zu 6.808 im DAX- Future short. Er kontrollierte mit gewohnt peniblem Blick, ob sein Rechner den Stopp an die richtige Stelle setzte.

Trade-Guarde-Modus: ON
Stopp Buy FDAX @6.819.

– Passt. Auf den Rechner war halt Verlass. Klare Regel, klare Ausführung. Wie ein treuer Freund, still und ohne zu murren. Ein Computer machte alles: Er führte Trading-Befehle aus, bestellte Blumen für Geliebte und Familien, wenn man Geburtstage vergessen hatte, orderte Pizza, wenn es abends spät wurde, war das Tor zur Welt, wenn man kaum noch Kontakt zu anderen hatte. Ein Computer schlief nicht. Ein Computer eierte nicht rum.

"Gott, bitte fall!", stöhnte Philip und starrte auf das Positionsfenster. Ihn interessierte die wunderbare Mauer aus Abkürzungen, FDAX, FSMI, FESX, FGBL etc., hinter der eine große Zahl, der Punktestand, zu sehen war, dann eine weitere Zahl und davor das entscheidende Plus- oder Minuszeichen.

Und – schwupp! – schon tauchte eine riesige fallende Periode auf Philips 10-Minuten-Chart auf. "Wow ... Ich kann`s nicht fassen, das ging fix!" Mit einem zufriedenen Grinsen begrüßte Philip jeden neuen weiter fallenden Kurs.

... 6.805 ...6.804 ... 6.802 ... 6.798

Wenn ihn nicht alles täuschte, stand der DAX-Future wenige Punkte vor dem Durchbruch der fetten Aufwärts-Trendlinie! – Ja, ganz eindeutig. Kein Wunder. Sie war die reinste Augenweide und erstreckte sich über zwei Tage auf den 10-Minuten-Charts. Durch die Time & Sales-Liste3 ging ein kräftiger, wenn auch kurzer Ruck, und innerhalb von zwei Sekunden katapultierte es den Markt unter die Trendlinie. Stopp-Orders wurden ausgelöst und Market ausgeführt. – Das klappte ja hervorragend! Philip reckte zufrieden den Daumen in die Höhe. Sachte schob er die Maus auf das Ordermenü, bis der Zeiger direkt auf »Buy« stand. Jetzt musste er nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten. Sein Freund, der Computer, lauerte mit ihm.

Zack!

Eine schnelle Handbewegung und die Order segelte durch den Datenhighway zum Broker. Im Handumdrehen halbierte er die Position und nahm 20 Punkte Gewinn mit, während der Com- puter für die verbleibende Restposition von zehn Kontrakten den Stopp automatisch der neuen Positionsgröße anpasste und zielsicher nachzog. Philip handelte die Bewegung4 und daher wurde für jede weitere Periode unter Beachtung möglicher Innenstäbe der Stopp auf die vorhergehende Periode gesetzt. Alles wird ganz wunderprächtig an meinem letzten Tag, dachte Philip und ver- gaß dabei, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll."

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