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Geldanlage Was Sie über Strafzinsen wissen wollen... (Teil 2)

...aber bislang nicht zu fragen wagten: Warum zahlen Banken Strafzinsen? Hat die EZB versagt? (Teil 2)

Welchen Sinn haben Strafzinsen aus Sicht der Europäischen Zentralbank?

Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen dem Zentralbankgeld (welches die EZB selbst steuern kann) und jenem elektronischen Geld, das zwischen Banken und ihren Kunden zirkuliert, auch Giralgeld genannt. Denn vergibt eine Bank einen Kredit, muss sie sich das Geld nicht bei der Zentralbank holen, sie kann es quasi per Knopfdruck selbst schöpfen, sofern sie gewisse Kapitalregeln einhält.

Doch bleiben wir bei einem einfachen Beispiel: Zahlt Oma Müller per Überweisung 10.000 Euro auf ihr Sparbuch bei einer Bank ein, muss die Bank zunächst der so genannten Mindestreservepflicht nachkommen und ein Prozent dieser Summe bei der Notenbank hinterlegen. Diese soll sicherstellen, dass Banken nicht grenzenlos Geld schöpfen können.

Für den übrigen Teil des Geldes hat eine Bank im Wesentlichen vier Möglichkeiten: Sie kann das Geld als Kredit an andere Kunden ausreichen. Sie kann dafür selbst Wertpapiere kaufen. Sie kann es an andere Banken verleihen. Oder sie kann es, wenn sie keine Verwendung dafür hat, bei der EZB (Europäische Zentralbank) über Nacht anlegen.

Geht es nach der EZB, entscheidet sich die Bank für die ersten drei dieser Möglichkeiten, sie sollen das Geld möglichst als Kredit ausreichen, sinnvoll anlegen oder eben anderen Banken zur Verfügung stellen, die dafür eine produktive Verwendung haben – aber es bitte nicht herumliegen lassen. Deshalb stellt man der Bank genau dafür einen Strafzins von annualisiert 0,4 Prozent in Rechnung.

Und tun die wirklich weh?

Aber sicher. Die EZB sorgt schließlich mit Anleihenaufkäufen und Geld zum Nulltarif für eine extrem üppige Ausstattung der Banken mit Zentralbankgeld. Insgesamt kursiert in der Eurozone eine so genannte Überschussliquidität von rund 700 Mrd. Euro. So bezeichnet man die Summe des Geldes, das übrig bleibt, nachdem Banken die Mindestreserveanforderungen erfüllt haben.

Ähnliche Summen gingen indes schon einmal auf dem Höhepunkt der Eurokrise 2012 um, als die EZB einen Kollaps der Banken und ganzer Peripheriestaaten mit einer üppigen Liquiditätsversorgung sicherstellen musste – damals aber noch ohne Strafzinsen bei der EZB. Für geschätzt ein Drittel dieser Überschussliquidität von aktuell rund 700 Mrd. Euro haben sie keinerlei mittel- und langfristige Verwendung und deponieren sie lieber über Nacht bei der EZB – eben gegen Strafzinsen.

Ausgeglichene Bilanz

Warum legt die Bank denn überhaupt Geld bei der EZB an und belässt es nicht einfach über Nacht in ihren Büchern?

Eine Bankbilanz muss immer ausgeglichen sein, Guthaben darf vor den Augen der Aufseher nicht einfach unter den Tisch fallen. Grob vereinfacht besteht eine Bankbilanz auf der linken Seite aus Forderungen gegenüber anderen – das können Anlagen sein, etwa am Kapitalmarkt, Bargeld in der Kasse, Guthaben bei anderen Banken oder etwa der EZB, aber auch Kredite, die man vergeben hat. Auf der rechten Seite der Bilanz stehen Verbindlichkeiten gegenüber anderen, etwa die Einlagen der Kunden oder selbst in Anspruch genommene Kredite und ausgegebene Anleihen.

Zahlt etwa im genannten Beispiel eine Kundin 10.000 Euro in bar ein, erhöhen sich in der Bilanz die Verbindlichkeiten der Bank um eben jenen Betrag, aber eben auch der Kassenbestand auf der linken Seite. Zahlt eine Kundin 10.000 Euro per Überweisung von einem anderen Konto ein, steigen auch die Verbindlichkeiten der Bank gegenüber der Kundin um eben jene 10.000 Euro – schließlich könnte die Kundin täglich in die Bank spazieren und sie wieder zurück verlangen, ganz egal, was die Bank damit macht.

Die Forderungen der Bank – die linke Seite der Bilanz - müsste sich aber dann auch um diesen Betrag erhöhen – indem sich die Bank für irgendeine bilanzielle Verwendung dieser Einzahlung entscheidet: Kreditvergabe, Verleih, Anlage oder eben Einlage bei der EZB.

Nicht benötigtes Geld wird zur heißen Kartoffel

Kann die Bank nicht einfach gar nichts tun und die Gutschrift verbuchen?

