Anne Kjær Riechert ist Mitgründerin und Geschäftsführerin der ReDI School of Digital Integration. Die 34-Jährige ist Mitglied der von Capital gekürten Jungen Elite 2016.
Frau Riechert, an Ihrem Lebenslauf fällt auf, dass Sie in vielen Ländern gelebt haben. Sie sprechen sieben Sprachen. Ist die Neugier auf andere Kulturen Ihr Motor? Ich komme ursprünglich aus Dänemark, bin aber mit elf Jahren zusammen mit meinen Eltern in ein kleines Dorf in Norwegen gezogen. Als Teenager wurde es mir da schnell zu eng, weshalb ich schon früh viel unterwegs war. Ein multikulturelles Umfeld inspiriert mich – deshalb wohne ich jetzt auch in Berlin. Sie haben in vielen sozialen Projekten gearbeitet, dann aber auch wieder im Bereich Social Responsibility bei Unternehmen wie Coca-Cola oder Samsung. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Jobs aus? Mein Job ist es immer, Brücken zu bauen. Damit meine ich nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch zwischen Non-Profit und For-Profit-Organisationen, zwischen sozialem und von Kapital gesteuertem. Deshalb habe ich Innovation studiert. Wann haben Sie gemerkt, dass es in Richtung Zivilgesellschaftliches gehen soll? Während meiner Zeit bei Samsung habe ich gemerkt, dass bei großen Unternehmen alles immer etwas länger dauert. Mein Projekt dort war zwar erfolgreich, hätte aber für meinen Geschmack noch innovativer sein können, noch wirkungsvoller. Deshalb wollte ich noch weiter studieren, um zu lernen, wie man solche Prozesse verbessern kann. Das hat mich zum Peace Fellowship in Japan gebracht. Wie hat dieses Studium Ihre Karriere verändert? Ich hatte anfangs daran gearbeitet, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kulturen zu verbessern und ging durch das Studium zur Verbesserung der gesamten Gesellschaft über. Ich beschäftigte mich damit, wie wir soziale Herausforderungen mit Technologien bewältigen und wie wir die verschiedenen Möglichkeiten zusammenbringen können. Woher kommt dieses Bedürfnis, die Gesellschaft zu verbessern? Ich denke, das wurde mir anerzogen. Als Einzelkind wurde ich früh von meinen Eltern zu Treffen mit Freunden mitgenommen und habe an den Diskussionen der Erwachsenen teilgenommen. Ich habe früh gelernt, immer wieder „warum“ zu fragen und neugierig zu sein. Dazu kommt: Ich bin Idealistin. Viele Menschen schieben die gesellschaftliche Verantwortung von sich weg, aber das geht nicht.
"Das Märchen vom Über-Nacht-Erfolg darf man nicht glauben"
Jetzt tragen Sie dazu bei, dass Flüchtlinge Programmieren lernen oder ihre Programmierausbildung in Deutschland weitermachen können. Woher kommt der Bezug zum Programmieren? Ich glaube ich wäre eine richtig schlechte Programmiererin. Das Projekt ist nicht entstanden, weil ich gerne programmiere, sondern weil mir aufgefallen ist, dass es in Deutschland über 40.000 unbesetzte Programmier-Jobs gibt, auf der anderen Seite aber viele Geflüchtete hier leben, die Programmier-Vorkenntnisse haben oder zumindest technikaffin sind. Oft haben sie ihren Fluchtweg mit dem Smartphone bestritten. Viele sprechen außerdem zwei Sprachen und das wichtigste ist die Mentalität, die sie haben. Man muss schon ein Pionier sein, um sein Land zu verlassen. Wer seine Familie und Freunde zurücklässt, um sich eine bessere Zukunft aufzubauen, ist sicher sehr motiviert. Nun muss man die Geflüchteten und die Wirtschaft noch