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Finanzprodukte Wiederholt sich die Zertifikate-Krise?

Symbolbild: Börse
Symbolbild: Börse
© dpa
Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben massenhaft Zertifikate verkauft. Bei etlichen davon ist zurzeit fraglich, ob Anleger damit nicht hohe Verluste erleiden. Hat denn hier niemand etwas aus der Lehman-Krise gelernt?

Natürlich machen Menschen Fehler, das liegt in der Natur unserer Spezies und ist auch meist nicht schlimm. Doch eines wusste schon Konfuzius: Wer einen Fehler macht – und ihn nicht korrigiert, der begeht einen zweiten. Und genau deshalb sollten sich zurzeit hunderttausende Privatanleger einmal Gedanken machen, sowie zigtausend Bankberater. Alle nämlich, die in den vergangenen Jahren auf Zertifikate als Zinsbringer gesetzt haben, für den langfristigen Vermögensaufbau. Es könnte sich nämlich als schwerer Fehler erweisen. Denn nach dem schweren Börsenabsturz im März ist bei Papieren in Milliardenhöhe fraglich, ob sie nicht am Ende für viele Anleger zum Verlustgeschäft werden. Erneut.

Dabei müsste den Allermeisten doch noch die Finanzkrise von 2008 in Erinnerung sein. In der sorgten die Zertifikate der Lehman Bank für Furore: Das Geldhaus legte die spektakuläre Pleite hin, die beinahe das gesamte Finanzsystem in den Abgrund gezogen hätte, wenn nicht die Staaten und Notenbanken der Welt eingeschritten wären, um überall Banken zu verstaatlichen und so zu retten. Durch die Insolvenz von Lehman jedenfalls fiel die Rückzahlung vieler Zertifikate aus, die von der Bank herausgegeben worden waren. Hierzulande verloren rund 50.000 Privatanleger dadurch etwa eine Milliarde Euro.

All das hätte vermutlich weniger Aufsehen erregt, wenn es nicht ausgerechnet vorwiegend alte Kunden und eine nicht so betuchte Klientel gewesen wären, die solche Papiere besaßen – und damit häufig fünfstellige Beträge verloren, die für die Altersvorsorge gedacht waren. Muss man nun nicht einfach sagen: Die Kunden haben eben Pech gehabt? Oder war das damals wirklich ein Fehler des Vertriebs solcher Finanzprodukte? Fragt man das Gerhard Schick, den Gründer der Bürgerbewegung „Finanzwende“, dann antwortet der: „Bezeichnend war für mich, dass den Privatanlegern hierzulande noch Zertifikate von Lehman verkauft worden sind, als Großinvestoren schon lange nicht mehr bereit waren, dieser Bank Geld zu leihen.“ So weit, so historisch. Seitdem habe die Branche ja dazugelernt, so behauptet sie jedenfalls selbst. Doch ist das wirklich so?

Zwei Banken dominieren den Markt für Zertifikate

Sie trug in jedem Fall einen veritablen Imageschaden davon, soviel ist klar. Und litt unter einem riesigen Vertrauensverlust, der lässt sich sogar bis heute in den Zahlen ablesen: Zu Vor-Lehman-Zeiten also 2007 betrug der damals noch recht junge Gesamtmarkt für Zertifikate hierzulande noch 140 Mrd. Euro. Er hatte sich seit 2004 etwa verdreifacht. Doch nach Pleite stürzte der Markt um beinahe die Hälfte ab auf 80 Milliarden. Es gab zwar wieder einen leichten Aufschwung bis zum Jahr 2011, also der Gesamtumfang noch einmal auf 110 Milliarden anschwoll, doch die Euro- und Staatsschuldenkrise stutzte den Markt dann noch einmal. Heute ist er rund 71 Mrd. Euro schwer und viel Bewegung nach oben und unten gab es auch in den vergangenen Jahren nicht mehr. Verkaufte Produkte gibt es aber dennoch genug.