Tut die Bank einfach nichts, erhöht sich eine Seite der Bilanz, in diesem Beispiel sind das die Forderungen von Kunden. Damit wäre die Bilanz nicht ausgeglichen und folglich ein Fall für die Aufseher. Schließlich wäre so der Manipulation Tür und Tor geöffnet, indem Banken unter dem Radar der Notenbanken Guthaben annähmen.

Natürlich kann die Bank die Gutschrift der Kundin auch elektronisch verbuchen, die Verbindlichkeiten (rechte Seite der Bilanz) stiege und ebenso die Forderung gegenüber anderen (linke Seite) – und die Bank kann von der Zentralbank schlicht die Herausgabe der Forderung in bar verlangen. Dann würde diese Forderung gegen einen Kassenbestand getauscht – und der Kreis schlösse sich wieder mit der Frage, ob eben das Halten des Kassenbestands oder doch der Strafzins von 0,4 Prozent das geringere Übel für die Bank ist.

Na gut, verstanden. Dann geht die Bank eben einfach hin und eröffnet ein Sparbuch bei sich selbst, auf das sie die Einzahlungen der Kundin selbst einzahlt, anstatt es zur EZB zu bringen.

Gute Idee, nur löst das das bilanzielle Problem nicht. Zahlt eine Kundin 10.000 Euro ein, klettern die Verbindlichkeiten auf der rechten Seite der Bankbilanz um eben jene 10.000 Euro an. Will die Bank das Geld nun weder verleihen, anlegen noch bei der EZB deponieren und zahlt die 10.000 Euro stattdessen auf ein eigenes Konto bei sich selbst ein, wachsen die Verbindlichkeiten um weitere 10.000 Euro. Zum Ausgleich müssten die Forderungen gegenüber anderen also nunmehr um 20.000 Euro wachsen, um die Bilanz auszugleichen – abzüglich der zu hinterlegenden Mindestreserve, die entsprechend zweimal beziehungsweise doppelt hinterlegt werden müsste.

Zum Teufel noch mal, dann eröffnet die Bank eben einfach ein Konto bei der Konkurrenz die Straße herunter und zahlt das Geld dort ein!

Der Schritt will gut überlegt sein, birgt doch Guthaben bei einer anderen Bank grundsätzlich die Gefahr, dass diese Pleite geht. Seit der Lehmann-Pleite vertrauen sich Banken gegenseitig bei der unbesicherten Geldleihe nicht mehr, diesen Markt hat die EZB eingenommen als zentrale Gegenpartei für den Verleih und die Verwahrung von Geldern der Banken.

Was im Übrigen zum Kern des Problems führt: Die massenhafte Überschussliquidität ist vor allem ein Problem deutscher Banken, die mit Einlagen ihrer Kunden und auch ausländischer Banken und Sparer - etwa aus der Euro-Peripherie - regelrecht überschüttet werden. Deshalb beklagen sich auch vor allem deutsche Institute über die negativen Einlagezinsen bei der EZB.

Für größere Anlagesummen im Millionenbereich nehmen daher auch viele deutsche Institute längst schon Strafzinsen von Großkunden und Wettbewerbern, die als Abwehrkonditionen dienen, um genau jene Umgehungstaktik zu verhindern. Bezogen auf die Eurozone wird das nicht direkt benötigte Geld schlicht zu einer heißen Kartoffel, die von Bank zu Bank oder von Bank zu Notenbank wandert. Das Problem lässt sich verschieben, aber nicht insgesamt lösen, indem es von Institut zu Institut wandert.

Warum hat denn die gigantische Liquiditätsversorgung noch nicht die Inflation angeheizt?

Hierzu ist die Unterscheidung zwischen so genanntem Zentralbankgeld und dem Giralgeld wichtig, das Banken per Knopfdruck schöpfen und vernichten können. Die Zentralbank kann die Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld steuern, indem sie ihnen Zentralbankgeld leiht, die Konditionen dazu verändert oder den Instituten Zentralbankgeld regelrecht aufnötigt, indem sie ihnen Staatsanleihen abkauft.

Dieses Geld hat jedoch nichts direkt mit dem Geld zu tun, das Kunden als Kredit aufnehmen oder als Guthaben einzahlen. Gewährt eine Bank etwa einem Kunden einen Immobilienkredit über 100.000 Euro, schöpft sie dieses Geld per Knopfdruck. Denn wie schon im Beispiel mit der Einzahlung, erhöht sich die Bilanz an Forderungen gegenüber anderen, hier: dem Kreditnehmer – um eben jene 100.000 Euro. Zugleich klettern aber auch die Verbindlichkeiten gegenüber dem Kunden um 100.000 Euro, da er diesen Betrag gutgeschrieben bekommt. Tilgt der Kunde den Kredit, verkürzt sich entsprechend die Bilanz der Bank.

Die Schwierigkeit aus Sicht der Notenbank ist, dass die immense Liquiditätsversorgung der Banken ihrerseits bislang nicht die Preise von Gütern oder Dienstleistungen angeheizt hat, sondern vor allem von Vermögenswerten wie Aktien, Anleihen oder Immobilien. Die Hoffnung der Notenbank ist, dass Banken offensiver Kredite gewähren, die dann auch in Investitionen und Güter fließen und nicht vor allen in Vermögenswerte.