zusammenbringen. Keine leichte Aufgabe... Ich bin froh, dass ich als Mitgründer Ferdi van Heerden an meiner Seite hatte. Alleine geht’s nicht, die richtigen Leute zu finden ist das wichtigste. Anfangs habe ich das Projekt nachts, neben meinem Vollzeitjob gestemmt, irgendwann ging das nicht mehr, dann musste ich mich entscheiden. Wir haben uns durch Spenden finanziert, das ganze Team hat sechs Monate lang ehrenamtlich gearbeitet. Es war sicher nicht immer leicht, aber mein Rezept war ganz einfach: Meiner Idee vertrauen und hart arbeiten. Das Märchen vom Über-Nacht-Erfolg darf man nicht glauben, es steckt immer viel Arbeit hinter erfolgreichen Projekten. Und die hat sich auch gelohnt. Im Februar 2016 war sogar Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zu Besuch in der „RedI School“... Das war eine verrückte Erfahrung. Freunde von mir kennen Mitarbeiter von Facebook und haben ihnen von unserem Projekt erzählt. Im Februar hat Facebook dann bei uns angerufen und Fragen zur „ReDI School“ gestellt. Ich habe im Scherz gesagt „Wenn er möchte, kann Mark Zuckerberg ja mal vorbeikommen.“ Das tat er dann tatsächlich... Er war im Februar in Berlin und wollte unbedingt ein Flüchtlingsprojekt besuchen. Er hat sich für uns entschieden. Sein Besuch sollte 30 Minuten dauern, er wollte mit Studenten sprechen, aber es musste alles geheim bleiben. Wir konnten also nicht einmal den Studenten selbst erzählen, wer zu Besuch kommen wird. Wegen der ganzen Aufregung dachten einige, Angela Merkel würde kommen.
Mark Zuckerberg zu Besuch
Wie lief der Besuch dann ab? Es war toll. Mark Zuckerberg sprach mit unseren Studenten. Besonders schön fand ich seine Unterhaltung mit Rami. Er hat Mark Zuckerberg von einem Virtual Reality Projekt erzählt, das er plant, um mit seiner Mutter in Aleppo sprechen und dabei seine Heimat sehen zu können. Umgekehrt soll seine Mutter sehen, wie er lebt. Bei diesem Gespräch trafen so viele Welten aufeinander: Humanität und Technologie, Syrer und Amerikaner, Geflüchteter und Milliardär. Durch die Technologie sind sie einfach zu zwei Geeks auf Augenhöhe geworden. Technologie kann Grenzen überwinden.
Was hat der Besuch für die „ReDI School“ bedeutet? Es freut mich immer, Menschen zusammen zu bringen, die ähnliche Interessen haben. Und natürlich war auch die Spende von Mark Zuckerberg und seiner Frau Priscilla, 100.000 Euro, für uns ein großer Schritt. Wir haben schließlich viele Pläne. Verraten Sie uns, welche? Inhaltlich arbeiten wir daran, den Anteil an weiblichen Studierenden zu erhöhen und die Programmierkurse für Kinder auszuweiten. Insgesamt sollen unsere Gruppen noch besser durchmischt werden. Unsere Studierenden sollen schließlich Netzwerke bilden und nicht in Blasen leben.
Lese Sie weitere Interviews mit den Mitgliedern der Jungen Elite: Helen Yuanyuan Cao, Esra Küçük, Maike Becker-Krüger
Seit 2007 sucht Capital für das Projekt „Junge Elite“ in ganz Deutschland nach Talenten wie Anna Herrhausen und kürt alljährlich die „Top 40 unter 40“ in den vier Kategorien „Unternehmer“, „Manager“, „Politik“ sowie „Staat und Gesellschaft“. Alle sind jünger als 40 Jahre, haben beachtliche Erfolge vorzuweisen und noch viel Potenzial. Einige sind schon an der Spitze, andere noch auf dem Sprung dorthin; manche machen durch bahnbrechende Ideen und Start-ups auf sich aufmerksam, andere gehen den Weg durch Konzerne und Institutionen.