Spannend ist dabei vor allem eines: die Verkäufer dieser Produkte. Das sind nämlich zu rund 90 Prozent Filialbanken, aber gerade nicht jene Institute, die als die großen Fans des Investmentbankings oder Aktienhandels bekannt sind, sondern es sind ausgerechnet die öffentlichen Institute also die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Allein Dekabank und DZ Bank teilen fast die Hälfte des Marktes unter sich auf und kommen zusammen auf einen Marktanteil von 40 Prozent. Die Landesbanken LBBW und Helaba besetzen zusammen noch einmal 24 Prozent. Sie sind die mit Abstand größten Verkäufer von Zertifikaten hierzulande. Erst weit dahinter rangieren Kreditinstitute wie die Hypovereinsbank, Deutsche Bank und Commerzbank. Und erst ganz am Ende der Skala tauchen die Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley auf, die jeweils nicht einmal ein Prozent des Marktes beackern.

Aber ist es nun schlimm, dass ausgerechnet die Sparkassen und Volksbanken ihren Kunden so viele dieser Papiere verkaufen? Schließlich hätte sich deren Qualität seit der Lehman-Krise mächtig verbessert, sagt der Derivateverband DDV selbst. Er findet, sie seien eine „sinnvolle Allokation für individuelle Depots“. Nicht umsonst aber hat die Bundesregierung seitdem mit strengeren Gesetzen nachgebessert, und auch die neue europäische Finanzmarkt-Richtlinie MiFidII soll für mehr Anlegerschutz und transparentere Beratung sorgen.

„Zertifikate sind nichts für Privatanleger“

Es sei dennoch sehr wohl schlimm, dass Zertifikate eben nicht bei den gut informierten „Selbstentscheidern“ Absatz fänden, für die sie auch laut Bankenwerbung und Finanzaufsicht Bafin eigentlich gedacht seien, sagen Verbraucherschützer. In anderen europäischen Ländern können Privatanleger solche Produkte gar nicht kaufen. Wenn ein Onlineanleger auf eigene Wunsch solche Papiere kaufe, weil er mit Hebelprodukten oder Knock Outs seine Performance pimpen wolle, ... bitteschön! Aber dass sie ausgerechnet von Sparkassen und Genossen unters breite Volk gebracht würden, finden Verbraucherschützer allerhand. Denn üblicherweise sei die Klientel dieser Lokalbanken „eher klassisch und zinsmäßig unterwegs“, sie wünschten und erwarteten bei der Geldanlage also Produkte mit stetigen Zinsen und sicheren Auszahlungen. Und genau das seien Zertifikate nicht, betont Dorothea Mohn, Leiterin des Finanzteams des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), sie findet: „Zertifikate sind nichts für Privatanleger.“

Was nämlich wirklich in diesen Papieren stecke, das könnten die wenigsten Kunden einschätzen. „Zertifikate sind derivative Finanzprodukte, das sind komplexe Konstruktionen, bei denen typischerweise auf sehr enge Markterwartungen gewettet wird“, sagt Dorothea Mohn. Zudem kommen sie in zig verschiedenen Spielarten daher, heißen Expresszertifikate, Aktienanleihen, Faktorzertifikate, strukturierte Anleihen oder Kapitalschutzzertifikate. Aber wer weiß schon, was das alles wirklich ist?

Ein Beispiel gefällig? Eine Großbank begibt ein sogenanntes „Fixkupon Expresszertifikat mit Verlustpuffer“ auf den Eurostoxx 50. Sie zahlt dafür 2,5 Prozent Zinsen jährlich, das klingt gut – und der Kunde ist, wenn auch indirekt an der Wertentwicklung des Eurostoxx 50 beteiligt. Das klingt doch gut. Weniger gut ist indes, dass die Zinsen nur so lange gezahlt werden, wie der Eurostoxx nicht an bestimmten Stichtagen die Marke von etwa 3300 Punkten nach oben durchbricht. Wenn er also zu stark steigt, dann bekommt der Kunde lediglich seinen Einsatz zurück und ist raus. Zinsen gibt es dann nicht mehr. Fällt der Eurostoxx dagegen unter die Marke von rund 1800 Punkten, dann erhält der Anleger nur einen Teil seines Geldes zurück. Sackt der Eurostoxx also irgendwann beispielsweise 30 Prozent unter diese Marke ab – dann gibt es auch nur 70 Prozent des Kapitals zurück. Bei anderen Papieren ist die Auszahlung des Zertifikats sogar an drei oder noch mehr Werte und Einzelaktien gekoppelt – oder an Währungen. Entwickelt sich davon nur ein Wert über die Laufzeit schlecht, drohen dem Anleger Verluste.