Hat die EZB versagt?

Warum verfolgt die Europäische Zentralbank überhaupt das Ziel, die Inflationsrate anzuheben?

Die Europäische Zentralbank peilt mit ihrer Geldpolitik eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an. Das ist ihre Definition von Preisstabilität. Ihr Kalkül: Verbraucher und Unternehmen könnten bei Werten, die deutlich darüber liegen, verunsichert werden, weil ihr Vermögen entwertet wird und Investitionen schwer kalkulierbar sind. Ähnlich ist es aber bei Werten, die darunter liegen. Unternehmen und Verbraucher könnten dann krampfhaft an ihrem Geld festhalten, anstatt es auszugeben und zu investieren. Genau dieses Szenario fürchtet die EZB derzeit, da die Inflationsrate ihren eigenen – in der Vergangenheit meist zu optimistischen – Prognosen zufolge in diesem Jahr bei lediglich 0,1 Prozent liegen dürfte und voraussichtlich auch 2017 lediglich 1,3 Prozent erreichen wird.

Das heißt doch im Klartext: Die EZB hat versagt.

Das wäre ein unfaires Urteil. Die Steuerung der Inflationsrate ist extrem kompliziert. Spötter vergleichen sie mit dem Versuch, Ketchup aus einer Flasche zu quetschen und es anschließend je nach Bedarf wieder hineindrücken zu müssen. Ein Teil des jüngsten Rückgangs der Inflationsrate – rund ein Dreiviertel Prozentpunkt – ist auf die stark gesunkenen Ölpreise zurück zu führen. Entsprechend wird ein Ende der Talfahrt der Ölpreise bald auch basisbedingt die Teuerung wieder etwas klettern lassen.

Ferner haben die extrem niedrigen Zinsen zwar die Preise von Vermögenswerten wie etwa Aktien und Immobilien deutlich ansteigen lassen, nicht aber von Gütern. Ob aber Verbraucher und Firmen wieder mehr investieren oder konsumieren, ist nicht alleine von der Höhe der Zinsen, sondern auch von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen abhängig, die nicht im Einflussbereich der EZB stehen.

Aber muss man denn dann gleich mit aller Gewalt vorgehen, indem man immer mehr Staats- und Unternehmensanleihen kauft, immer höhere Strafzinsen von Geschäftsbanken verlangt und ihnen umgekehrt Geld zu Nullzinsen leiht?

Genau darüber gibt es Streit. Kritiker dieser aggressiven Geldpolitik wie die Bundesbank, aber auch Bankenverbände glauben, dass die EZB die Deflationsgefahren überschätze und daher viel zu drastisch vorgehe. Auch in der Ökonomie gewinnt derzeit die Debatte an Fahrt, ob ein Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent überhaupt sinnvoll ist.

Allerdings hat die EZB selbst auch gute Argumente, ihre Maßnahmen immer stärker auszuweiten: das höchste Gut einer Notenbank ist Vertrauen in ihre Arbeit. EZB-Chef Mario Draghi hat immer wieder betont, wie wichtig ihm die Inflation und vor allem die Inflationserwartungen von Händlern und Investoren sind. Er hat sogar sehr genaue Ziele und Indikatoren genannt, an denen er sich messen lassen will. Also muss er auch entsprechend handeln, um angesichts der immer noch fragilen Lage der Wirtschaft der Eurozone nicht als entscheidungsschwach und unglaubwürdig zu gelten.

Ist das Argument mit dem Kampf gegen die Deflation nicht nur vorgeschoben, weil es Mario Draghi in Wahrheit darum geht, mit den Anleihenaufkäufen den klammen Staaten der Euro-Peripherie zu helfen?

Ja, an dieser Stelle flunkert die EZB ein wenig. Es versteht sich von selbst, dass „Preisstabilität“ auch bedeutet, dass das System des Euro nicht auseinander fliegt – womit sich die Aufkäufe von Staatsanleihen begründen lassen. Schließlich gefährdet eine Massenpanik unter den Haltern von Staatsanleihen, wie wir sie zeitweise zwischen 2010 und 2012 in der Eurozone gesehen haben, die Existenz des Euro.

Futter für Kritiker ist allerdings, dass die EZB laut ihren Statuten – anders als die US-Notenbank Fed – lediglich der Preisstabilität verpflichtet ist. In den USA strebt die Notenbank zusätzlich auch ein hohes Beschäftigungsniveau und Wirtschaftswachstum an. Nur haben Analysten und Investoren keinen Zweifel daran, dass ein implizites Ziel der EZB-Maßnahmen auch ist, den Euro gegenüber anderen Währungen - vor allem dem US-Dollar - zu schwächen – auch, wenn Draghi dies nie offen zugeben würde. Das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Zone bei Exporten, denn Waren können für den gleichen Erlös in Euro billiger angeboten werden. Zudem heizt es die Inflation an, weil sich Importe aus anderen Währungsregionen verteuern.

Lesen Sie auch Teil 1 unserer Fragen zu Strafzinsen!

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