Wer eine Immobilie besitzt, möchte sie im Ernstfall auch selbst nutzen. Eigenbedarf ist laut Mieterbund einer der häufigsten Gründe für Kündigungen: Jahr für Jahr sprechen Vermieter hierzulande gut 80.000 Kündigungen aus, weil sie oder ein enges Familienmitglied in die Wohnung einziehen wollen. Normalerweise haben Mieter in solchen Fällen schlechte Karten – es sei denn, sie sind alt, krank oder können einen anderen Grund vorweisen, warum ein Umzug für sie unzumutbar ist. Weil freie Wohnungen gerade in deutschen Metropolen Mangelware sind und die Bevölkerung im Schnitt immer älter wird, klagen immer mehr Menschen gegen den Rauswurf. Für die Justiz ist das ein gewaltiges Problem: Viele Fälle könnten „nicht in gebotener Tiefe“ geprüft werden, kritisierte der Bundesgerichtshof in einer Stellungnahme. Es seien schlichtweg zu viele Klagen. Die Bundesrichter nahmen deshalb jüngst zwei Eigenbedarfskündigungen zum Anlass, allzu schematischen Prüfungen der Justiz einen Riegel vorzuschieben .
In Zukunft müssen Gerichte ganz genau prüfen, ob ein Härtefall vorliegt oder nicht. In bestimmten Fällen müssen die Richter ein externes Gutachten einholen – nämlich dann, wenn der Mieter gesundheitliche Probleme als Grund gegen die Kündigung nennt und ein ärztliches Attest vorlegt. „Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich nicht bilden“, so der BGH. Anders gesagt: Faktoren wie Alter und lange Mietdauer rechtfertigen nicht automatisch auch die Annahme eines Härtefalls. Die Richter hoben damit zwei Urteile auf, bei denen die Gerichte die Fälle aus Sicht des BGH nicht gründlich genug geprüft hatten. Beide Verfahren müssen nun an den zuständigen Gerichten neu verhandelt werden.
Kritik vom Mieterbund
Im ersten Fall hatte ein Familienvater aus Berlin einer 80-jährigen Mieterin gekündigt, die seit 45 Jahren in der Wohnung lebt. Der Eigentümer wollte die Wohnung selbst mit seiner Frau und Kindern nutzen. Das Berliner Landgericht bestätigte zwar den Eigenbedarf, sprach der Mieterin aber dennoch das Recht zu, in der Wohnung zu bleiben. Weil die Frau schon so lange dort wohne und ihr außerdem eine Demenz attestiert wurde, müsse sie nicht ausziehen, so die Begründung der Berliner Richter.
Im zweiten Fall ging es um die Eigentümerin einer Doppelhaushälfte in Kabelsketal in Sachsen-Anhalt. Die Vermieterin wollte mit ihrem Freund einziehen – ursprünglich um näher bei ihrer pflegebedürftigen Großmutter zu sein, die inzwischen verstorben ist. Die Mieter weigerten sich und verwiesen auf gesundheitliche Gründe, die einen Umzug unzumutbar machen würden. Das Landgericht Halle gab der Eigentümerin Recht. Der BGH beurteilt den Fall anders: Die Richter hätten die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mieter „bagatellisiert und ebenfalls versäumt, ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs einzuholen“, heißt es in der Stellungnahme.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) kritisiert das Urteil. Faktoren wie hohes Alter oder Krankheit müssten grundsätzlich über den Interessen des Vermieters stehen. „Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof relativiert. Das ist alles andere als ein positives Signal für den Kündigungsschutz“, sagt DBM-Präsident Lukas Siebenkotten. Der Eigentümerverband Haus & Grund dagegen begrüßte das Urteil. „Der Rechtsstaat gebietet diese Abwägung – und zwar immer auf den konkreten Fall bezogen“, sagt Haus & Grund-Präsident Kai Warnecke. Es dürfe nicht infrage gestellt werden, dass Eigentümer ihre vermietete Wohnung grundsätzlich eines Tages selbst nutzen können. Dies sei ein legitimes Recht, dass der Staat schützen müsse, so Warnecke. Nur dann würden genügend Mietwohnungen angeboten und nur dann seien vermietete Immobilien als Teil der Altersvorsorge überhaupt eine Option.