Aktuell steht das bei vielen Zertifikaten zu befürchten. Die Dekabank etwa schlüsselte bei ihrer Pressekonferenz diese Woche auf, dass sich rund 38 Prozent der Zertifikate, die dieses Jahr fällig würden, derzeit im Minus befänden. Es betreffe Papiere für 350 Mio. Euro. Nun haben diese Papiere zwar bis zum Jahresende noch die Chance, sich zu berappeln, wenn die Kurse an den Aktienmärkten extrem wieder steigen. Das stimmt schon, doch was ist, wenn sie es nicht schnell genug tun? Oder der Markt im Laufe des Jahres zu einem zweiten Absturz ansetzt? Dann könnten etliche Anleger tatsächlich Verluste verbuchen. Und es könnten viele Anleger sein. Zuletzt war rund jedes zweite Wertpapier, was die Deka verkaufte, ein Zertifikat. Sie setzt 2019 Papiere für rund 5,3 Mrd. Euro ab, bei 11,1 Mrd. Euro Wertpapierabsatz insgesamt.

Viele Papiere stehen im Feuer

Nun beschwichtigt die Deka auch, dass die Hälfte ihrer Zertifikate gar nichts mit dem Aktienmarkt zu tun hätte, sondern auf Zinsen setze. Zumindest für den Gesamtmarkt trifft das aber so nicht zu: Nur bei 35 Prozent der verkauften Papiere sind laut Zahlen des Derivateverbands DDV Zinsen die Basiswerte. Bei 31 Prozent dagegen sind es Indizes und bei 30 Prozent Aktien. Bei den Hebelprodukten sind es sogar 90 Prozent, bei denen Aktien und Aktienindizes als Basiswerte dienen. So gesehen stehen viele Zertifikate derzeit im Feuer, solange die Kurse derart schwanken wie jetzt.

Genau deshalb darf man sich schon darüber aufregen, dass traditionelle Lokalbanken massenweise solche spekulativen Papiere aktiv unter ihre Privatkunden bringen. Unter Unbedarfte zumeist, die mehrheitlich sicher nicht mit dem Wunsch nach solchen Finanzwetten in die Bank gelaufen sein werden, so darf man annehmen. Warum die Berater das tun, ist aus Sicht der Verbraucherschützer klar: Banken und Berater verdienen gut an den Papieren. Die Preissetzung sei nicht sehr transparent, deshalb seien sie oft überteuert. Und einen funktionierenden Zweitmarkt, um die Dinger wieder loszuwerden gibt es nicht, also müssend ei Kunden dabei bleiben. „Für Berater sind sie ein Traum“, findet Dorothea Mohn, auch deshalb, „weil sie kurze Laufzeiten haben und daher ein ständiger Wechsel stattfindet, es gibt also laufend Neugeschäft“, wenn ein Zertifikat ausläuft und das nächste angeschafft werden soll. Zudem fließt die Provision gleich am Anfang, das Geschäft ist also risikolos für den Berater.

Das Fazit aus Sicht der Privatanleger fällt daher harsch aus: „Zertifikate sind überflüssig und sie sind für den langfristigen Vermögensaufbau ungeeignet“, sagen die Verbraucherschützer. Das müssten jetzt nur noch die Kunden begreifen, bevor ein Lehman 2.0 passiert.

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