Eine Instanz ist ins Wanken geraten: Jahrzehntelang galt der örtliche Mietspiegel als Maß aller Dinge, wenn es um die angemessene Miete für eine bestimmte Wohnung ging. Nun jedoch ist um das Instrument, das eigentlich Frieden zwischen Mietern und Vermietern schaffen sollte, bundesweit eine hitzige Debatte entflammt. „Das bildet eindeutig nicht die realen Marktbedingungen ab“, wetterte der Finanzvorstand der Deutschen Wohnen, Philip Grosse, im Mai bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen des Unternehmens. Am Vortag hatte Berlin seinen neuen Mietspiegel vorgestellt. Demnach sollen die Mieten seit der Vorstellung des letzten Mietspiegels im Jahr 2017 jährlich um durchschnittlich 2,5 Prozent gestiegen sein. Grosse hält die Zahl für maßlos untertrieben: Ein Anstieg der Mieten um fünf Prozent sei eine deutlich realistischere Größe, so der Finanzvorstand. Den neu in Kraft getretenen Mietspiegel will die Deutsche Wohnen „in den nächsten Monaten eingehend analysieren“.
Es ist nicht das erste Mal, dass Vermieter den Berliner Mietspiegel öffentlich angreifen. Die Deutsche Wohnen hatte in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dass sie das Instrument für nicht rechtssicher hält. Bei einigen Wohnungen begründet der Konzern Mieterhöhungen deshalb auch nicht mehr mit dem Mietspiegel der Stadt. Stattdessen zieht das Unternehmen eigene Vergleichswohnungen als Referenzgröße heran. Auch der Eigentümerverband Haus und Grund äußert sich immer wieder kritisch zum Mietspiegel. Erst im Mai klagten die Lobbyisten erfolgreich auf die Herausgabe von Daten von mehr als 30.000 Wohnungen durch die Stadt München . Haus und Grund vermutet, dass die Durchschnittsmieten des ortsüblichen Mietspiegels zu niedrig berechnet wurden. So sollen die erlaubten Mietsteigerungen zu klein ausgefallen sein.
Mietspiegel in Deutschland sind kaum miteinander vergleichbar
Tatsächlich sind die Zahlen im Mietspiegel in der Regel von den Marktpreisen, die Wohnungssuchende in den Anzeigen finden, weit entfernt. Laut einer Übersicht des Portals Immowelt kostet der Quadratmeter in Berlin je nach Wohnungsgröße derzeit zwischen elf und 14 Euro. Laut aktuellem Berliner Mietspiegel zahlen Mieter in der Stadt dagegen durchschnittlich nur 6,72 Euro pro Quadratmeter. Wie passen die Ergebnisse zusammen? Experten zufolge liegt der Grund für die Diskrepanz in den Daten, auf denen der Mietspiegel basiert. Denn es gibt einfache und qualifizierte Mietspiegel. Die Qualifizierten werden von eigens beauftragten Unternehmen erstellt. Sie müssen „wissenschaftlichen Grundsätzen“ genügen, die allerdings nicht genauer definiert sind. Solche Gutachten kosten im Normalfall mehrere Hunderttausend Euro.
Viele Städte entscheiden sich daher für die einfache Variante: Bei diesen Mietspiegeln gibt es keine methodische Vorgabe, wie die Daten gesammelt und weiterverwertet werden. Es reicht, wenn Mieter-, Vermietervereine und Stadtrat dem Ergebnis zustimmen. Welche Informationen die Parteien einfließen lassen, bleibt ihnen weitestgehend selbst überlassen. Wenn dann einmal nur Vermieter und beim nächsten Mal nur die Mieter Antworten geben, können die Angaben zum Mietpreis stark auseinander liegen. Da keiner der Befragten teilnehmen muss, zweifeln Kritiker zudem die Belastbarkeit der gesammelten Daten an.
In jedem Fall gilt: Die Mietspiegel in Deutschland sind nur schwer miteinander vergleichbar. Das ist nicht nur für Mieter und Vermieter ärgerlich, die sich ein objektives Maß für die ortsübliche Miete wünschen, sondern auch für die Politik. Denn der Mietspiegel ist auch die Basis für Gesetze wie die Mietpreisbremse. Die Bundesregierung will daher nachbessern und bis zum Jahresende konkrete Vorgaben für Mietspiegel in deutschen Städten machen. Ob es sich dabei schon um einen konkreten Gesetzesvorschlag oder eher um Eckpunkte handelt, ist noch offen.