Zum Jahrestag der Lehman-Pleite stellen sich viele Ökonomen die Frage: Kann sich die Krise von damals wiederholen? Einiges deutet derzeit darauf hin. Die Immobilienpreise sind in vielen Ländern zuletzt explosionsartig gestiegen und haben teilweise das Vorkrisenniveau erreicht. In Deutschland haben die Preise für Häuser und Wohnungen in den sieben größten Städten seit dem Jahr 2010 um 80 Prozent zugelegt, zeigt ein Bericht der Bundesbank. Claus Michelsen, Immobilienökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beobachtet diese Entwicklungen mit Sorge. „Die Gefahr, dass wieder Immobilienpreisblasen entstehen, die in eine neue weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise münden können, ist real“, sagt er.
Das DIW hat jüngst in einer Untersuchung für 20 OECD-Staaten Faktoren analysiert, die das Entstehen einer Preisblase begünstigen. Das Ergebnis: In vielen Staaten gibt es Hinweise auf ein spekulatives Anlageverhalten von Investoren. So halten die Studienautoren etwa Spekulationsblasen im Vereinigten Königreich, in Portugal und in Schweden für wahrscheinlich.
Auch die letzte Finanzkrise schlich sich auf leisen Sohlen an. Und zwar schon im Jahr 2002: Die Wirtschaft in den USA fing gerade an, sich vom Platzen der Dotcom-Blase zu erholen. Um den Aufschwung zu stützen, senkte die US-Notenbank massiv die Leitzinsen. Millionen Haushalte in den Vereinigten Staaten nutzten die daraufhin günstigen Hypothekenkredite, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Gleichzeitig stiegen die Hauspreise auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt in schwindelerregende Höhen. Berauscht vom Boom vergaben US-Banken ihre Kredite immer leichtfertiger. Am Ende erhielten selbst solche Käufer Darlehen, die gar keine Sicherheiten mitbrachten. Um ihr Risiko zu begrenzen, schnürten die Hypothekenbanken die Kredite zu bunten Paketen und verkauften sie an andere Institute weiter. Diese Bündel aus sicheren und extrem ausfallgefährdeten Hypothekendarlehen reichten die Banken solange herum, bis keiner mehr wusste, was wirklich darin steckte.
Vor zehn Jahren gab es dann den großen Knall. Zehntausende Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, der Immobilienmarkt in den USA brach zusammen, Banken gerieten ins Straucheln. Am 15. September 2008 meldete die US-Bank Lehman Brothers Insolvenz an. Als Folge kam es bei Investoren weltweit zu Milliardenverlusten. In Deutschland traf es vor allem öffentliche Geldhäuser wie die HSH Nordbank, die WestLB und die Sächsische Landesbank, deren Verluste letztlich beim Steuerzahler hängen blieben.
Hierzulande ist die Gefahr einer gefährlichen Preisblase noch nicht ausgeprägt, urteilt das DIW. Nur in den historisch niedrigen Hypothekenzinsen sehen Wissenschaftler ein Risiko für den deutschen Immobilienmarkt. „Insbesondere die vergleichsweise geringe private Verschuldung hierzulande und die solide Finanzierung von Immobilienkäufen sprechen unter dem Strich gegen eine spekulativ getriebene Fehlentwicklung im gesamten Land“, sagt DIW-Ökonom Michelsen.
Das Fazit des Forschungsinstituts dürfte der Bundesregierung in die Karten spielen. Immerhin hat sie nach der Finanzkrise viel getan, um eine zweite Krise zu verhindern. Die Finanzaufsicht Bafin verfügt mittlerweile über eine ganze Reihe von Möglichkeiten, den Markt zu regulieren – zumindest theoretisch. So darf sie beispielsweise den Fremdkapitalanteil bei Immobilienfinanzierungen begrenzen sowie Vorgaben für die Tilgung von Krediten machen.
Allerdings tut sie das bisher nicht. Kritiker bemängeln deshalb, dass es sich bei den Kontrollinstrumenten um ein stumpfes Schwert handelt. Denn laut Gesetz darf die Bafin nur dann regulierend in den Markt eingreifen, wenn eine konkrete Gefahr erkennbar ist. Wann dies der Fall ist, weiß niemand so genau. „Letztlich ist die Regulierung in Deutschland auf halbem Wege stehengeblieben, und das ist nur schwer nachvollziehbar“, kritisiert Michelsen. Er fordert klare Regeln. So sollte die Bundesregierung etwa nach oben hin deckeln, wie viel Kredit ein Haushalt bei gegebenen Einkommen aufnehmen darf.
Die Bafin braucht mehr Informationen
Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg, sieht noch ein ganz anderes Problem: Die Bafin kann nicht regulieren, weil sie gar nicht über die notwendigen Informationen verfügt, sagt der Immobilienexperte. Sie besitze vor allem keine detaillierten Daten über die private Kreditvergabe. „Der Bafin wird das Recht und damit die Pflicht gegeben, in den Markt einzugreifen, ohne dass sie genaue Kenntnis über dessen Zustand hat“, klagt Sebastian.
Er plädiert für die Einführung eines zentralen Kreditregisters, auf das die Aufsichtsbehörden jederzeit zugreifen können. Dieses Register sollte Informationen zum Loan-to-Value (Darlehen in Relation zum Immobilienwert), zur Entwicklung des Beleihungswertes sowie zum sogenannten Debt-Service-to-Income enthalten, also dem Schuldendienst in Relation zum Einkommen. Sebastian ist überzeugt: Mithilfe eines solchen Registers könnten die Aufsichtsbehörden Warnzeichen früher erkennen und entsprechend handeln.