Im deutschen Sparkassenlager sollte dieser Tage eigentlich Eitel Freude herrschen. Denn endlich macht die Europäische Zentralbank (EZB) das, was „Die Roten“ – so bezeichnet die Frankfurter Finanzszene die Sparkassen-Gruppe – schon lange forderten, nämlich kräftig die Zinsen anheben.
Doch stattdessen dominieren lange Gesichter, zumindest bei den Sparkassen in Hessen und Thüringen: Wegen der Zinswende haben die im Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen zusammengeschlossenen Institute für 2022 Wertberichtigungen von insgesamt 1,3 Mrd. Euro auf ihre festverzinslichen Wertpapiere vornehmen müssen. Grund dafür ist, dass wegen gestiegener Marktzinsen die Kurse von Anleihen gefallen sind.
Und die Gesichter könnten noch länger werden, denn sowohl die EZB als auch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) werden wohl viel länger als zuletzt noch erwartet ihre Leitzinsen anhaben. Jüngste Äußerungen führender Notenbanker deuten auf ein Ende vom Ende der Zinserhöhungsphase hin. Damit wäre die Erwartung perdu, dass die Leitzinserhöhungen in diesem Frühjahr langsam auslaufen. Immerhin hatten beide führenden Notenbanken zuletzt etwas Tempo aus den Zinsanhebungen herausgenommen und nur noch um 50 statt wie mehrfach zuvor 75 Basispunkte erhöht.
Sparkassen und Volksbanken müssen Milliarden abschreiben
Noch zu Jahresbeginn lautete der Marktkonsens auf eine letzte Zinserhöhung der EZB im Mai, dann sollte der Leitzins (gemessen am Einlagensatz, aktuell 2,5 Prozent) im Bereich von 3,0 bis 3,25 Prozent liegen. Inzwischen ist die Erwartung für den maximalen Zinssatz in diesem Zyklus (Terminal Rate) auf 4 Prozent geklettert. Für die USA stellen sich Investoren inzwischen schon auf eine Terminal Rate von 6 Prozent ein (aktuell: 4,5 bis 4,75 Prozent), nachdem sie kürzlich noch mit 5 Prozent gerechnet hatten.
Die veränderten Erwartungen schlagen sich am Anleihemarkt nieder, wo die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen erstmals seit 2007 wieder über 5 Prozent liegt. Für Bundesanleihen gleicher Laufzeit sind es inzwischen schon 3,3 Prozent. Vor einem Jahr rentierten die als guter Indikator für Leitzinserwartungen geltenden Bundesschatzanweisungen noch bei rund minus 0,5 Prozent. Der Schmerz bei den Sparkassen sowie den Volks- und Raiffeisenbanken – sie mussten 2022 rund 6 Mrd. Euro auf Wertpapiere abschreiben – sollte sich seit Beginn dieses Jahres also fortsetzen. Seit Anfang Februar ist der Kurs zweijähriger Bundesanleihen (Bundesschatzanleihen) um 1,6 Prozent gefallen.
Der Grund für den Zinsanstieg liegt auf der Hand: Die Inflation ist zäher als erwartet. In den USA stiegen die Preise im Januar im Jahresvergleich um 6,4 Prozent. Das ist zwar ein leichter Rückgang, aber mehr als der Markt erwartet hatte. Die nächsten Preisdaten in den USA werden am Dienstag, 14. März, veröffentlicht. Der Markt stellt sich auf eine unveränderte Inflationsrate von 6,4 Prozent ein. In jedem Fall werden diese Daten erheblichen Einfluss auf die nächste Zinserhöhung der Fed haben, die für den 22. März erwartet wird. Wegen der anhaltend hohen Inflation werden inzwischen erneut 50 Basispunkte Anhebung erwartet.
„Nichts an den Daten deutet für mich darauf hin, dass wir zu sehr gestrafft haben – im Gegenteil, es deutet darauf hin, dass wir noch Arbeit vor uns haben“, sagte Fed-Präsident Jerome Powell nun während einer Anhörung im US-Parlament. „Es ist schwer zu behaupten, dass wir zu stark gestrafft haben. Es bedeutet, dass wir die Straffung fortsetzen müssen.“ Vor der Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses am 21. und 22. März habe man „noch zwei oder drei sehr wichtige Daten zu analysieren".
Ganz ähnlich hatte sich zuletzt EZB-Präsidentin Christine Lagarde geäußert, nachdem die Verbraucherpreise im Februar in der Eurozone um 8,5 Prozent gestiegen waren. Zwar wird aus statistischen Gründen in den kommenden Monaten die Inflationsrate wohl fallen. Grund dafür ist, dass der Energiepreisschock vom Frühjahr 2022 in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sich nicht wiederholt.
Volkswirte machen sich inzwischen jedoch Sorgen, dass die hohen Energiepreise sich noch immer durch viele Bereiche der Wirtschaft hindurchfressen. Außerdem steigen inzwischen die Löhne deutlich an, was zu weiteren Preiserhöhungen bei Gütern und Dienstleistungen führen dürfte. „Nach der März-Sitzung könnten weitere Zinserhöhungen um 50 Basispunkte erforderlich sein, um die zugrunde liegende Inflation einzudämmen“, heißt es bei der Societé Générale.
EZB-Chefin Lagarde: „Die Inflation ist ein Monster“
In diesem Sinne wurden auch Äußerungen Lagardes vom vergangenen Wochenende verstanden. Sie warnte in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Correo, der Preisdruck sei kurzfristig zäh und erfordere weitere Maßnahmen. „Die Inflation ist ein Monster, dem wir auf den Kopf schlagen müssen“, sagte sie. „Wir machen Fortschritte, aber wir haben noch viel zu tun. Im Moment ist die Wirtschaft widerstandsfähig, die Beschäftigung ist robust und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie zuvor.“
Die EZB befindet bereits am Donnerstag kommender Woche, am 16. März, über ihre Leitzinsen. Sollte es zu einer Anhebung von wie zuletzt 50 Basispunkten kommen, würde die Notenbank ihre Geldpolitik sogar stärker straffen als im Februar. Denn neben der Zinserhöhung schrumpft die EZB seit Anfang März ihre Bilanz um monatlich 15 Mrd. Euro, indem sie auslaufende Anleihen nicht erneuert.
Die Kapitalmärkte zeigten sehr unterschiedliche Reaktionen auf die Ankündigungen Powells und Lagardes zu einer weiteren deutlichen Anhebung der Leitzinsen. Während am Anleihemarkt die Renditen deutlich stiegen, zeigte sich der Aktienmarkt nach einem kurzen Schockmoment recht gelassen.
Der Grund dafür könnte sein, dass die Akteure hier nicht mehr mit einer Rezession rechnen, da eine ganze Reihe von Konjunkturdaten zuletzt eher auf eine Abschwächung als auf einen Einbruch der Wirtschaftsleistung hindeuten. Damit würde aber auch der befürchtete Einbruch bei den Unternehmensgewinnen ausbleiben.
Weil Aktienkurse hauptsächlich aus dem Zusammenspiel von Zins- und Gewinnerwartungen gebildet werden, heben sich die beiden Effekte in gewisser Weise auf. Steigende Zinsen führen über die Bewertung zu fallenden Kursen, höhere Gewinne zu höheren Kurse. Die Folge ist ein mehr oder minder konstanter Aktienmarkt, denn das Schreckensszenario aus steigenden Zinsen bei hoher Inflation und fallenden Gewinnen wegen einer Rezession scheint sich nicht einzustellen. Das ist zumindest eine gute Nachricht für die Aktienbestände der Sparkassen und Genossenschaftsbanken.